Süddeutsche Zeitung

Familie und Partnerschaft:Und es hat Klick gemacht

Wer eine gute Beziehung führen will, muss im Gespräch bleiben. Es gibt Apps, die dabei helfen. Aber kann ein Algorithmus die Liebe retten?

Von Violetta Simon

War ja klar, dass wir wieder zu spät kommen" - "Weil du immer so lange brauchst" - "Weil du dich ständig verfährst" - "Dann fahr doch selber, wenn du alles besser weißt" - "Zum Beispiel hätten wir an der Kreuzung abbiegen müssen" - "Da war keine Kreuzung!"

Sicher wäre es gescheit, jetzt etwas in der Art zu sagen wie: "Wir sollten uns beruhigen und gemeinsam versuchen, den richtigen Weg zu finden." Leider sitzt aber gerade kein Paartherapeut auf der Rückbank, der einem souffliert. Eine Navi-App könnte die beiden zumindest ans gewünschte Ziel bringen. Häufiger ist es jedoch die Partnerschaft, die einen Richtungswechsel nötig hat. Tatsächlich war der Wille, am Beziehungsglück zu arbeiten, nie höher, sagen Therapeuten. Immer mehr Paare suchen sich Hilfe, sei es beim Psychologen, Coach oder zunehmend auch im Internet.

Längst nutzen wir Datings-Apps ganz selbstverständlich, um den Lieblingsmenschen zu finden. Mittlerweile soll die Technik auch dabei helfen, dass er bleibt. Sogenannte Therapeutic Games, also Therapie-Spiele fürs Smartphone, seien ausgesprochen beliebt, sagt Paartherapeut David Wilchfort, der seit Jahrzehnten das Geheimnis glücklicher Beziehungen erforscht. Solche Apps motivieren Paare auf spielerische Art und Weise, konstruktiv miteinander umzugehen. Manche fördern den täglichen Kontakt, andere sollen die Partnerschaft neu beleben. Aber kann ein Algorithmus die Liebe retten? Sie kann, sagt Wilchfort - wenn man dranbleibt.

"Was tut dein Partner nach dem Sex?" Die Frage poppt beim Frühstück auf dem Handy auf. Er grinst, tippt. Sie überlegt, ob sie die Chance nutzen soll. Es nervt sie schon länger, dass er binnen Minuten zu schnarchen anfängt. Ein Klick, jetzt ist es raus. Die App "Happy Couple", eine jener neuen digitalen Beziehungspfleger, die Paare glücklicher machen soll, hat die beiden aufs Glatteis geführt. Fällt er aus allen Wolken, weil er nicht nur als Nachspiel-Stümper, sondern als übler Schnarcher geschmäht wurde? Gelobt er Besserung? Oder geht er zum Gegenangriff über und raunzt "Dumüsstestdichmalhören!"?

Anwendungen wie Happy Couple ermöglichen es, Tabuthemen anzusprechen, selten wurden Paare so charmant ausgequetscht. Bei dieser kostenlosen, englischsprachigen App ist das ganze Beziehungsleben ein Quiz aus 1200 Fragen: Wie steht dein Partner zu Monogamie, bleibt er an Aufgaben dran, welche Blutgruppe hat er? Die Antworten lassen darauf schließen, wie gut man sich kennt - oder zu kennen glaubt. Übereinstimmungen werden mit dem Aufstieg in ein höheres Level belohnt. Die App pflegt, ja intensiviert die Liebe aber vor allem, wenn diese ohnehin intakt ist. Wehe, wenn es bereits kriselt. Dann können kritische Fragen auch Gräben aufreißen. "Je angespannter die Beziehung ist und je geringer die Bereitschaft, sich selbst infrage zu stellen, desto schwieriger wird es", sagt Wilchfort.

Es sei sinnlos, Schlechtes zu verurteilen, sagt der Therapeut. Besser: loben, was gut läuft

Der Münchner Paartherapeut hat selbst eine Methode entwickelt, die die Verliebtheit in der Partnerschaft erhalten soll. Sein "1x1 der Liebe", das er im Netz kostenlos zur Verfügung stellt, wurde an der Universität Jena getestet. Zwei Drittel der Teilnehmer entwickelten demnach eine neue Sichtweise auf ihren Partner und fanden, dass durch die Methode ihre Beziehung gestärkt wurde. Wilchfort zufolge lautet das Geheimnis: Wertschätzung. Die Kunst ist, sich diese jeden Tag vor Augen zu führen. "Es ist sinnlos, Schlechtes zu verurteilen. Es geht darum, Gutes hervorzuheben." Dann bleibe man auch im Gespräch auf der positiven Ebene. Die rosa Brille ist bei Wilchfort ausdrücklich erwünscht. Nicht, um Probleme unter den Teppich zu kehren. Dem Negativen soll nur nicht so viel Bedeutung beigemessen werden - in dem Wissen, dass der andere es gut mit einem meint. So entsteht eine positive Grundeinstellung. Mit Apps kann man wertschätzendes Verhalten im Alltag üben, davon ist Wilchfort überzeugt. "Dazu muss man nicht zu einem Therapeuten gehen, das funktioniert auch im Internet", sagt der Paartherapeut. Die Herausforderung sei es allerdings, den Nutzer zu motivieren: "Der inhaltliche Anspruch sollte hoch, die Hürde niedrig sein." Fast alle Anwendungen setzen daher auf Kommunikation. Tägliche Aufrufe, eine Frage zu beantworten oder ein Foto zu verschicken, motivieren die Nutzer zum Austausch. Das kann Nähe in Fernbeziehungen bringen. Oder nach einem Streit das Schweigen brechen. In so einem Moment einfach mal aufstehen und sagen zu können: "Es reicht. Du liest von mir" - das hat schon etwas.

Symbiotischen Partnern, die gerne in der Wir-Form von sich sprechen, aber auch Paaren in einer Fernbeziehung dient eine App wie "Couple" als digitale Nabelschnur. Die kostenlose Anwendung aus den USA verfügt über Realtime-Messenger und Stimmungs-Sticker. Eine Timeline ermöglicht es, aus Nachrichten und dokumentierten Erlebnissen eine gemeinsame Vergangenheit zu visualisieren. Jahrestage und denkwürdige Daten wie erster Kuss, Urlaub, gemeinsames Weihnachten werden so amtlich. Sogar getrennt können Paare ihre Freizeit gemeinsam verbringen: Auf Couple können sie gemeinsam ein Bild malen und Spiele spielen. Ein spezielles Feature ist der Thumb-Kiss: Wenn beide die gleiche Stelle auf ihrem Display berühren, vibrieren die Smartphones. Sssst, statt Schmatz. Hach. Daumenkuss.

Andererseits - ist es nicht absurd, dass eine App einen erst auf die Idee bringen muss, sich zu erzählen, was einen heute zum Lachen gebracht hat? "Es geht eher darum, sich aufzuraffen. Der tägliche Aufruf hilft dabei, es auch wirklich zu tun", sagt Wilchfort. So bleibe die emotionale Verbindung erhalten. Das meiste könne man zwar auch per Whatsapp erledigen. Aber die speziellen Gadgets erleichtern den intimen Austausch, findet der Paartherapeut. "Wer sich ohnehin ständig Nachrichten schickt, wird solche Apps zu schätzen wissen." Diese helfen nicht nur, Paare ins Gespräch zu bringen, sondern auch die richtigen Worte zu finden: "Jeder weiß ja, was er sagen will. Aber nicht, was beim anderen ankommt."

Eine unfreundliche Geste macht fünf liebevolle Momente zunichte

Laut einer Studie des Paartherapie-Anbieters Theratalk ist das Gesprächsverhalten der häufigste Auslöser für schlechte Stimmung in der Partnerschaft - noch vor sexueller Unzufriedenheit oder mangelnder körperlicher Zuwendung. Vor allem die Art und Weise, Kritik zu äußern, schafft häufig Konflikte. Warum das so ist, fand der amerikanische Beziehungsanalyst und Paarpsychologe John Gottman heraus: In einer stabilen Beziehung stehen sich positives und negatives Verhalten in einem Verhältnis von 5:1 gegenüber. Das heißt, ein böses Wort wird durch fünf freundliche getilgt. Andererseits werden fünf liebevolle Gesten durch einen einzigen Schnitzer hinfällig. Wer sich nun die eigene Gesprächskultur vor Augen führt, dürfte zumindest ein mulmiges Gefühl bekommen.

Seid nett zueinander, bleibt im Gespräch: Das ist es, was Therapeuten empfehlen. Diese Aufgabe kann eine App uns nicht abnehmen. Aber sie kann dazu motivieren und ja, auch daran erinnern. Dem Partner abends ein "Hallo, wie war dein Tag?" hinzuwerfen, weil das Handy gerade brummt, reicht allerdings nicht.

Einige Apps versprechen in dieser Hinsicht mehr, wollen konkrete Konflikte lösen. Zwar sind die Programme in der Regel standardisiert und folgen Algorithmen. Doch Aufbau und Abläufe sind individuell. Einige setzen auf interaktive Beratungshilfen, basierend auf Fragebögen, manche auf Praxisbeispiele und Videos, andere auf Beratung per E-Mail oder Skype. So etwa bei "Paarbalance", einer App, hinter der die Münchner Psychotherapeuten Ludwig Schindler und Judith Gastner stehen. Auf Basis eines Partnerschaftstests wird ab 130 Euro ein Coaching-Programm mit 18 Online-Sitzungen umfasst, zudem verschiedene Motivationshilfen wie ermutigende Botschaften, Beziehungschronik, Kommunikationstechniken. In Erklärvideos erfährt der Nutzer, wie man über die besitzergreifende Schwiegermutter redet, ohne sich gleich in die Haare zu kriegen. Oder er erhält die Aufgabe, ein Tagebuch über die schönsten gemeinsamen Momente des Tages zu führen. Wenn der Partner sich verweigert, soll er ruhig. Angeblich profitiert die Beziehung auch dann, wenn nur einer das interaktive Programm nutzt. "Wer das Angebot aktiv nutzt, profitiert sicher davon", sagt Wilchfort. "Ich kann mir aber vorstellen, dass die Hürde, da immer wieder reinzugehen, recht hoch ist."

Diese Hürde dürfte bei Onlineberatungen allerdings immer noch deutlich niedriger sein als bei realen Therapiesitzungen - genau wie die Kosten. Paarberatung für alle, nicht nur für eine wohlhabende Elite: Auch dafür stehen die neuen Apps.

Das US-Familienministerium fördert aus diesem Grund eine Online-Paarberatung namens "Our Relationship". Mit der Anwendung, die von Wissenschaftlern der Universität Kalifornien betrieben wird, wollen die Verantwortlichen vor allem Paare erreichen, denen eine Therapie zu teuer wäre. Die Kosten beginnen bei 50 Euro und steigen mit den individuell gewählten Bausteinen. Genau wie Paarbalance setzt diese Anwendung auf eine gelungene Kommunikation und motiviert dazu, sich regelmäßig auszusprechen. Videos zeigen, wie man den richtigen Zeitpunkt für ein Gespräch findet, damit man auf Gehör stößt. Oder wie man einen Konflikt löst, ohne erst lange zu diskutieren, wer schuld ist. Die Macher positionieren sich selbst "irgendwo zwischen dem Lesen eines Selbsthilfebuchs und der Arbeit mit einem Therapeuten." Wilchfort kann da zustimmen. "Das Problem von Selbsthilfebüchern ist nur, dass die Leser sich, genau wie bei Episoden in Coachingvorträgen, oft nicht betroffen fühlen." Das verlange eine große Bereitschaft zur Selbstreflexion.

"Das Kunststück einer guten App ist weniger, etwas Neues zu erfinden. Sondern sie so zu gestalten, dass sich die Leute wirklich darauf einlassen", davon ist Wilchfort überzeugt. Allein durch guten Willen und das Lippenbekenntnis "Man müsste mal wieder" lässt sich eine Beziehung nun einmal nicht retten: "Vom Abschließen eines Fitnessvertrags allein hat noch niemand abgenommen."

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Quelle:
SZ vom 24.02.2018
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