Familie und Partnerschaft:Ohne Oma geht's nicht

Familie und Partnerschaft: Wenn Oma kocht, schmeckt es anders. Kinder brauchen mehr Vorbilder als nur ihre Eltern.

Wenn Oma kocht, schmeckt es anders. Kinder brauchen mehr Vorbilder als nur ihre Eltern.

(Foto: mauritius images)

Wohin mit den Kindern, wenn Schulferien sind und beide Eltern arbeiten? Immer öfter bitten sie die Großeltern. Gut so!

Von Nina von Hardenberg

Als Kind schmeckte das Wort Sommerferien nach Freiheit und Sorglosigkeit. Als berufstätige Mutter von vier Kindern schmeckt es nach Stress. Man muss nicht nur Ferienhäuser buchen, Badehosen zählen und Pflanzengießer organisieren, sondern auch Betreuungslücken stopfen. Also überredet man den zögerlichen Siebenjährigen zum Fußballcamp, preist bei der Neunjährigen den Ferienzirkus an und wünscht sich gleichzeitig, dass die Kinder einfach zu Hause bleiben könnten, wie man es selbst in den Ferien gekannt hat: zu Hause rumgammeln und Karten spielen, bis irgendwann vor lauter Langweile eine riesige Playmobilwelt entsteht.

Die moderne Kleinfamilie aber erlaubt keinen Müßiggang: Wo Mutter und Vater arbeiten, ist das Heim kein Ort träger Sommerruhe mehr und oft genug nicht mal einer, wo Kinder in Ruhe gesund werden können. Und so wächst in jeden Schulferien auch eine Sehnsucht. Die Sehnsucht nach einer bedingungslos solidarischen Person, die das Nest warmhalten könnte, während man selbst weg ist. Idealbesetzung: die eigene Mutter, der eigene Vater.

In der Mitte des Lebens brauchen berufstätige Eltern plötzlich wieder ihre Eltern. Vätern geht es so. Müttern vielleicht noch ein wenig mehr. Gerade sie müssen sich in der klassischen Kleinfamilie eingestehen, dass sie, während sie seit ihrer Jugend nach Unabhängigkeit gestrebt haben, eine wichtige Komponente in ihrer Lebens- und Karriereplanung übersehen haben: die eigene Familie in die Betreuung der Kinder ganz selbstverständlich mit einzubinden.

Seit Jahren fördert die Politik die Emanzipation der Frau, ermöglicht Teilzeitstellen und nun auch das Rückkehrrecht auf Vollzeit, in einer Dekade wurden 400 000 neue Krippenplätze geschaffen. Man kann als berufstätiger Mensch seine Kinder heute vielerorts bis in die späten Nachmittagsstunden betreuen lassen. Und doch schaffen Kita und Hort nur einen zeitlichen Arbeits-Slot. Sie entbinden die Eltern keineswegs von der Sorge um Kind und Heim. Die aber bleibt fast immer an der Frau hängen. Auf eine Teilzeit arbeitende Mutter wartet zu Hause eine zweite Vollzeitstelle - mit etwa 37 Stunden Arbeit pro Woche mit Kind und Küche. Die vollberufstätigen Väter kommen dann auf 21 Stunden Familienarbeit, wie Nina Klünder berechnet hat, die an der Universität Gießen über unbezahlte Hausarbeit forscht. Die wenigsten Paare teilen sich die Zeit für Karriere und Heim gerecht auf. Die Mutter bleibt verantwortlich.

Zeitlich ebenso wie emotional. Will die Tochter Kuchen backen und sucht das Mehl, klingelt sie die Mama aus der Konferenz. Hat der Sohn sich ausgeschlossen, schreibt die Mutter der Nachbarin hektische Nachrichten. Ist das Müsli aus, ist es ihre Schuld. Frauen haben in den vergangenen Jahrzehnten zahlreiche neue Bilder von sich entworfen, das Mutterbild aber ist davon unberührt geblieben. Eine gute Mutter ist eine, die sich selbst hinten anstellt. Wenn sie arbeiten will, muss sie das eben trotzdem schaffen. Nicht stattdessen. Es ist ihr Privatvergnügen.

Die eigene Familie ist die solidarischste Hilfe

Eine neue "Mutterfalle" nennt das die österreichische Politikwissenschaftlerin Mariam Tazi-Preve. Frauen mit Kindern hätten auch heute nur die Wahl zwischen drei schlechten Optionen: Sie könnten entweder Hausfrauen und damit ökonomisch abhängig von ihren Männern bleiben. Oder sie strebten eine Teilzeitarbeit an, die aber in der Regel nicht existenzsichernd sei. Wenn sie aber eine Vollzeitstelle wählten, begäben sie sich in ein Hamsterrad, das viele überfordere. Nur Familien der Oberschicht können sich bezahlte Hilfe leisten. Die meisten Doppelverdienerhaushalte aber sind doppelbelastet. Vor allem die Frauen sind oft auch doppelt erschöpft.

Es sei geradezu vermessen zu glauben, man könnte Kinder allein aufziehen, findet Tazi-Preve. Sowieso sei das Dreieck aus Mutter-Vater-Kind zu eng, auch für die Kinder selbst, schreibt sie in ihrem Buch "Das Versagen der Kleinfamilie". Kinder brauchten mehr Vorbilder und mehr Erwachsene, die ihr Aufwachsen begleiten. Den Frauen rät sie, sich wieder stärker auf ihre Mütter, Tanten, Onkel und Geschwister zu besinnen. Die Familie der Mutter sei in vielen Fällen das solidarischste Unterstützungssystem, das Frauen haben.

Und wo bleibt der Vater? Der Wille ist da, jedenfalls in der Statistik. 76 Prozent der jungen Männer wünschen sich inzwischen eine Partnerin, die selbst für ihren Lebensunterhalt sorgt. Mehr als jeder zweite Vater mit Kindern unter sechs Jahren möchte sogar die Hälfte der Kinderbetreuung übernehmen. So steht es im Väterreport 2016 der Bundesregierung.

"Mama", fleht die müde Mutter ins Telefon. "Kannst du in der dritten Ferienwoche kommen?"

Die wenigsten tun es. Sie dafür zu beschimpfen greift zu kurz. Schließlich wird von Männern nach wie vor auch erwartet, dass sie Karriere machen und die Familie absichern. Die meisten Väter reduzieren deshalb kaum ihre Arbeitszeit, versuchen Vollzeitarbeit mit Familienzeit zu vereinbaren, was auch sie oft überfordert. Wer dagegen mehr Papa als Ernährer sein will, stellt sich gegen das sozial akzeptierte Männerbild und verzichtet auf Einkommen, das die Frau oft nicht ausgleichen kann. Zwei Teilzeit-Stellen wiegen eben keine Vollzeit-Turbo-Karriere auf. Wer sich aktiv und über Jahre um Kinder kümmert, verpasst in vielen Unternehmen weiter die Jahre, in denen die gut bezahlten Positionen verteilt werden - egal ob Mann oder Frau.

"Mama", fleht die müde Mutter also ins Telefon. "Kannst du in der dritten Ferienwoche (wenn das Naturcamp endet und der Trampolinkurs voll ist) kommen?"

Manche Mütter reisen an, einige sogar vom anderen Ende der Republik oder gar aus dem Ausland, aber natürlich nicht alle. Viele haben eigene Pläne, genießen den wohlverdienten Ruhestand. Andere wiederum kann der Ehemann oder vielleicht auch die Tochter selbst nicht länger als zwei Tage ertragen. Und ist es überhaupt richtig, dass die Großeltern wieder ranmüssen? Sollte die berufstätige Mutter nicht lieber "Vater Staat" statt "Mama" rufen?

Natürlich kann der Staat die Eltern mit einer guten Kinderbetreuung entlasten, ihr Dilemma aber löst er nicht. Was nutzt eine Kita, wenn sich die Geschwister das Magendarmvirus hin und her reichen? Was der Hort, wenn der Große in der Schule versagt? Wer tröstet den Kleinen, der bei den Bundesjugendspielen die Siegerurkunde verpasst? Wer hilft da, wer springt ein? Kita ist gut, wenn die Familie läuft wie ein Rädchen, also nie.

Also springt die Mutter ein, weil die Familie auf das höhere Gehalt des Mannes nicht verzichten kann oder will - oder weil sie zu der Generation von Frauen gehört, die Eva Corino in ihrem Buch "Das Nacheinander-Prinzip" die vierte Welle des Feminismus nennt. Es sind jene Frauen, die Karriere machen und trotzdem nicht zu sehr auf ihre Kinder verzichten wollen.

Gerne und guten Gewissens würden viele Frauen die eigene Mutter rufen. Das Anknüpfen an die Mutter und die Verwandtschaft der Mutter habe Tradition, sagt Tazi-Preve, wie etwa der Begriff des "Oheims" zeige, des Mutterbruders, der bis ins 16. Jahrhundert für die Kinder der Schwester eine besondere Verantwortung mit übernahm. Die Mutter und die Geschwister der Mutter spielen nach Tazi-Previ heute noch eine zentrale Rolle in der Familie. Sie stellen in vielen Familien immer noch den Zufluchtsort dar, etwa wenn eine Beziehung scheitert.

Schade, dass ihr so weit weg wohnt, seufzt die berufstätige Mutter also, aber sie seufzt zu spät, hat ihre Kleinfamilie doch längst Wurzeln in den fremden bayerischen Boden geschlagen, während Bruder, Schwester, Eltern und Schwiegereltern sich 600 Kilometer entfernt auf die Ränder von Deutschland verteilten.

Andere Kinder sind klüger, sie ziehen wieder in die Heimat, um in der Nähe der Eltern zu wohnen

Andere Kinder handeln klüger: Zwischen 1999 und 2014 kehrte fast jeder fünfte Erwerbstätige in seine Heimatregion zurück. Man weiß wenig über diese Rückkehrer, aber es liegt nahe, dass zumindest ein Teil von ihnen die Nähe der Eltern suchte, und einige von ihnen sicherlich, um die Betreuung der Kinder zu sichern.

Manchmal ziehen auch Eltern den Kindern hinterher. Manch eine Wohnung lässt sich teilen, sodass der Opa dort wohnen und fortan den Kuchen fürs Kindergartenbuffet backen kann. Die Kinder mögen seine ruhige Präsenz. Und der Großvater selbst weiß, dass die Familie nicht weit sein wird, wenn das Treppensteigen mühsamer und die Freunde weniger werden. Berufstätige Eltern brauchen die Großfamilie, brauchen die Tante, den Vetter, und wenn die nicht greifbar sind, die Leihoma. Der Staat könnte das sogar fördern, könnte ähnlich wie in der Pflege, eine finanzielle Unterstützung für alle einführen, die Familien in der Kinderbetreuung entlasten. Eine Herdprämie für jeden, der Verantwortung übernehmen will im Kinderchaos.

Also: Mama, bitte, kannst du kommen?

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