Hier trägt jemand eine Aprikosenbluse. Dort sieht man ein Kleid mit Füchsen. Und wer weder süßes Obst noch putzige Tierchen auf der Kleidung hat, schwelgt mindestens in Blumenmustern. Alles ist so bunt. Und so laut. Zwischen Luftballontrauben und im Weg stehenden Buggys streiten Kinder um Schoko-Cake-Pops, Helferinnen in knalligen T-Shirts wuseln herum, und jeder begrüßt überschwänglich irgendjemanden, den er im echten Leben noch nie gesehen hat. Politische Konferenzen stellt man sich anders vor. Und trotzdem parkt vor dem Tagungshotel eine Limousine der Bundesregierung, aus der soeben Franziska Giffey samt Personenschützer, Büroleiterin und Sohn aussteigt. Zum ersten Mal beehrt eine Familienministerin persönlich die Veranstaltung.
Die Blogfamilia in Berlin ist die größte Elternbloggerkonferenz Deutschlands. 180 Mütter und Väter sind gekommen, um mehr über erfolgreiches Publizieren im Internet zu lernen, sich zu vernetzen und Sponsoren zu gewinnen. Die Familienministerin spricht das Grußwort. Giffey ist 40 Jahre alt und hat ein kleines Kind. Sie befindet sich also in der gleichen Lebensphase wie ihr Publikum. Optisch fällt sie mit ihrem marineblauen Etuikleid, dem weißen Blazer und der altmodischen Hochsteckfrisur allerdings aus dem Rahmen.
"Jetzt wird's formell", sagt sie denn auch, bevor sie eine freundliche Buzzwordsoße über die Bloggerinnen und Blogger kippt. Digitalisierung und mobiles Arbeiten, Shitstorms, Trolle und Jugendschutz im Netz. Eigentlich aber auch egal, was sie genau sagt, ihre Anwesenheit zählt und wird in unzähligen Instagram-Posts festgehalten. Relevant ist man schließlich nur, wenn jemand hinschaut. Hashtag #blogfamilia, durch jedes Bild schweben pastellfarbene Luftballons.
Manchmal wird aus Geposte und Geblogge Politik
Das gibt hübsche Pressefotos, über die sich das Ministerium genauso freuen kann wie die Blogger. Die einen sehen aus, als wären sie nah dran. Die anderen, als wären sie wichtig. Doch dass die Konferenz für die Politik mehr als eine bunte Kulisse ist, zeigt sich daran, dass die Ministerin nach ihrer Begrüßung nicht sofort davonrauscht, sondern weiter zuhört. Blogger sind ja Zielgruppe und Medium gleichzeitig, sie sind Empfänger und Sender und oft auch noch der Inhalt.
Die Ministerin trifft hier also nicht nur 180 Mütter und Väter, sondern über deren Blogs noch Tausende mehr. "Wir werden gelesen und wir werden gehört", sagt Organisatorin Alu Kitzerow, als sie die Konferenz eröffnet, und ein Workshopleiter sagt später selbstbewusst: "Wir erleben gerade das goldene Zeitalter der deutschsprachigen Elternblogs." Etablierte Medien seien schwach bei Familienthemen, weswegen gesellschaftliche Debatten heutzutage eher im Netz angestoßen würden.
Zumindest mit seinem zweiten Satz hat der Mann recht, die Blogs beschränken sich schon lange nicht mehr auf Nähanleitungen, Rezepte und Erziehungstipps. 2015 zum Beispiel, da las Christine Finke alias "Mama arbeitet" einen Artikel über Mütter, die es bereuten, Kinder bekommen zu haben. Inspiriert davon schrieb sie selbst einen Text. Hashtag #regrettingmotherhood - der Rest ist Netzgeschichte. Unzählige Blogtexte, Feuilletonartikel, Vorträge und inzwischen sogar Bücher drehten das Thema weiter. 2016 war Annette Loers alias "Mutterseelesonnig" genervt von all den Muttertags-Werbekampagnen, die ihr Blumen, Pralinen und elektronische Hornhauthobler aufdrängen wollen.
Als eine Bloggerkollegin dann auch noch in die Community fragte, was man sich zum Muttertag wünsche, schrieb Loers ein wütendes Pamphlet: "Ich brauche kein Frühstück ans Bett, ich brauche Steuerklasse 3!" Mit dieser Repolitisierung des Muttertags traf sie einen Nerv. Mehr als hundert Beiträge mit politischen Forderungen erschienen unter dem Hashtag #muttertagswunsch, das WDR-Magazin "Frau TV" beteiligte sich an der Aktion, und die beteiligten Bloggerinnen wurden ins Familienministerium zum Brunch eingeladen.
Wie aus Geposte und Geblogge echte Politik entsteht, zeigte sich 2017 beim Unterhaltsvorschussgesetz, einem Gesetz, dessen Inhalt der breiten Öffentlichkeit wahrscheinlich weder bekannt noch besonders wichtig ist. Anders im Elternnetz. Dort fand man es ungerecht, dass es für alleinerziehende Eltern, deren Partner keinen Unterhalt zahlt, vom Jugendamt zwar einen Vorschuss gab - aber nur für Kinder unter zwölf Jahren und maximal sechs Jahre lang. Betroffene starteten unter dem Hashtag #uvjetzt eine Kampagne, Nichtbetroffene zogen mit. Mittlerweile ist das Gesetz geändert.
"Unterstützt die Kämpfe der anderen", ermahnt denn Hauptrednerin Teresa Bücker, Chefredakteurin des Webmagazins Edition F das Publikum. Aktuell treibt die Szene das Thema Kinderarmut um, für dieses Wochenende haben Bloggerinnen eine Demonstration gegen Kinderarmut organisiert und den Fraktionschef der Linken Dietmar Bartsch und Grünen-Chefin Annalena Baerbock als Redner gewonnen. Hashtag: #gegenkinderarmut. Ob tatsächlich auf die Straße gegangen oder doch mehr getwittert wird, muss sich zeigen.
Familie:Diese Blogs sollten Eltern kennen
Neun Stufen von Müdigkeit oder wie man es vermeidet, Elternsprecher zu werden: Blogger helfen jungen Familien durch den Erziehungsdschungel.
Die typische Elternbloggerin kommt aus der oberen Mittelschicht. Sie ist gut ausgebildet, verheiratet, Mutter von mehreren Kindern, und oft hat sie in der Medienbranche gearbeitet. Sie ist mitteilungsfreudig und mit den Kindern allein vielleicht nicht ausgelastet. Das Bloggen bietet dieser Mutter die Chance, von zu Hause aus zu arbeiten und Beruf und Familie zu verbinden. Weil sie gut schreibt, ein Gespür für Themen hat und das Netz versteht, kommen ihre Inhalte an, und es dauert nur wenige Monate, bis die erste Anfrage eines Werbekunden eintrudelt. Tatsächlich können Dutzende vom Bloggen leben.
Die steigende Kommerzialisierung ist Chance für die Blogs, aber auch Gefahr. Mit Blick auf die USA hat die Washington Post kürzlich beklagt: "Das Elternnetz ist zur makellosen, gesponserten Hülle verkommen" - eine Entwicklung, die man auch in Deutschland beobachten kann. Immer mehr Unternehmen bemühen sich um Blogger als Influencer und statten sie mit Buggys und Stillkleidung aus, hoffend, dass ihr Vorbild andere prägt. Oder sie versuchen, über gesponserte Beiträge auf Blogs und in den sozialen Netzwerken ihre Produkte zu vermarkten. Für solche als Inhalt verkleidete Werbung bekommen manche Blogger bis zu mehrere Tausend Euro. Die Werbung verändert die Inhalte. Waren Blogs in den ersten Jahren vor allem eine Plattform für ehrliche Geständnisse überforderter Mütter, so liest man heute überraschend viele wohlwollende Artikel über elektrische Kinderzahnbürsten. Der Trend zeigt sich auch auf Instagram, dem soziales Netzwerk, in dem Nutzer schöne Filter über Bilder legen, aber wenig schreiben und nichts verlinken können.
Und trotzdem bleibt die Elternblogger-Szene politisch - allein schon in ihrer Vielfalt: Auf der Blogfamilia trifft man eine Transfrau ("Frau Papa"), eine Mutter mit Behinderung ("Wheelymum"), einen alleinerziehenden Vater ("Johnnys Papa Blog") genauso wie eine Fünffach-Mutter ("Frische Brise"). Das Private ist eben politisch. Kein Satz fällt häufiger an diesem Tag, auch Rednerin Teresa Bücker sagt ihn.
Als bekannte Feministin weiß die Edition F-Chefin, wie es ist, sich mit vielen uneinig zu sein. Weil ihre Redaktion kürzlich einen Text mit dem Titel "Raus aus der Flauschzone - warum mich Mamablogs nerven" veröffentlichte, muss sich Bücker verteidigen. Ihre Autorin hatte Elternblogs als oberflächlich kritisiert. Die Chefin sagt nun: "Blogs sind immer politisch, egal worüber man schreibt." Das könne ein Schreibabybeitrag genauso sein wie ein Text über Gewalt in der Partnerschaft. Familienthemen würden nun mal generell belächelt, das träfe Elternblogs ebenso wie Familienpolitikerinnen - Bücker nickt Giffey zu - und Journalistinnen, die über das Thema schreiben. Alles Gedöns eben.
Doch was Gedöns ist und was wirklich wichtig, das ist auch Verhandlungssache, und da hat sich viel getan. Ursula von der Leyen etwa gab Familienthemen neues politisches Gewicht, als sie gegen heftige Widerstände das Elterngeld inklusive zweier Vätermonate eingeführte. Es bleibt noch viel zu tun, findet Bücker: "Warum ist es so breit akzeptiert, dass Familien sich am Rande der Erschöpfung bewegen?", fragt sie, und spätestens da nicken alle im Plenum, Väter und Mütter, Working Moms und Hausfrauen. Bückers radikale Forderung: die 20-Stunden-Woche für Eltern. Ein Teilzeiteinkommen müsse reichen, um den Lebensbedarf eines Elternteils mit Kind oder Kindern zu decken, findet die Feministin. Eine neue Idee ist das nicht. Aber eine gute.
In Workshops lernt die digitale Gemeinschaft später, was Newsletter bringen, wie man auf Pinterest erfolgreich wird und welches Potenzial in Podcasts liegt. Sie wollen ihr Teilzeiteinkommen von zu Hause aus verdienen, mit ihrem Blog. "Homemade Happiness" steht auf dem Essenswagen im Innenhof. Hausgemachtes Glück. Es ist ein bisschen zu schön, um wahr zu sein. Doch vielleicht zeigt sich die Relevanz von Elternblogs gar nicht auf dieser Konferenz in Berlin, sondern auf einer ganz anderen, die zeitgleich im bayerischen Hirschaid stattfindet. Eine der politischsten aller Elternbloggerinnen, Christine Finke, hält auf der Landesdelegiertenkonferenz der Grünen eine Rede. Auch so geht Lobbyarbeit.