Familie und Partnerschaft:Happy End

Flo und Bill Griffiths aus England feiern das erste Mal den Valentinstag. Als Ehepaar. Denn Mitte Januar haben sie geheiratet - mit über 90 Jahren.

Von Julia Rothhaas

So schnell hätten sie die Braut schon lange nicht mehr gehen sehen, sagten die Gäste nach der Trauung. Sie sei am Arm ihres Enkels ja fast zum Altar geflogen. Normalerweise fällt Florence Griffiths, genannt Flo, das Laufen schwer, seit ihrer Darmkrebsoperation vor drei Jahren kann sie nur noch langsam gehen. "Ich hatte eben keine Zeit zu verlieren", sagt die zierliche Frau und lacht. "Und hätte mir jemand gesagt, dass ich in meinem Leben noch einmal heirate, hätte ich ihm wohl sowieso den Vogel gezeigt."

Am 16. Januar stand sie dann doch vor dem Altar in St. Hilda im englischen Smethwick, um Bill, ihren langjährigen Freund, zu heiraten. Das wäre nun nicht weiter ungewöhnlich, aber Flo, die Braut, ist 96 Jahre alt, und Bill, der Bräutigam, 90. Macht zusammen 186 Jahre: Das dürfte sie zu einem der ältesten Hochzeitspaare der Welt machen.

"Eigentlich wollte ich gar nicht mehr heiraten", erzählt Bill Griffiths bei Tee und Sandwiches in seinem Haus in Oldbury nahe Birmingham. Doch Ende November habe es ihn plötzlich gerissen. Sein Sohn Paul, 63, war zu Besuch, Flo saß neben ihm auf dem grünen Sofa in dem kleinen Wohnzimmer, da platzte es aus ihm heraus: "Paul, hast du etwas dagegen, wenn ich Flo frage, ob sie mich heiratet?" Der Sohn sagte Nein, Flo sagte Ja und anderthalb Monate später wurde Hochzeit gefeiert.

Frisch verheiratet mit einem kombinierten Alter von 186 Jahren!

Flo, 96, und Bill Griffiths, 90, sind beim Auszug aus der Kirche gerührt, dass so viele Gäste zu ihrer Hochzeit gekommen sind.

(Foto: Bulls Press)

Sie kannten sich vom Tanzen im "Ü-60-Klub". Bill Griffiths kam mit seiner Frau Joan oft dorthin. Flo hieß zu dem Zeitpunkt noch Marshallsay und war bereits Witwe. Er gefiel ihr schon damals, der Mann mit den warmen Augen, der mit seinen Witzen einen ganzen Raum unterhalten konnte. Einmal rief sie Bills Frau beim Tanzen scherzhaft zu: "Kann ich deinen Mann haben, wenn du mit ihm fertig bist?" Sie sagte: "Nimm ihn doch gleich." Ein paar Monate später starb Joan.

Flo Griffiths kümmerte sich bereits viele Jahre um Frauen und Männer aus der Nachbarschaft, die krank wurden oder plötzlich alleine waren. Und so brachte sie auch Bill Essen vorbei und trank mit ihm Tee. Ein paar Jahre später bekam der damals 75-Jährige neue Knie, zwei auf einmal. Also zog sie bei ihm ein, um sich besser um ihn kümmern zu können. Und sie blieb.

Das Leben stellte sie mehrfach auf die Probe, schon bevor sie sich begegneten. Flos erster Ehemann war Alkoholiker. "Das war er bereits, als ich ihn kennenlernte", sagt die kleine Frau mit den weißen Locken, "aber ich wollte es nicht sehen". Und so wurde die Erfüllung ihres Kindheitstraums, ein eigenes Pub zu führen, zum Alptraum. Flo Griffiths bekam zwei Söhne, Bill einen Sohn und zwei Töchter, doch beide kennen auch den Schmerz, ein Kind zu früh zu verlieren, und haben zu je einem weiteren keinen Kontakt mehr. Dann kam der Krebs. Seit der Operation vor drei Jahren hat die 96-Jährige einen künstlichen Darmausgang, den Kolostomiebeutel muss ihr Bill jeden Tag mehrere Male wechseln. Denn sie kann kaum mehr sehen, seit drei Monaten erkennt sie nur noch Umrisse. Sie tastet sich durch das Haus, hofft, das alles an seinem Platz ist, und kann ohne Hilfe nicht mehr auf die Straße. Bill Griffiths hingegen leidet seit einem halben Jahr an massivem Gedächtnisverlust, vermutlich wird man schon bald von Demenz sprechen müssen. Durch dick und dünn, in guten wie in schlechten Zeiten: Dass die beiden das ernst meinen, haben sie in den 15 Jahren ihrer Beziehung mehrmals bewiesen. Nur einmal habe sie ihn gefragt, ob sie denn nicht heiraten sollten, der Form halber. "Don't bother", sagte er, "nicht nötig". Damit hatte sich die Sache.

Frisch verheiratet mit einem kombinierten Alter von 186 Jahren!

Nach dem Essen nicken die beiden im Saal auf Sesseln ein. Die Rentner wohnen immer noch in ihrem Haus bei Birmingham.

(Foto: Bulls Press)

Sie sei eine der elegantesten Bräute gewesen, die er je trauen durfte, erzählt Pfarrer Paul Hinton. Ein schlichtes Kleid, dazu eine Jacke, die ein bisschen was hermacht mit Spitze und Pelzkragen. Genauso hatte sie es sich gewünscht, selbst aussuchen konnte sich die Braut ihr Hochzeitskleid nicht. Sie hätte es ja doch nicht gesehen. Stattdessen bat sie ihre Schwiegertochter, eins für sie zu kaufen. Der Friseur steckte ihr an ihrem Hochzeitstag gar ein Hütchen auf den Kopf. Nur zu Make-up ließ sie sich nicht überreden, "das trage ich nie". Sie verzichtete allerdings auch auf ein weiteres, nicht gerade unwichtiges Accessoire, denn sie befürchtete, es könne das Gesamtbild stören. Das Hörgerät. Als der Pfarrer sie schließlich fragte, ob sie Bill zu ihrem Mann nehmen wolle, rief sie laut in den großen Kirchenraum: "Wen?"

Der Bräutigam - mit einer Krawatte in den Farben seines Lieblingsfußballvereins um den Hals - sei vor, während und nach der Trauung der "Crier in Chief" gewesen, erzählt Pfarrer Hinton - niemand unter den ohnehin zu Tränen gerührten Gästen weinte so viel wie er. Gefeiert wurde in einem Hotel in der Nähe. "Meine erste Hochzeit 1946 war ganz anders, wir konnten uns damals nur wenige Gäste leisten und das Essen war rationiert," sagt Flo Griffiths. "Dafür hätte es jetzt gar nicht so groß sein müssen, aber unsere Kinder und Enkelkinder haben sich das gewünscht." Die ganze Aufregung nahm das Paar sichtlich mit, nach dem Essen nickten sie in ihren Sesseln im Saal ein. Das Angebot, die Hochzeitsnacht im Hotel zu verbringen, schlugen die frisch Vermählten allerdings aus. Einer musste daheim ja die Katze füttern.

Frisch verheiratet mit einem kombinierten Alter von 186 Jahren!

"Diese Ehe ist viel besser als meine erste. Ich werde nicht mehr andauernd herumkommandiert und kann machen, was ich will. Sie ist einfach eine tolle Frau", sagt Bill Griffiths.

(Foto: Bulls Press)

"Diese Ehe ist viel besser als meine erste", sagt Bill Griffiths. "Ich werde nicht mehr dauernd herumkommandiert und kann machen, was ich will." Sie sei einfach eine tolle Frau. Auch sie ist überglücklich. "Bill ist so lieb und geduldig. Und lustig!" Auch wenn er sich heute nur noch an einen Witz erinnern kann.

Es ist erstaunlich, dass das Paar ohne große Hilfe von außen im Alltag zurechtkommt. Zweimal die Woche kommt eine Putzfrau in das zweistöckige Haus am Ende der Straße und Hilda, die Nachbarin, begleitet sie beim Einkaufen. Morgens bekommt Flo Griffiths von ihrem Mann einen Tee ans Bett gebracht und manchmal auch eine Schale Müsli. Mit dem Kochen klappt es leider nicht mehr, dafür gibt es jetzt Fertiggerichte, die sie nur aufwärmen müssen. Ab und zu gehen sie zum Essen in ein Pub in der Nachbarschaft und jeden Mittwoch zum Bingo im Seniorentreff.

Die Ehe hat die beiden näher zusammen gebracht. "Wir kennen uns so lange, aber das Band ist in diesen vier Wochen enger geworden". Das Geheimnis einer Beziehung sei, dass man zusammen lachen kann - und streiten. "Aber man sollte nie im Zorn schlafen gehen, sondern sich unbedingt vorher versöhnen", sagt Flo Griffiths mit erhobenem Zeigefinger. Und bloß nicht nachtragend sein. Mit der Entschuldigung hat sich die Sache, bloß nicht ewig weiter diskutieren. "Finito", sagt Bill Griffiths. "Ganz einfach."

Flo Griffiths

"Das Geheimnis einer Beziehung ist, dass man zusammen lachen und streiten kann. Aber man sollte nie im Zorn schlafen gehen, sondern sich vorher versöhnen. Und bloß nicht nachtragend sein."

Es war keine Liebe auf den ersten Blick, ihre Beziehung ist über die Jahre gewachsen. Die ist im Alter ehrlicher geworden, zugewandter und geduldiger. Vielleicht muss die Liebe am Ende eines Lebens auch nicht mehr so viel, vielleicht ist es mehr Wir und weniger Ich.

In diesem Haus wird viel gekuschelt, betonen sie. "Er sieht gut aus. Gucken Sie mal, er hat ja kaum Falten," sagt Flo Griffiths und streicht ihrem Mann über die Wange. Ihre Flitterwochen haben sie wegen des Wetters erst mal verschoben. An Ostern, wenn es wärmer ist, geht es nach Cornwall.

Genervt ist sie nur, wenn schon wieder von Prinz Philip die Rede ist. Der Ehemann der Queen war während des Zweiten Weltkriegs Bills Kommandeur bei der Royal Navy. Über dem Kamin im Wohnzimmer hängen Schwarz-weiß-Bilder von den Booten, auf denen er im Einsatz war, im Regal sieht man den jungen Bill in Uniform. An die Zeit erinnert er sich gut, er spricht jeden Tag davon. Mehrfach. Dann schmeißt sie sich nach hinten in das plüschige Sofa, wirft die Arme in die Luft und ruft: "Nicht schon wieder!"

Natürlich sprechen sie jetzt auch immer öfter über den Tod. Sollte Bill vor ihr sterben, wird sie zu Verwandten nach Liverpool ziehen. Kommt es andersherum, soll er bei seinem Sohn Paul leben. Sie wollen auf keinen Fall in ein Heim, das haben sie längst beschlossen. "Das größte Glück ist: Wir wissen nicht, wer vor wem stirbt. Deswegen ist es auch Unsinn, sich jetzt schon darüber Gedanken zu machen", sagt Flo Griffiths.

Wie lange sich Bill wohl noch an seinen Hochzeitstag erinnern kann? "Ich habe einen klaren Kopf, der reicht für uns beide", sagt sie. Denn auch wenn er längst alles vergessen hat, ihr elfenbeinfarbenes Hochzeitskleid, die vielen Gäste, die liebevolle Rede des Pfarrers und den großen Kuchen am Ende des Festes: Der goldene Ring an seinem Finger wird ihm bleiben.

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