Süddeutsche Zeitung

Familie - Mainz:Tausende Hinweise auf gefährdete oder misshandelte Kinder

Direkt aus dem dpa-Newskanal

Mainz (dpa/lrs) - Im Corona-Jahr 2020 mit seinen längeren Schul- und Kitaschließungen sind bei den rheinland-pfälzischen Jugendämtern 8725 Meldungen zu sogenannten Kindeswohlgefährdungen eingegangen. Damit sind Hinweise auf Vernachlässigung oder Misshandlung von Kindern gemeint. Das bedeutet einen Anstieg im Vergleich zum Jahr 2019 von 5,6 Prozent.

Allerdings war ein Jahr zuvor eine prozentual noch höhere Zunahme registriert worden - 2019 waren im Vergleich zu 2018 insgesamt 9,4 Prozent mehr Hinweise auf gefährdete oder misshandelte Kinder registriert worden. Seit 2010 nimmt die Zahl der Gefährdungsmeldungen stetig zu - damals waren es noch 3749 Fälle. Die Entwicklung ist bundesweit ähnlich.

Der Staatssekretär im Familienministerium, David Profit (Grüne), sagte, die Lockdown-Zeiten seien eine sehr belastende Situation gewesen. "Die Familien waren im Stress, das ist auch eine Hochphase für die Jugendämter gewesen." Vor einer Sitzung des Jugendausschusses des Landtags am Donnerstag fügte Profit hinzu, es habe sich gezeigt, "dass das Jugendhilfesystem diesen Stresstest Corona bestanden hat".

Hauptgrund für den Anstieg der Zahlen sei "eine höhere Aufmerksamkeit und Sensibilisierung in der Öffentlichkeit" sowie bei allen Einrichtungen, die wie Kitas und Schulen einen regelmäßigen Blick auf Kinder haben. Dies hebt eine Untersuchung zum "Kinderschutz in der Pandemie" hervor, die das Institut für Sozialpädagogische Forschung Mainz (ism) für das Familienministerium erstellt hat. Der zunehmende Trend bei den Meldungen für einen Verdacht auf Kindeswohlgefährdung habe sich auch in diesem Jahr fortgesetzt, sagte ism-Experte Heinz Müller.

Deutlich zugenommen hat der Anteil der Meldungen von Eltern oder Sorgeberechtigten. Dies waren 10,2 Prozent der Meldungen nach 5,9 Prozent ein Jahr zuvor. "Das ist ein gutes Zeichen, dass sie aufs Jugendamt zugehen", sagte Profit der Deutschen Presse-Agentur. Es gebe einen Image-Wandel des Jugendamts.

In sechs von zehn Fällen (59,9 Prozent) einer Meldung beim Jugendamt wurden Anzeichen für eine Vernachlässigung genannt. Bei mehr als einem Drittel (37,2 Prozent) der Fälle wurden Anzeichen für eine psychische Misshandlung gesehen, in 25,9 Prozent der Fälle für eine körperliche Misshandlung und in 4,8 Prozent der Fälle für sexuelle Gewalt. Dabei sind Mehrfachnennungen möglich.

Besondere Risikofaktoren für Familien und Kinder aufgrund der Pandemie-Situation seien "Belastungen und Konflikte durch das Homeschooling sowie Überforderungen von ohnehin belasteten Elternteilen im Kontext einer psychischen Erkrankung" gewesen, heißt es in der Untersuchung.

Die Prüfung der Meldungen durch das Jugendamt ergab in etwa jedem siebten Fall, dass tatsächlich eine Kindeswohlgefährdung vorlag. Bei einer akuten Gefahr für das Wohl eines Kindes oder Jugendlichen in seiner Familie ist das Jugendamt zu einer sogenannten Inobhutnahme verpflichtet. Dann wird das betroffene Kind von den Eltern getrennt und bei einer geeigneten Person, in einer geeigneten Einrichtung oder in einer sonstigen Wohnform vorläufig untergebracht.

In 19,1 Prozent der Fälle wurde 2020 eine latente Kindeswohlgefährdung festgestellt - in diesen Fällen gibt es noch keinen eindeutigen Befund und das Jugendamt bleibt mit den Familien weiter in Kontakt. In einem Drittel (34,1 Prozent) der Fälle kamen die Jugendämter zum Ergebnis, dass zwar keine Kindeswohlgefährdung vorliegt, aber Unterstützungsbedarf besteht. Weder Kindeswohlgefährdung noch Hilfebedarf wurde in 32,1 Prozent der Fälle festgestellt.

© dpa-infocom, dpa:210909-99-148104/2

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-210909-99-148104
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
Direkt aus dem dpa-Newskanal