Süddeutsche Zeitung

Familie:Irgendwas aus der Geschenkekiste

Kinder lieben Geburtstagsgeschenke. Doch die Auswahl übernehmen viele lieber selbst. Und verzichten dafür gern auf die Überraschung. Schlimm - oder?

Von Katja Schnitzler

Kurz nach der Geburt meiner Tochter meldete sich eine Freundin bei mir und erschütterte unsere Beziehung mit der Frage: Ob ich denn eine Liste mit Präsenten für die "Baby Shower" zusammengestellt hätte? Dieser Geschenkeregen würde in den USA eigentlich schon während der Schwangerschaft über den werdenden Eltern niedergehen. Und eine Entscheidungshilfe für Verwandte und Freunde sei doch ganz nützlich. Was für ein Ansinnen!

Ich schenke aus Prinzip gern. Dazu gehört, darüber zu sinnieren, was dem anderen gefallen könnte. Schließlich geht es um ein Zeichen der Wertschätzung, das sich nicht am Preis des Geschenks festmachen lässt, jedenfalls nicht nur. Der andere soll mitbekommen, dass ich mir für ihn Mühe gebe. Ein Gedanke, mit dem sich meine Freundin offenbar nicht belastet.

Ein Geschenk hat immer eine Botschaft: Du bist mir wichtig. Ich mag dich. Bleib bei mir

Sie werde sicher auch allein etwas Schönes finden, beschied ich pikiert. Das vierte Badehandtuch mit Kapuze verschenkte ich Jahre später unbenutzt, aus den fünf Stramplern in Mini-Größe 52 und Kreisch-Pink war meine Tochter schon mit zwei Wochen herausgewachsen. Aber: Alle Geschenke kamen von Herzen, nicht von der Liste. Ich war mir treu geblieben. Noch.

Ein paar Jahre später kratzte das Kleingedruckte auf einer Einladung zum Kindergeburtstag unangenehm an meinem Präsente-Prinzip: "Ich habe eine Geschenkekiste im Spielwarengeschäft zusammengestellt." Sollte das ein Witz sein? Ein Hochzeitstisch für Vierjährige? Mit sinnfreiem Spielzeug statt 120-teiligen Porzellangeschirrs im Blümchen-Dekor, das sich erstmals Verlobte 1924 im Chicagoer Kaufhaus Marshall Field's zusammenstellten - schon damals eine geniale Marketingstrategie.

Jetzt also Geschenkekisten für Kinder. Wie passend für unsere Zeit, passend zum Kontrollwahn einer Elterngeneration, die sich von Topfschlagen und Wohnungsverwüstungen freikauft, indem sie Partys in Kinos, Indoor-Spielplätze und Töpferwerkstätten auslagert. Wird doch daheim gefeiert, kommt wenigstens ein professioneller Kinderbändiger getarnt als Clown ins Haus. Bloß keine Überraschungen, und also bitte auch keinen Leucht-Schleim, der sich entgegen dem "Hinterlässt keine Spuren"-Aufdruck auf der Verpackung mit unwegwischbaren Flecken auf Wänden verewigt!

Passen Eltern nicht so gut auf, nutzen Kinder die Geschenkekiste, um endlich an die sinnfreien, regalverstopfenden Präsente zu kommen, die sie juchzen und ihre Eltern aufstöhnen lassen. Und es gibt offenbar niemanden, der ihnen erklärt, dass sie damit ein wunderbares, weltweites Ritual verraten, den Kitt jeder Gesellschaft: Mit dem Geben statt Nehmen versuchen wir seit Jahrhunderten, ach Jahrtausenden, die Bindung zu unseren Nächsten zu stärken.

Soziologen erklären, ein Geschenk habe immer eine Botschaft: Du bist mir wichtig, ich mag dich, bleib bei mir. Also macht sich der eine Gedanken, was dem anderen gefallen könnte, und liest aus jedem Gesichtszucken beim Auspacken, ob er richtig lag. Der andere hat erfreut zu sein oder so zu tun. Eine soziale Kunst, die Vierjährige noch nicht perfekt beherrschen.

Das Geburtstagskind war leicht irritiert, als meine Tochter mit ihrer besten Freundin ein gemeinsames, dafür größeres Geschenk überreichte, das es eindeutig nicht für ihre Kiste ausgesucht hatte. Vorangegangen war eine enge Absprache mit der Mutter des Geburtstagskindes, was diesem wohl gefallen könnte. Sie nutzte die Gelegenheit, ein als pädagogisch wertvoll etikettiertes Brettspiel für die ganze Familie zu empfehlen. Das Geburtstagskind hätte Farbschleim vorgezogen.

Aus gutem Grund: Forscher der US-Universität Stanford fanden heraus, dass sich Beschenkte deutlich mehr über Präsente freuten, die sie selbst auf eine Liste gesetzt hatten, als über andere. Warum? Weil ihre Wünsche respektiert worden waren - und sie genau das bekamen, was sie haben wollten. Während sie sich bei den Fremd-Geschenken fragen mussten, was die mit ihnen zu tun hatten. Und ob der Schenkende überhaupt wusste, worüber sie sich freuten? Ob er sie gut kannte? Die Fremd-Geschenke schufen Distanz statt Nähe.

Eine Studie zeigt: Über Dinge, die sie selbst ausgesucht haben, freuen sich Beschenkte mehr

Ob es nun an der Studie lag oder an elterlichem Pragmatismus: In den Folgejahren bröckelte meine Ablehnung von Geschenkekisten, was meine Tochter sofort witterte. Sie bestand darauf, einen zusammenzustellen, auch wenn sie nur vier Gäste erwartete. Auf die Überraschung verzichte sie gern, dafür könne sie sich ja auf die selbstausgesuchten Präsente freuen.

Wie im Kaufrausch hetzte sie durch das Geschäft und hatte in wenigen Minuten ihre Kiste mit Glitzerdingen gefüllt sowie ein extrascharfes Schnitzmesser hineingeschmuggelt. Die Kiste - beschriftet mit ihrem Namen und dem Tag der Geburtstagsfeier - passte kaum mehr in das Regal hinter der Kasse, in dem Dutzende Kisten auf Käufer warteten, die garantiert kommen würden.

Für die Spielwarenläden sind die Geschenkekisten wie Valentinstag für Blumenhändler, nur machen sie das gute Geschäft das ganze Jahr über. Besonders schlaue Verkäufer schenken dem Geburtstagskind selbst eine Kleinigkeit: Ein Gummiball schafft kindheitslange Kundentreue. Dafür fehlen beim Auspacken die strahlenden Augen, sie flackern nur kurz auf - ah, da ist ja der bellende Hund mit den Riesenaugen, oh, und da mein Springseil. Die Überraschung ist abgehakt.

Ganz neu: Kinder sollen zur Geburtstagsfeier ihrer Freunde Geld mitbringen

Trotzdem: In der Grundschulzeit schlug meine Stimmung um, ein weiteres Erziehungsprinzip ging über Bord (und gesellte sich zur Kein-Schnuller-Regel und zum Nicht-im-Elternbett-schlafen-Gebot): Ich suchte nicht nur aus berufsbedingter Zeitnot hektisch jede Einladung meiner Tochter nach dem Zauberwort "Geschenkekiste" ab. Denn dummerweise war sie bei den Jungen aus ihrer Klasse zum beliebten Gast avanciert, doch in deren Spielwelt kannte ich mich nicht aus.

Die Mutter empfahl wenig hilfreich "ein spannendes Buch", meine Tochter wenig spezifisch "was von Lego". Dass diese Marke ein unüberschaubares Imperium von "Nexo Knights" bis "Ninjago" aufgebaut hat, wurde mir erst bewusst, als ich ratlos im Laden stand. Zum Glück hatte der gute Junge dort eine Geschenkekiste deponiert.

Seitdem führen Geschenkekisten und ich eine friedliche Koexistenz. Doch nicht mehr lange. Meine Tochter ist jetzt elf Jahre alt. Für ihre Freundin kaufte sie neulich ein gläsernes 3-D-Tier-Puzzle, ganz ohne Kiste. So eines habe sie bereits bei der Freundin gesehen, da werde ihr dieses ganz bestimmt gefallen. Weshalb ich mich darüber so freute, verstand sie nicht.

Also kann doch jeder entspannt bleiben beim Thema Kindergeburtstag und Geschenk? Nicht alle: Ein britisches Paar verklagte kürzlich ein Kindergeburtstagskind, das der Party unentschuldigt fernblieb (ein Fauxpas), es sollte seinen Anteil an den Kosten bezahlen (ein Fiasko). Zudem hörte ich von einer neuen Mode: Weil ihr Nachwuchs schon alles habe, teilten Eltern mit, sollten die Kinder zur Party nur eines mitbringen - Geld. Wahrscheinlich akzeptieren sie auch Schecks.

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Quelle:
SZ vom 20.05.2017/vs
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