Familientrio:Wenn die Neunjährige Lippenstift auflegt

Die Tochter einer Fotografin macht sich zu einer Ausstellungseröffnung schick. Die Mutter ist darüber nicht glücklich. Was soll sie tun? Die drei SZ-Familienexperten antworten.

Sara R. aus Reutlingen fragt:

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(Foto: Juliana Malta/Unsplash)

Ich bin alleinerziehende Fotografin und hatte eine Ausstellungseröffnung. Meine Tochter (9) war fast so aufgeregt wie ich und überlegte lange, was sie anziehen sollte. Sie kam dann mit knallroten Lippen und Minirock aus dem Zimmer und sagte: "Ich hab mich extra für dich schick gemacht, liebe Mama!" Es brach mir das Herz, aber ich bat sie, mindestens den Lippenstift abzunehmen. Was hätten Sie getan?

Kirsten Fuchs

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(Foto: Stefanie Fiebrig)

Ihre Tochter hat überall gesehen, was "sich schick machen" bei Frauen bedeutet, und hat es imitiert, also große Frau gespielt. Das Unbehagen, das dabei entsteht, liegt an eingefahrenen Denkstrukturen. Ich glaube, man möchte nicht, dass kleine Mädchen zu aufreizend aussehen, weil wir denken, dass sie jemanden aufreizen könnten. Das ist in zweierlei Hinsicht unangenehm, erstens, weil Kinder eben Kinder sein sollen, und weil zweitens Männern damit unterstellt wird, dass sie es aufreizend finden könnten. Im Vergleich dazu hat man ja eher wenig Beklemmungen, wenn kleine Jungs großer Mann spielen, also ein Anzug, Krawatte, sogar geschminkter Bart. Und wenn ich mir das überlege, finde ich es eigentlich ungerecht und unsinnig, dass man Mädchen an dieser Stelle mit diesen unausgesprochenen Denkstrukturen begegnet. Trotzdem hätte wohl auch ich meiner Tochter gesagt, dass sie es etwas dezenter angehen soll, zumindest was das erwachsene Schminken angeht, denn wenn sie einen riesengroßen Marienenkäfer im Gesicht hätte, wäre schon wieder alles kein Problem. Kindgerecht findet ich die Ansage: "Du bist schön, wie du bist" oder, wenn es weiter ins Thema gehen soll, "Das ist für erwachsene Frauen". Es ist ja möglich, dass Ihre Tochter sich kindgerechter "schick macht". Eventuell braucht sie Hilfe dabei. Dann gibt's keine langen, überschminkten Gesichter nächstes Mal. Kirsten Fuchs ist Schriftstellerin und lebt mit Tochter, Mann und Hund in Berlin. Sie schreibt vor allem Kurzgeschichten und Romane, aber auch Theaterstücke sowie Kinder- und Jugendbücher. Ihr Buch "Mädchenmeute" erhielt 2016 den Deutschen Jugendliteraturpreis.

Jesper Juul

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(Foto: Anne Kring)

Was für eine wunderbare Idee von Ihrer Tochter und was für eine liebevolle Art, Ihnen ihre Liebe und Solidarität zu zeigen! Wenn Sie das sehen können, schlage ich vor, dass Sie ihr das sagen und dann hinzufügen: "Ich würde mich trotzdem noch mehr freuen, wenn du den Lippenstift wieder abwischen könntest. Der ist mir ein bisschen peinlich, weil du noch zu jung dafür bist." Jesper Juul ist Vater, zweifacher Großvater und Familientherapeut in Dänemark. Er hat zahlreiche Erziehungsratgeber geschrieben, darunter den in 14 Sprachen übersetzten Bestseller "Dein kompetentes Kind".

Collien Ulmen-Fernandes

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(Foto: Anatol Kotte)

Jetzt haben Sie mir mein Herz mitgebrochen! Ihre Tochter empfand dieses Outfit und die Schminke offenbar als das adäquate Styling für diesen wichtigen Tag. Wahrscheinlich ging sie davon aus, dass der Lippenstift eine besondere, feierliche Note betont. Auch meine Tochter möchte manchmal zu Familienfesten Lippenstift tragen, weil sie es so in der Erwachsenenwelt gesehen hat. Tanten, Großmütter, Urgroßmütter, Schwippschwägerinnen, sie alle tragen zu besonderen Anlässen Lippenstift. Ihre Entscheidung hat Ihre Tochter also, tippe ich, nicht deshalb getroffen, weil sie persönlich so auf Lippenstift steht, sondern weil sie antizipierte, dass das Ausstellungspublikum die Aufmachung für schön und für würdig hält. Vielleicht sogar ebenfalls Lippenstift trägt. Weil das halt irgendwann mal so verabredet wurde. Und man sich daran hält, weil man ja würdig aussehen will, und feierlich. Und nichts anderes hatte Ihre Tochter im Sinn. Collien Ulmen-Fernandes ist Schauspielerin und Moderatorin. Die Mutter einer Tochter hat mehrfach Texte zum Thema Elternsein veröffentlicht, 2014 erschien von ihr das Buch "Ich bin dann mal Mama".

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(Foto: N/A)

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© SZ vom 01.06.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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