Süddeutsche Zeitung

Familientrio:"Ich würde gerne heimlich putzen"

Lesezeit: 2 min

Eine Tochter bemerkt, dass die Küche ihrer 80-jährigen Eltern zunehmend dreckiger wird. Darf sie sauber machen, ohne sie zu fragen?

"Meine Eltern, beide über 80, sehen nicht mehr so gut. Jetzt habe ich bei meinem letzten Besuch gemerkt, dass die Küche ein bisschen gammelig wird. Sie wären brüskiert, würde ich ihnen das sagen. Also würde ich gerne heimlich ein wenig putzen. Meine Schwester findet das unmöglich. Sie auch?" Miriam B., München

Margit Auer:

Ist es wirklich so schlimm? Wahrscheinlich wäre es völlig okay, wenn die Küche einfach weiter ein wenig vor sich hin gammelt. Ich erinnere mich an Küchen in meiner Studentenzeit, wo diese Methode hervorragend funktionierte. Wenn zwischendurch eifrige und putzwütige Eltern zu Besuch kamen, wurde die saubere Küche mit einem Achselzucken zur Kenntnis genommen - kurz darauf sah es wieder genauso aus wie zuvor. Aber das Grundproblem sitzt tiefer: Es ist bedrückend, wenn man merkt, dass die Eltern nicht mehr mit ihrem Alltag zu recht kommen. Wenn es um Bankangelegenheiten, Autofahren oder um unerledigte Post geht, kann man als Tochter nicht mehr darüber hinwegsehen. Wie gut, dass Sie eine Schwester haben! Sprechen Sie sich ab, wenn es ernst wird, und überlegen Sie, wie Sie die neuen Aufgaben gemeinsam meistern können. Vielleicht können Sie die Eltern sogar überzeugen, eine Putzkraft zu engagieren. Hat die Nachbarin nicht auch eine?

Herbert Renz-Polster:

Ihre Bereitschaft zu helfen ist klasse, und sie wird bestimmt von Ihren Eltern noch gebraucht werden! Nur: Auf die heimliche Tour würde ich verzichten, sie schafft Ihnen nur ein schlechtes Gewissen (was, wenn sie es doch merken?), und nachhaltig ist die Hilfe auch nicht, denn es wird ja nach ein paar Tagen wieder genauso aussehen - zumal Sie ja sozusagen mit angezogener Handbremse putzen, damit niemand es merkt. Vielleicht hilft Ihnen der praktische Blick: In der Küche leben Ihre Eltern, nicht Sie, und bisher kommen Ihre Eltern mit ihren Einschränkungen klar. Und trotzdem ist etwas dran an der Situation. Sie zeigt an, dass bald passieren könnte, was vielen Kindern irgendwann blüht: dass sie ihre Eltern auf Unangenehmes aufmerksam machen müssen. Und sei es, dass beim Papa der Hosenladen beim Einkaufen offen steht oder es an der Zeit ist, über Kontinenzeinlagen zu reden. Oder dass Sie tatsächlich das Aufräumen übernehmen oder organisieren müssen, weil Ihre Eltern es nicht mehr schaffen. Das alles gut zu machen, also ohne dass es peinlich oder entwertend ist, braucht Offenheit, und das wird bestimmt auch nicht ohne Konflikte ablaufen. Aber auch da kommen Sie nur mit einem "einfühlenden" Dialog weiter. Vielleicht fangen Sie jetzt schon mal an, das einzuüben?

Collien Ulmen-Fernandes:

Liebe Miriam, wenn ich Ihre Nachricht so lese, kommt mir der Gedanke, dass Mutter Natur alles ziemlich schlau eingerichtet hat. Just in dem Moment, da die körperlichen Kräfte nachlassen, sodass man im Haushalt und auch bei anderen Tätigkeiten nicht mehr so recht mithalten kann, versagen langsam die Augen, sodass man das mangelhafte Ergebnis seiner Arbeit nicht mehr sehen muss. Es ist tröstlich, dass die Natur den Menschen im letzten Viertel seines Lebens offenbar vor seiner eigenen Fehlbarkeit in Schutz nimmt. Wenn man für den Moment in dieser pseudo-philosophischen Betrachtung verharren will, würde ich meinen, dass Sie es vollkommen richtig machen, wenn Sie Ihre Eltern nicht auf ihre "gammlige" Küche hinweisen. Es würde sie kränken, denn für sie selbst ist die Küche überhaupt nicht vernachlässigt. Sie würden Ihre lieben Eltern damit nur auf ihre eigene Vergänglichkeit stoßen. Und das gehört sich nun wirklich nicht für eine Tochter! Ihre Schwester aber irrt, mit Verlaub, gewaltig! Natürlich dürfen Sie die Küche Ihrer Eltern putzen. Sie putzen sie ja im Grunde nicht für Ihre Eltern, sondern für sich. Putzen Sie also das ganze Haus, wann immer sich die Gelegenheit bietet, haben Sie gar keine Scheu. Ihre Eltern werden den Unterschied ohnehin nicht bemerken.

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Quelle:
SZ vom 26.02.2022
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