Familie:Die Opa-Dads

Wenn Frauen jenseits der 35 schwanger werden, gilt das noch immer als Risiko. Väter sind oft viel älter - und keinen stört es. Nun steigt die Zahl der Opa-Dads. Was bedeutet das für die Kinder?

Von Ulrike Heidenreich

Neulich lümmelte Jean Pütz mit Familien-Hase "Lampe" und Töchterlein Julie auf der heimischen Couch und erfreute sich seines Lebens. Die Idylle wurde jäh zerstört - in Form eines Reporters, der hereinplatzte und wortwörtlich diese Frage stellte: "Herr Pütz, hatten Sie Angst, die Einschulung Ihrer Tochter nicht zu erleben?" Dazu muss man wissen, dass Pütz 81 Jahre alt ist, seine Tochter gerade mal sieben. Der "TV-Star" ist laut Bild "der älteste Promi-Vater Deutschlands".

Jean Pütz ist ein lustiger Opatyp mit stattlichem weißen Schnurrbart, den älteren Semestern in Erinnerung durch seinen Einsatz in der Fernseh-"Hobbythek". Auf dem Sofa ließ er sich durch die Frage nicht aus der Ruhe bringen, er zeigte auch keine Spur von Zukunftsangst. "Ich kann noch alles mit ihr machen. Wir fahren Fahrrad und gehen schwimmen", sagte er mit fester Stimme. Schließlich - und das scheint das Glücksgeheimnis dieses eher reifen Vaters zu sein - esse er jeden Tag selbst gemachten probiotischen Joghurt.

Probiotischer Joghurt. Selbstgemacht. Und dann auch noch so sportlich. Da fleuchen sämtliche Bedenken schnell hinfort. Risiko? Welches Risiko? Jene Gedanken, die sofort hochschießen, wenn zum Beispiel eine erkennbar ältere Frau mit Schwangerschaftsbauch den Weg kreuzt. Weiß die, was sie da tut? Eine Frau, die über 35 Jahre alt ist, gilt ja immer noch als Spätgebärende. Jeder Gynäkologe, jede Gynäkologin kreuzt im Mutterpass bei der Bewertung, ob ein "Schwangerschaftsrisiko" vorliegt, pflichtgetreu "Schwangere über 35 Jahre" an. Ein Zustand, der zwischen Faktoren wie diesen aufgelistet ist: Diabetes, psychische Krankheiten, Fehlbildungen, Bluthochdruck.

Der Bluthochdruck von George Clooney hingegen stand nur kurz zur Debatte, als der Schauspieler und seine Frau Amal (39 Jahre alt!) im Sommer Eltern wurden. "An diesem Morgen haben Amal und George Ella und Alexander Clooney in ihrem Leben willkommen geheißen. Ella, Alexander und Amal sind alle gesund, glücklich und wohlauf", ließ Clooney, zum Zeitpunkt der Geburt 56 Jahre alt, über seinen Sprecher verlauten. Dieser fügte danach grinsend hinzu: "George steht unter Beruhigungsmitteln und sollte sich in ein paar Tagen erholt haben."

Clooney, das versteht sich, ist natürlich ein Prachtexemplar von älterem Vater. Wenn der mal an der Kindergartenpforte steht und die Zwillinge abholt, müssen die sich vermutlich keine blöden Sprüche ihrer Sandkastenkollegen anhören - so wie: "Schau mal, ist das dein Opa?" Und später in der Schule Witze wie: "Jetzt kommt dein Vater schon zum Sterben her."

Fünf Prozent der Neugeborenen haben einen Vater, der älter als 50 Jahre ist

Ältere Väter, zumal wenn sie ein bisschen prominenter sind, erfahren immer große Aufmerksamkeit. Das ist ein Mittelding zwischen dem bewundernden bayerischen "A Hund is er scho"-Spruch und purer Neugier, ob der gute Mann damit nicht total überfordert ist. Während die Leser von Promi-Magazinen ganz selbstverständlich davon ausgehen, dass eine ältere Mutter es schon irgendwie auf die Reihe bekommt, ein Baby zu wickeln, wird das bei älteren Vätern immer noch wie eine sensationelle Fertigkeit dargestellt.

Ron Wood zum Beispiel, der Rolling Stones-Gitarrist, hat lang und breit in einem Interview berichten dürfen, wie er seine Babys in den Schlaf wiegt und Bäuerchen machen lässt. Das war 2016, kurz nach Woods 69. Geburtstag, Wood zum fünften und sechsten Mal Vater geworden. Auch hier waren es Zwillinge. Dem Vernehmen nach engagierte Wood ein paar Wochen nach dem Interview vier Nannys für Alice Rose und Gracie Jane - damit er nachts wieder in Ruhe schlafen kann. Die Mutter seiner Kinder, eine Theaterproduzentin, war bei der Geburt 38 Jahre alt und seine dritte Frau.

Das Paar Wood bestätigt damit einen Trend, den Soziologen beobachten: Männer trauen sich zunehmend in zweiter oder dritter Ehe, noch einmal Vater zu werden - und wollen dann alles anders und besser machen. In den USA haben Wissenschaftler für sie den Begriff der Start-over-Dads eingeführt: Diese wollen mit sich und dem Thema Familie ins Reine kommen; mit einer jüngeren Frau und einem neuen Baby. Wer gescheiterte Beziehungen auf dem Buckel hat, verfügt über mehr Lebenserfahrung - und ist älter.

Die Zahlen des Statistischen Bundesamtes belegen es: In Deutschland ist das Durchschnittsalter der Väter bei der Geburt des ersten Kindes auf 35 Jahre gestiegen. Im Jahr 2000 lag es noch bei 33 Jahren. Hinter diesem Anstieg verbergen sich, so die Statistiker, immer mehr überdurchschnittlich alte Männer - sie treiben den Schnitt in die Höhe.

Fünf Prozent der Neugeborenen haben mittlerweile einen Vater, der die fünfzig überschritten hat. Es gibt für sie eine Bezeichnung: die Opa-Dads. Auch Frauen bekommen bekanntlich immer später ihr erstes Baby. Lag das Durchschnittsalter der Mütter bei der Geburt ihres ersten Kindes im Jahr 1970 im alten Bundesgebiet noch bei 24 Jahren, waren es 1995 schon 28 Jahre. Heute beträgt es 29, bei Akademikerinnen sogar 33 Jahre.

Bei Intelligenztests schneidet der Nachwuchs von älteren Vätern schlechter ab

Hier geht es um den Durchschnitt, wohlgemerkt - viele Frauen bekommen mit 40, 45, 48 Jahren noch ein Baby. Dass das Risiko, zum Beispiel ein Kind mit Down-Syndrom zu bekommen, für sie pro Lebensjahr steigt, ist bekannt. Doch auch über das Alter von Vätern gibt es Untersuchungen, die durchaus dazu geeignet sind, ihnen den Spaß zu verderben.

So haben australische Hirnforscher an der Universität Queensland anhand der Daten von 33 000 Mädchen und Jungen festgestellt: Bei Intelligenztests schneidet der Nachwuchs von älteren Vätern schlechter ab als die Kinder junger Männer. Oder die Untersuchung von Forschern des Instituts für Anthropologie der Universität Wien: Sie hatten sich die Mühe gemacht und eine Langzeitstudie ausgewertet, bei der eine Jury das Aussehen von 10 000 High-School-Absolventen aus Wisconsin beurteilt hatte. Das Resultat: Das Risiko für Väter, einen hässlichen Spross zu zeugen, steige alle zehn Jahre um 13 Prozent.

Auch gibt es diverse Untersuchungen, wonach Kinder älterer Väter häufiger an Autismus erkranken sollen. Forscher der Mount Sinai School of Medicine in New York haben die Daten von 320 000 Israelis und ihren Eltern ausgewertet. War der Vater bei der Geburt des Babys älter als 40 Jahre, lag das Risiko für Entwicklungsstörungen beim Nachwuchs sechsmal höher als bei Kindern von Vätern unter 30 Jahren.

Die mögliche Erklärung: Frauen bringen ihre Eizellen schon bei ihrer Geburt mit. Während der Jahrzehnte im Körper nehmen sie Schaden - etwa durch Giftstoffe oder Strahlung. Doch auch das Sperma der Männer bleibt vom Lauf der Zeit nicht unberührt. Die Vorläuferzellen der Spermien teilen sich nach der Pubertät alle 16 Tage. Etwa 840-mal hat dies zum Beispiel eine Stammzelle mitgemacht, welche die Spermien bei einem 50-jährigen Mann bildet. Die Gefahr von punktuellen Fehlerbildungen im Erbgut steigt bei jeder Teilung. Zudem lässt mit dem Alter der Reparaturmechanismus nach, der die auftretenden Fehler normalerweise behebt.

Die Liste der vermehrt auftretenden Krankheiten und Besonderheiten bei Kindern älterer Männer ließe sich beliebig fortführen. Es gibt Studien, die das Alter der Väter in Zusammenhang bringen mit Schizophrenie, Zwergwuchs, mal extrem guter, mal extrem schlechter Motorik und, und, und. Manche Reproduktionszentren geben Männern inzwischen den Tipp, in jungen Jahren Sperma einfrieren zu lassen, wenn sie eine späte Vaterschaft planen. Gendergleichheit also im Labor - Frauen frieren schon länger ihre Eizellen ein. All die erforschten Risiken betreffen jedoch Krankheiten, die insgesamt sehr selten sind. Und auch bei einem doppelten oder vierfachen Risiko durch ältere Väter bleiben die Fallzahlen immer noch äußerst niedrig. Es ist also nichts, was einen dazu bringen sollte, sich in dem Alter gegen ein Kind zu entscheiden.

Menschen wie Anthony Quinn dürfte das sowieso egal gewesen sein. 13 Kinder, alle proper und gesund, hatte der Schauspieler mit fünf Frauen. Der jüngste Sohn Ryan kam 1996 zur Welt, als Quinn 81 Jahre alt war. Tochter Antonia fuhr er noch im Alter von 85 Jahren regelmäßig morgens in die Schule. Schließlich wolle er diesmal ein besserer Vater sein, das hatte Quinn öffentlich gelobt.

Als Chaplin seine vierte Frau heiratete, war er 54 Jahre, sie 18. Sie bekamen acht Kinder

Der Pädagoge, Genetiker und Psychologe Wassilios Fthenakis hat sich intensiv mit älteren Vätern beschäftigt und attestiert ihnen größere Gelassenheit und Nachsichtigkeit bei der Erziehung. Sie hätten berufliche Unsicherheiten überwunden, Lebenserfahrung gewonnen. Davon könnten Kinder einerseits profitieren, andererseits würden sie auch verunsichert: "Ab dem vierten Lebensjahr nimmt das Kind soziale Konstruktionen wahr", so Fthenakis in einem Interview. "Es fängt an, seine Eltern mit anderen zu vergleichen und fragt: Papa, warum bist du so alt? Das ist wie bei Kindern, deren Mutter dicker ist als die der Spielkameraden." Auch gelte es, Verlustängste aufzufangen. Diese treten bei Kindern oft im Alter zwischen sieben und 14 Jahren auf. "Es ist wichtig, dem Kind klarzumachen, dass der Papa gesund ist und die Medizin uns heute lange leben lässt", rät der Psychologe.

Charlie Chaplin, einer der einflussreichsten Komiker der Filmgeschichte, ist so ein Fall. Als er mit 88 Jahren starb, standen Kinder vieler Altersklassen an seinem Grab, allein acht aus der Ehe mit Oona O'Neill, die er 1943 geheiratet hatte, da war er 54 Jahre alt, sie 18. Dreimal war Chaplin vor dieser Ehe bereits Vater geworden. Als sein jüngstes Kind Christopher James auf die Welt kam, war er 73 Jahre alt. Fast schon jugendlich kommen da Männer aus der deutschen Politik rüber - wie Theo Waigel (CSU), der mit 56 noch einmal Vater wurde oder Sigmar Gabriel (SPD) zum dritten Mal mit 57.

Vor zwei Wochen beglückte Balletttänzerin Melanie Hamrick, 31, die Mutter von Mick Jaggers jüngstem Sohn, die Welt mit Fotos auf Instagram - Deveraux feierte seinen ersten Geburtstag. Mick Jagger ist 74 Jahre alt, er hat acht Kinder, fünf Enkel und schon eine Urenkelin. Deverauxs älteste Schwester ist Karis Jagger, 47. Wie intensiv der Kontakt der Geschwister ist, weiß man nicht. Jaggers Ex-Frau Jerry Hall allerdings soll "total schockiert" gewesen sein, als sie vom neuen Baby erfuhr - so wollen es Reporter der Gala erfahren habe. Das Klatschfachblatt wusste zu berichten, dass Hall das Ganze einfach nur "geschmacklos" fand.

Da könnte man jetzt endlos weitermachen mit dem Klatsch, denn Jerry Hall, 61, ist inzwischen wiederum mit dem Medienunternehmer Rupert Murdoch, 86, verheiratet. Der australische Milliardär hat sechs Kinder aus drei Ehen. Als seine jüngste Tochter Chloe zur Welt kam, war Murdoch 72 Jahre alt. Ob er weitere Kinder plant? Das wäre jetzt wirklich Spekulation.

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