Süddeutsche.de: Wie formuliere ich also richtig?
Trainiert Eltern für ein entspannteres Familienleben: Trudi Kühn.
(Foto: privat)Kühn: Es ist hilfreich, dem Kind die eigenen Gefühle offenzulegen, zum Beispiel "Wenn ich gestört werde, kann ich mich nicht auf die Unterhaltung mit meinen Freunden konzentrieren." Und dann nehmen Sie wieder das Kind mit in die Verantwortung: "Was können wir tun, damit ich in den nächsten zehn Minuten ohne Unterbrechung mit meinen Freunden sprechen kann?"
Süddeutsche.de: Aber kleine Kinder verstehen das doch gar nicht?
Kühn: Je kleiner sie sind, desto öfter muss ich natürlich in verschiedenen Situationen immer wieder deutlich machen, welches Verhalten angebracht ist. Das können sich Eltern aber schon bei den Kleinsten angewöhnen, ihnen etwa nahebringen, dass sie nicht die Brille der Mutter herunterreißen sollen, weil das weh tut und die Brille kaputtgehen kann. Wenn das Kind dann weitermacht, kann die Mutter das Kind freundlich absetzen - für kurze Zeit. Ganz wichtig ist aber, Kindern immer wieder die Chance zu geben, zu zeigen, dass sie dazugelernt haben: eine Zeitlang still zu sein, wenn andere sich unterhalten. Oder die Brille auf der Nase zu lassen.
Süddeutsche.de: Manchen Kindern muss man das nur einmal sagen, anderen immer und immer wieder.
Kühn: Jeder hat einen anderen Charakter, ein anderes Temperament. Es gibt keinen Knopf, den man drückt, damit Wohlverhalten herauskommt. Da muss man eben ausprobieren, was zum jeweiligen Kind passt und Geduld haben, dem Kind Zeit geben, etwas nach und nach zu lernen. Aber respektvoll kann und muss man immer sein, egal wie das Kind ist.
Süddeutsche.de: Ab welchem Alter kann man denn darauf hoffen, dass das Kind unseren Wunsch nach Ungestörtheit versteht?
Kühn: Man darf nicht zu viel erwarten. Wenn ein Kind vier Jahre alt ist, sollte man sich schon zwanzig Minuten am Stück unterhalten können - zwei Stunden wären sicher nicht realistisch. Falls klar ist, dass so eine Situation bevorsteht, etwa wenn Freunde zu Besuch kommen, ist es empfehlenswert, das dem Kind anzukündigen und gemeinsam zu überlegen, was es für diese Zeit braucht und etwa die Malsachen vorab herrichten. Und zugleich klarmachen, dass man in den kommenden 20 Minuten nicht auf Unterbrechungen reagieren wird. Der Hinweis auf den Zeiger der Uhr kann eine entscheidende Orientierungshilfe für das Kind sein. Auch die Freunde sollte man informieren, dass eine Störung in dieser Zeit ignoriert wird, damit sie nicht aus falschem Mitleid auf das Kind eingehen und die Einhaltung der neuen Regel ungewollt sabotieren.
Die ehemalige Gymnasiallehrerin Trudi Kühn kennt sich aus mit der gemeinsamen Festlegung von Regeln und dem Finden von individuellen Lösungen: Die Mutter zweier Kinder (ein Sohn, eine Tochter) hat sich während ihres zwölfjährigen England-Aufenthaltes im Bereich Psychologie weitergebildet und machte Manager für Verhandlungen fit. In London nahm sie selbst erstmals an einem Elterntraining teil, "das mir und meinem Mann unglaublich geholfen hat, bei der Erziehung gemeinsam an einem Strang zu ziehen".
Zurück in Deutschland stieß sie auf das US-amerikanische STEP-Programm (Systematic Training for Effective Parenting), das Eltern, aber auch Erziehern und Lehrern "durch mehr Handlungs- und Erziehungskompetenz zu mehr Gelassenheit im Alltag" verhelfen soll. Mit Ko-Herausgeberin Roxana Petcov führte Trudi Kühn STEP für Eltern und Pädagogen in Deutschland, Österreich, Luxemburg, Belgien und in der deutschsprachigen Schweiz ein.
Zum Thema: Erziehungs-Kolumne "Kinder - der ganz normale Wahnsinn" - Jetzt rede ich! Es gab eine Zeit, da bestanden Gespräche aus Begrüßung, Mittelteil und Abschied, im Idealfall hatten sie eine Pointe. Doch das ist nun vorbei: Wir sind Eltern.