Expertentipps zur Erziehung:"Ohne Windel? Da müssen Eltern schnell sein"

Wie bekommen Eltern ihre Kinder dazu, die Windel abzulegen und rechtzeitig zu sagen, wann sie auf die Toilette müssen? Verhaltensbiologin Haug-Schnabel gibt Tipps, wie Kinder ohne Stress windelfrei werden. Und erklärt, ob Jungs besser stehen oder sitzen sollten.

Katja Schnitzler

Noch mit oder schon ohne? Die Windelfrage ist für Eltern nicht nur aus finanziellen Gesichtspunkten interessant, weil sie sich die teuren Wegwerfwindeln sparen wollen. Spätestens vor dem Start in den Kindergarten drängt die Frage, wie man sein Kind trocken bekommt. Gabriele Haug-Schnabel hat sich auf das Thema spezialisiert: Die Verhaltensbiologin gibt Tipps, wie Eltern handeln sollten und erklärt, warum manche Kinder nachts noch lange eine Windel brauchen.

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Noch rechtzeitig geschafft? Falls nicht, dürfen Eltern bloß nicht schimpfen. Und müssen nächstes Mal ein wenig schneller sein.

(Foto: Benjamin Haas - Fotolia)

SZ.de: Spätestens mit zweieinhalb Jahren steigt der Druck auf die Eltern, wenn andere fragen: Was, dein Kind hat noch Windeln an? Sind diese Kinder wirklich spät dran?

Gabriele Haug-Schnabel: Die meisten Kinder fangen in dem Alter erst an, sich überhaupt für ihren Körper zu interessieren und die wenigsten sind dann schon Tag und Nacht trocken. Solche kritischen Stimmen stressen Eltern natürlich, aber viel größer ist der Druck oft wegen der Kinderbetreuung: Jahrzehntelang wiesen Kindergärten Dreijährige ab, die noch nicht trocken waren - manche fordern das heute noch ein. Auch in den Krippen wird wegen der schlechten personellen Ausstattung angestrebt, dass die Kleinen möglichst bald nicht mehr gewickelt werden müssen. Eltern erscheinen dann bei mir in der Beratung und wollen Tipps, wie sie ihr 18 Monate altes Kind dazu bringen, aufs Töpfchen zu gehen. Dabei ist das für die meisten Kinder mit eineinhalb Jahren gar kein Thema. Auch weil die Blase dem Hirn noch nicht meldet, dass sie voll ist. Ohne dieses Empfinden wäre das reine Dressur, in bestimmten Zeitabständen auf die Toilette zu gehen.

Woran merken Eltern, dass ihr Kind so weit ist, es mit dem Töpfchen zu versuchen?

Wenn Kinder ihre Körperteile und Gefühle benennen können und auch ihre Bedürfnisse, etwa dass sie "großen Durst" haben oder zu müde sind. Auf jeden Fall ist der richtige Zeitpunkt da, um das Interesse am Thema zu wecken, wenn Eltern Folgendes beobachten: Das Kind hält im Spiel inne, horcht in sich hinein, stiert vor sich hin - und spielt dann weiter. Manche melden auch, "habe Pipi gemacht".

Wie reagieren Eltern dann richtig?

Falsch wäre es, diese Meldung mit einem lapidaren "Kein Problem, du hast ja eine Windel an" abzutun. Dann ignoriert das Kind den Vorgang künftig, scheint ja nicht so wichtig zu sein. Andere schimpfen sogar: "Warum hast du das nicht vorher gesagt?" Dabei kann das Kleinkind dies noch gar nicht. Aber das Bemerken im Nachhinein ist ein wichtiger erster Schritt, den Vorgang überhaupt wahrzunehmen. Wenn Eltern das positiv unterstützen, achtet das Kind immer öfter darauf, wie sich eine volle Blase oder ein voller Darm anfühlt. So lernt es, schon auf die Signale zu reagieren. Wer dann mit dem Kind schnell genug zum Klo oder Töpfchen rennt, verschafft ihm viele Erfolgserlebnisse.

Doch gerade am Anfang kommt die Nachricht, dass es jetzt ganz dringend ist, meist zu spät.

Man muss in dieser Zeit wirklich sehr schnell sein und möglichst unkomplizierte Kleidung anziehen. Wer das Kind erst einmal aus einer Latzhose schälen muss, hat keine Chance. Wenn es in die Hose geht, sollten Eltern das ganz ohne Schuldzuweisung abtun. Höchstens die Toilette darf schuld sein, "die war zu weit weg".

Nun schaffen es die Kleinen immer öfter rechtzeitig aufs Klo. Können Eltern jetzt noch etwas falsch machen?

Generell sollten bei der Sauberkeitserziehung Kinderkrippe oder -garten und Eltern, auch die Großeltern, an einem Strang ziehen. Und sie dürfen keinen Schritt zurück machen, etwa Freitagnacht wieder eine Windel anziehen, weil die Eltern samstags länger schlafen wollen. Oder vor dem Stadtbummel, damit unterwegs ja nichts passiert. Dann merkt das Kind, es geht ja auch anders. Warum also soll es sich solche Mühe machen und sein Spiel unterbrechen, um aufs Klo zu rennen? Wenn das Kind krank ist und unter Durchfall leidet, ist das natürlich etwas anderes. Aber die Kleinen verstehen, dass dies eine Ausnahme ist.

Viele Erzieherinnen versuchen, die Krippenkinder möglichst früh trocken zu bekommen. Ist das immer sinnvoll?

Es ist wichtig zu bedenken, dass das Sauberwerden für das Kind nicht mit einem Zuwendungsverlust einhergeht. Ein Fehler, den auch Eltern daheim machen, ist es, die bewusste Aufmerksamkeit und Zärtlichkeit während des Wickelns nicht zu ersetzen. Durch das Sauberwerden dürfen die Kleinen keine Zuwendung verlieren. Sonst wäre das Kind ja schön dumm, da mitzumachen. Wenn der Klogang aber mit einem lustigen Spiel, ruhig mit Körperkontakt, verbunden wird, um weiterhin direkte Aufmerksamkeit zu schenken, und sich die Kleinen vielleicht besonders nette Höschen aussuchen dürfen, dann lohnt sich das auch für das Kind.

Die Jungenfrage: stehen oder sitzen?

Doch manchen Kindern erscheint die Windel sehr viel bequemer als das ständige Rennen zur Toilette. Wie motiviert man solche Töpfchen-Muffel?

Natürlich betonen die Eltern, was für ein "großes Kind" es ohne Windel ist - und dass es dann ganz andere Kleidungsstücke anziehen darf. Ab zwei Jahren machen Kinder sowieso viele Schritte, um selbständiger zu werden: Sie streichen ihre Brote, sie ziehen sich selbst an. Diese Selbständigkeit dürfen sie auch beim Sauberwerden erfahren: Sie sollten allein aufs Klo kommen können, sich selbst abputzen und spülen dürfen. Dann merken die Kinder: Ich kann mehr und ich kann es selbst.

Die meisten Eltern sind nicht begeistert, wenn die Kinder sich nicht nur über den Töpfchen-Erfolg freuen, sondern das kleine oder große Geschäft näher untersuchen wollen.

Ja, da ist etwas Gelassenheit nötig. Denn für die Kinder ist das schwer zu verstehen: Erst machen die Eltern ein Riesentheater, dass endlich was im Töpfchen landet. Und wenn es da ist, ist das plötzlich "pfui" und: Nichts wie weg damit! Fast alle Kinder wollen das mal anfassen. Es funktioniert aber gut, wenn Eltern erklären: "Das ist der Müll, den dein Körper vom Essen übrig hat. Den bringen wir weg." Das verstehen Kinder schnell, im Abfall wühlen sie ja auch nicht herum.

Viele Kinder sind schon lange tagsüber trocken, bevor sie auch nachts ohne Windel schlafen können. Bei manchen dauert dies aber bis ins Schulalter. Woran liegt das?

Es gibt Kinder, da liegt der Grund klar auf der Hand: Sie trinken tagsüber fast nichts und holen alles abends nach, das hält niemand die ganze Nacht durch. Hier müssen Eltern tagsüber auf eine bessere Verteilung achten. Was nicht heißen soll, dass die Kinder abends nichts mehr trinken dürfen - nur nicht mehr so viel. Bei anderen sind die Gene schuld: Dass nachts weniger Urin produziert wird, liegt an einem Hormon. Das wird in diesen Altersstufen in völlig unterschiedlichen Mengen gebildet. Hält das nächtliche Einnässen sehr lange an, kann ein Arzt entscheiden, ob das Hormon als Medikament zugeführt wird. Allerdings schlägt diese Behandlung nicht bei allen an. Eine dritte Gruppe sind die Kinder, die sehr viele, oft schwierige Erlebnisse vom Tag verarbeiten müssen. Sie zeigen ein deutlich verlängertes Nachtnässen und brauchen psychologische Unterstützung.

Kann es sein, dass manche Kinder den Harndrang auch einfach verschlafen?

Das kann vorkommen. In verschiedenen Schlafzuständen ist die volle Blase für das Kind unterschiedlich wahrnehmbar. In manchen Fällen wirken Klingelhosen - eine Unterhose mit Feuchtigkeitsfühler, die das Kind bei den ersten Tröpfchen weckt - bei anderen bringen sie überhaupt nichts. Am wichtigsten ist, dass die Eltern entspannt bleiben und auf keinen Fall die Trinkmenge drastisch einschränken. Auch vorsorgliches Wecken in der Nacht ist eher kontraproduktiv: Erstens wird das Kind im Schlaf gestört und zweitens läuft man Gefahr, dass ein Einnässen zum Weckzeitpunkt im Halbschlaf andressiert wird. Außerdem verringert sich die Chance, dass das Kind aufgrund des Signals "volle Blase" aufwacht.

Sollten Jungs im Stehen oder im Sitzen pinkeln?

Auch wenn es dann manchmal in die Ecken geht: im Stehen. Denn auf dem Töpfchen ist die Harnröhre der Jungen oft abgeknickt, was das Ganze erschwert. Väter sind da generell oft entspannter als Mütter.

Vielleicht putzen Väter die Toilette nicht so oft?

Dann ist das ein partnerschaftliches Problem und nicht das des Kindes. Also lassen Sie die Jungs ruhig stehen, dann werden sie deutlich schneller trocken.

Dr. habil. rer. nat. Gabriele Haug-Schnabel spezialisierte sich nach ihrem Studium der Biologie und Ethnologie auf die Verhaltensbiologie und hat einen Lehrauftrag an der Evangelischen Hochschule in Freiburg. Sie ist Initiatorin und Leiterin der Forschungsgruppe Verhaltensbiologie des Menschen (FVM) und Autorin zahlreicher Fachbücher. Als Schwerpunkt beschäftigt sie sich mit dem Thema Sauberkeitserziehung. Darüber und auch über andere Entwicklungsfragen informiert sie in einer Elternberatung: verhaltensbiologie.com

Windeln sind viel besser, als ständig aufs Klo rennen zu müssen, finden Kinder. Die Eltern aber haben die Nase voll, nicht nur beim Wickeln. Und greifen zu unsauberen Mitteln. Die Erziehungskolumne.

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