Expertentipps zur Erziehung:"Mädchen probieren sich mit sexy Kleidung aus"

"LOLITA" VOR OBERSTEM GERICHTSHOF DER USA

Attraktiv auch für ältere Männer: Dominique Swain spielte "Lolita" in dem gleichnamigen Film.

(Foto: DPA)

Der Ausschnitt kann nicht zu tief, der Rock nicht zu kurz sein. Mit der Pubertät verwandeln sich viele Mädchen zumindest äußerlich in "sexy Lolitas", sehr zur Sorge ihrer Eltern. Psychologin Elisabeth Raffauf gibt im Interview Tipps, wie Mütter und Väter auf die knappe Kleidung ihrer Töchter reagieren sollten.

Von Katja Schnitzler

Der Rock würde auch als Gürtel durchgehen und die Bluse ist den entscheidenden Knopf zu weit offen, so dass mehr als nur der Brustansatz zu sehen ist. Wenn sich Mädchen betont aufreizend kleiden, fürchten Eltern, dass die Töchter mit ihrer Kleiderwahl die falschen Signale an die falschen Leute aussenden. Elisabeth Raffauf, Autorin zahlreicher Bücher über die Pubertät, erklärt, wie Eltern ihren Töchtern diese Wirkung bewusst machen können.

SZ.de: Warum ziehen sich viele Mädchen in der Pubertät besonders sexy an?

Elisabeth Raffauf: Sie sind gerade auf der Suche nach ihrer Identität. Dabei probieren die Mädchen aus, wie sie auf andere wirken. Also ziehen sie sich auffällig an, schminken sich oder stylen die Haare. Bei ihrer Suche nach sich selbst orientieren sie sich an anderen, die ihnen gefallen. Das können Models oder Schauspielerinnen sein, oder das Mädchen in der Schule, das von allen umschwärmt wird. Wenn sich ein Teenager ähnlich kleidet, steckt auch die Hoffnung dahinter, ebenfalls dazuzugehören und so beliebt zu sein.

Wissen die Mädchen um die Wirkung, die ihre Kleidung auch auf sehr viel ältere Männer hat, zum Beispiel auf Lehrer?

Einige sicher, aber das steht für die wenigsten im Vordergrund. Erwachsene denken, Teenager ziehen sich so sexy an, um Männer anzumachen. Dabei wollen die Mädchen meistens die anderen Mädchen beeindrucken, Jungs natürlich auch. Sie probieren eben neue Rollen aus. Wie diese auf andere wirken, merken sie an deren Kommentaren - und die kommen aus der Clique oder von anderen Mädchen aus der Klasse jeden Tag: "Was hast du denn an, warum bist du nicht gestylt?" Da haben Teenager schnell das Gefühl, nur dazuzugehören, wenn sie sich entsprechend kleiden. Dabei ist es nicht so leicht, es den Altersgenossen recht zu machen. Das schwankt zwischen "Warum hast du nichts Neues an?" und "Kommst du schon wieder mit was Neuem daher?".

Mütter und Väter fürchten angesichts der aufreizenden Kleidung nicht nur um den Ruf, sondern auch um die Sicherheit ihrer Töchter. Stehen sie damit auf verlorenem Posten, weil doch nur die Meinung der anderen Teenager zählt?

Wenn sich Eltern nur abfällig über den Stil der Tochter äußern und ihr unterstellen, dass sie damit vor allem Jungs anmachen will, dann ja. Denn bei solch negativen Einschätzungen machen alle Teenager dicht. Daher ist es wichtig, dass die Eltern dem Kind klar sagen: "Wir wissen, du bist mit deinem kurzen Rock nicht auf Anmache aus. Aber du merkst vielleicht nicht, wie sexy und aufreizend du damit auf Männer wirkst und ich will nicht, dass du blöd angesprochen oder begrabscht wirst." Außerdem sollten Eltern herausfinden, was ihrem Kind an seiner Kleidung wichtig ist, was ihm am Stil der anderen gefällt. Vielleicht können sie die Tochter dabei dahinbringen, zu erkennen, was sie selbst möchte: Ob sie wirklich nicht mehr in der Gruppe anerkannt wird, wenn der Rock so lang ist, dass sich das Mädchen darin wohlfühlt? Die Eltern sollten aber auch ihre eigenen Beweggründe überdenken.

Also weshalb sie die sexy Kleidung der Tochter so aus der Fassung bringt?

Genau. Neben der Sorge könnte dafür auch ein Motiv sein, dass die Mutter sich insgeheim ärgert: Jetzt gehört die Tochter zu den jungen, schönen Frauen, die Männer attraktiv finden - sie selbst jedoch nicht mehr. Sich das einzugestehen, fällt natürlich schwer. Es gibt auch Väter, die noch nicht akzeptieren wollen, dass aus Papas kleinem Schätzchen eine Frau wird.

Und dann fällt irgendwann - egal aus welchen Gründen - der entnervte Satz: "So gehst du mir nicht aus dem Haus!" Wie vermeidet man diese Konfrontation?

Eltern sollten auch bei diesem Schlusspunkt einer Diskussion noch mal erklären, weshalb sie das nicht wollen: "Ich möchte nicht, dass du so aus dem Haus gehst, weil du so falsche Signale an manche Männer aussendest und ich Angst um deine Sicherheit habe." Aber wer glaubt, ohne Streit um dieses Thema herumzukommen, kann das vergessen. Die Pubertät ist eine Zeit voller Zwist und Reibung, und das ist auch wichtig. Das geht nur, wenn Eltern zwar Verständnis für die Motive der Kinder zeigen, aber trotzdem deutlich Position beziehen und bei dieser Haltung bleiben - außer ihr Kind überzeugt sie mit Argumenten, die den Eltern bislang noch nicht bewusst waren. Doch nur wer als Eltern seine Überzeugungen vertritt und bei seinen Grundsätzen bleibt, vermittelt dem Kind Sicherheit. Da müssen es Mütter und Väter aushalten, eine Zeitlang für blöde Spielverderber gehalten zu werden. Es gibt natürlich keine Garantie dafür, dass die Mädchen das Bündchen am Rock nicht noch einmal umschlagen, wenn sie aus der Haustür sind. Das sollten Eltern allerdings auch nicht kontrollieren.

"Mädchen müssen gestärkt werden - und Jungen"

Wenn die Spielkameradinnen von gestern plötzlich junge Frauen sind, die ihre Attraktivität testen, ist das auch für Jungs nicht einfach. Sie sind ja oft nicht so weit wie die Mädchen in ihrer Klasse.

Da wäre es toll, wenn die Jungen einen Vater haben, mit dem sie darüber sprechen können. Der auch mal nachfragt: "Wie wirkt das auf dich?" Und Verständnis hat, dass ein Junge davon durchaus irritiert sein kann. In dieser Zeit ist es immens wichtig, das Selbstbewusstsein der Kinder zu stärken, ob von Mädchen oder Jungen. Und sie dahin zu bringen, zu reflektieren, was ihnen gefällt und nicht nur der Gruppe zu folgen - eine immens schwierige Aufgabe in dieser Zeit.

Es gibt ja auch Mädchen, die sich am liebsten in weiten Kleidern verstecken. Zusätzlich wird in der Werbung oder in Formaten wie "Germany's Next Topmodel" das perfekte Aussehen unerreichbar idealisiert. Wie können Eltern ihren Töchtern helfen, sich in ihrer Haut wieder wohlzufühlen?

Es kann unheimlich sein, wenn mit dem Körper Sachen passieren, die das Kind nicht steuern kann: Die Brüste wachsen und werden unter weiten T-Shirts versteckt. Dann ist vielleicht eine Brust größer als die andere, manche Mädchen brauchen schon einen BH. Mit diesem veränderten Körper müssen sie sich erst einmal anfreunden. In dieser Zeit ist es ganz wichtig, dass Eltern die neuen Bedürfnisse ihres Kindes respektieren. Und der Vater nicht sagt, dass sich das Mädchen nicht so anstellen soll, wenn er auch ins Bad will. Eltern können sich als Gesprächspartner anbieten und ruhig erzählen, wie sie sich damals fühlten.

Sind also der knappe Rock und der tiefe Ausschnitt eigentlich ein gutes Zeichen? Denn offenbar gefällt diesen Mädchen im Gegensatz zu vielen ihrer Altersgenossen ihr veränderter Körper.

Da wäre ich mir nicht bei allen so sicher. Einige ziehen sich besonders sexy an und von außen sagen alle: Das sieht nicht schön aus, das ist viel zu eng. Manchmal ist das einfach ein missglückter Versuch, etwas von sich zu zeigen, um von etwas anderem abzulenken. Da sollen die anderen lieber in den tiefen Ausschnitt glotzen statt auf den vermeintlich dicken Hintern.

Die Diplom-Psychologin Elisabeth Raffauf leitet in einer Erziehungsberatungsstelle unter anderem Gruppen für Eltern pubertierender Jugendlicher. Für den WDR arbeitet sie an der Aufklärungsreihe "Herzfunk" mit, bei der Kinder Fragen zu den Themen "Liebe, Körper und Gefühl" stellen. Sie ist Autorin zahlreicher Erziehungsratgeber und Aufklärungsbücher, darunter "Pubertät heute - ohne Stress durch die wilden Jahre" und "Only for girls - alles über Liebe und Sex".

Der Rock war vor einem halben Jahr noch ein Gürtel, der Ausschnitt endet kurz vor dem Bauchnabel und die Eltern erkennen die brave Tochter nicht wieder. Beim Streit über die Kleiderwahl von pubertierenden Mädchen fallen dann Sätze, die Mütter und Väter eigentlich niemals sagen wollten - die Erziehungskolumne.

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