Expedition:Ahoi, Frau Arktis!

Eigentlich ist Friederike Krüger Lehrerin. Doch für eine große Forschungsexpediton hat sie das Klassenzimmer ein paar Wochen gegen den Nordpol getauscht.

Von Nina Himmer

Das Knirschen und Knacken wird Friederike Krüger nie vergessen. Wie ein metallisches Kratzen klingt es, als ob jemand eine schwere Kiste übers Schiffsdeck schleift. Fünf Wochen hat sie das Geräusch der sich bewegenden Eismassen begleitet. So lange hat sie nämlich in der Arktis gelebt, an Bord des Forschungsschiffs Akademik Federov. Sie ist an Orte gekommen, die vorher noch kein Mensch betreten hat, sie hat Eisbären beim Spielen zugesehen und Temperaturen erlebt, gegen die es in einem Kühlschrank gemütlich ist. "Das war ein riesengroßes Abenteuer", sagt sie.

Begonnen hat es vor zwölf Monaten mit einer E-Mail in ihrem Postfach. Absender: Das Alfred-Wegener-Institut. Inhalt: Eine Zusage für die Teilnahme an der größten Forschungsreise in die Arktis, die je geplant wurde. 300 Forscher aus 16 Ländern, riesige Eisbrecher, Flugzeuge und Helikopter sind bei der Mosaic-Expedition dabei. Außerdem 300 weitere Mitarbeiter und eine Handvoll Journalisten und Lehrer. Sie sollen von der Arbeit der Forscher erzählen, weil die Messungen und Beobachtungen dabei helfen werden, den Klimawandel und seine Folgen besser zu verstehen.

Wie packt man für sechs Wochen an einem der kältesten Orte der Erde? "Ich habe eine Liste bekommen, da standen so Dinge wie lange Unterhosen, Chips oder Schokolade drauf", sagt Krüger und lacht. In der Arktis kann man schließlich nicht einfach einkaufen gehen. Warme Kleidung hingegen stellt das Forschungsinstitut. Dicke Schneeanzüge, Moonboots und Thermohandschuhe für bis zu minus 40 Grad haben schließlich die wenigsten Menschen im Kleiderschrank hängen.

Eigentlich unterrichtet Friederike Krüger, 29, Deutsch und Erdkunde an einer Schule bei Hannover. Dass sie wegen ihres Berufs mal am Nordpol statt im Klassenzimmer stehen würde, hätte sie selbst nicht gedacht. Doch den Leitern der Organisation war wichtig, dass der Klimawandel im Unterricht diskutiert wird. Die Lehrerin hat deshalb nicht nur alles genau beobachtet, sondern für ihre Kollegen und Schüler auch Filme, Fotos und Tonaufnahmen mit zurückgebracht.

Das Schiff ist im Packeis festgefroren. Nur der Wind bestimmt seinen Kurs

Insgesamt wird die Expedition ein Jahr dauern. Das Besondere: Die Forscher wollen auch in Gebiete vordringen, über die bisher wenig bekannt ist - weil das Eis dort im Winter so dick ist, dass es Schiffe wie die Polarstern nicht hindurch schaffen. Dabei ist sie ein superstarker Eisbrecher und die Basis der Expedition. Mit seinen 118 Metern ist das Schiff so lang wie ein Fußballfeld. Um in das dicke Eis zu gelangen, haben sich die Forscher einen Trick ausgedacht: "Sie brechen im Sommer so weit wie möglich durch das dünne Eis, stellen dann den Motor ab und lassen sich im arktischen Winter im Eis einfrieren", erklärt Krüger. Weil die Polarstern einen stahlgepanzerten Rumpf hat, hält sie dem Druck des Eises stand. Nur der Wind und die Strömung bestimmen die Route und treiben die Eismassen und das Schiff von der sibirischen Arktis über den Nordpol bis in den Atlantik. Um das Schiff herum sammeln die Forscher unterdessen so viele Daten wie möglich: Wie dick ist das Eis? Welche Algen gibt es? Welche Bakterien leben im Wasser? Wie viel Schnee fällt um diese Zeit?

Einmal in der Woche hat Friederike Krüger von unterwegs mit ihren Schülerinnen und Schülern telefoniert, die ganz normal weiter zur Schule gegangen sind. Dann hat sie von den Tagen auf dem Eis erzählt, die jeden Morgen um punkt 7 Uhr mit dem Gedudel des Schiffsradios und einer Portion Haferschleim begannen. Von den Polarlichtern und Schneebojen, der Eisbärenwache mit dem Fernglas, ihrer Seekrankheit und der Sehnsucht nach frischem Obst. In dieser Zeit hat sie einen Spitznamen bekommen: Frau Arktis.

Auf Unwetter und Eisbären war die Crew vorbereitet - auf Corona aber nicht

Mittlerweile ist Frau Arktis wieder daheim, die Expedition aber ist in vollem Gange. Fast jeden Tag schaut sie im Internet, wo die Eisdrift die Polarstern hingetrieben hat. Fast wäre wegen Corona ein Wechsel der Crew geplatzt. Denn die Expedition war zwar auf Schneestürme und Eisbärenattacken vorbereitet. Doch mit dem Virus hat niemand gerechnet, als die Polarstern im Herbst 2019 in See stach. Aber es hat geklappt - und das Schiff driftet weiter durch das Eis, dessen Knirschen sie in Gedanken noch immer hören kann.

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