Ex-Arzt als Straßenmusiker:Der Botox-Blues

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Täter, Opfer - oder Held? Der Arzt Norm Cohen betrieb einst eine angesehene Schönheitsklinik - bis er wegen eines Botox-Skandals seine Approbation verlor. Jetzt singt er traurige Lieder auf den Straßen Tel Avivs.

Peter Münch

Draußen hat der späte Winter noch einmal Regen gebracht, das ist schlecht fürs Geschäft, doch was soll's. Norm Cohen hat auch ohne Gitarre den Blues. Er sitzt in einer Bar vor einem Bier und spricht über sein Leben. "Das wäre doch wirklich Stoff für einen Film", sagt er, nicht stolz, sondern eher enttäuscht, dass darauf außer ihm noch keiner gekommen ist.

Der "Blues-Doc" Norm Cohen verdient seinen Lebensunterhalt als Straßenmusiker in Israel. Früher arbeitete Cohen als Arzt in den USA - bis ihm wegen eines Skandals um Billig-Botox die Approbation entzogen wurde. Nun hat er ein Buch geschrieben, Titel: Der Botox-Bandit. (Foto: oh)

Wahrscheinlich hat er sogar recht, doch was für ein Film sollte das werden - ein Drama, ein Thriller, vielleicht sogar eine Komödie? Und wie wäre seine Rolle: Ist er ein Held, ein Opfer, ein Täter? All das ist noch nicht ganz klar, denn das Drehbuch, also sein Leben, entwickelt sich immer weiter. Nur den Titel hat er schon gefunden: Der Botox- Bandit. Und natürlich ist auch der Soundtrack klar. Denn Norm Cohen, der einmal ein angesehener Arzt war in Florida, ist jetzt der "Blues-Doc".

Seine Bühne sind die Straßen von Tel Aviv. Wochentags sitzt er oft auf dem prächtigen Rothschild-Boulevard, am Sabbat ist sein Platz auf der Strandpromenade. Da thront er wie eine von Hemingway erfundene Figur, der alte Mann und das Meer, mit weißem Bart und weißer Mähne. Nur er, seine Gitarre und ein kleiner, batteriebetriebener Verstärker. Er singt von Liebe und von Leid und dass das oft dasselbe ist, mit einer Stimme, gegen die Tom Waits klingt wie ein Chorknabe.

Gewiss, es gibt viele Straßenmusiker in Tel Aviv: den jungen Hippie auf dem Selbstberauschungstrip, die russischen Geigerinnen mit Konzerterfahrung, den Bläser mit der zerbeulten Posaune. Doch niemand ist wie Norm Cohen, niemand spielt mit solcher Hingabe, niemand mit solcher Ausdauer, niemand mit einer solchen Geschichte im Hintergrund.

"Wenn mir vor zehn Jahren einer gesagt hätte, dass ich heute in Israel auf der Straße Musik mache, hätte ich ihn für verrückt erklärt", sagt Cohen. Er ist jetzt 61 Jahre alt und hat zwei Herzinfarkte hinter sich, vor zehn Jahren aber war er auf dem Höhepunkt seiner Karriere - mit Frau und zwei Töchtern, einem Haus mit Pool, Ferien auf den Bahamas sowie einer eigenen Cessna, mit der er zum Fischen flog. Im Obergeschoss seines Hauses stand die Gitarren-Sammlung, 40 zum Teil erlesene Stücke. "Es war wie ein Museum", sagt er und schwärmt von einer Gibson Baujahr 1958, "nur 30 davon wurden hergestellt."

Den Blues hat er damals schon geliebt, aber noch nicht gelebt. Er zeigt ein Foto, das einen strahlenden Mann mit Schnurrbart an der Gitarre zeigt und daneben einen schwarzen Musiker. Der Strahlende ist er, der Schwarze ist B. B. King. Hinter der Bühne hat er die Legende einmal getroffen. "Dafür habe ich B. B.s Sohn mit hundert Dollar schmieren müssen", sagt er und lacht dem alten Leben hinterher.

Der Wohlstand war sichtbar und selbstverständlich. Dr. Cohen, der als Gynäkologe anfing, hatte sich schließlich auf Krampfadern spezialisiert und irgendwann in den Neunzigern seine eigene Klinik eröffnet in Jacksonville, Florida. "Wir hatten ein Medi-Spa, bevor es den Namen überhaupt gab", sagt er. In seiner Klinik war alles zu haben, was schön macht und teuer ist, natürlich auch Botox, das Gift gegen Gesichtsfalten. Das brachte Umsatz, doch damit fing auch das Unglück an.

Eines Tages, so erzählt er, habe ihn ein Kollege gefragt: "Schon vom neuen, billigen Botox gehört?" Bald darauf bot ihm eine Firma per Fax das Mittel an. Der Haken: Es gab da diesen Aufdruck "nicht für den Gebrauch an Menschen". Die Anbieter aber haben ihn beruhigt, das Anerkennungsverfahren laufe, viele andere Ärzte nutzten es auch schon, das sei alles kein Problem. Zuerst probierte Cohen das Zeug an sich selbst aus, dann an den Mitarbeitern seiner Klinik. "Es hat großartig gewirkt", sagt er. Zwei Jahre spritzte er es seinen Kunden. Alles lief glatt, mit den Falten und mit dem Geschäft. Und dann flog alles auf.

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Bis heute, so scheint es, kann Cohen nicht wirklich verstehen, was damals über ihn hereinbrach. Gewiss, er kann es erzählen, analysieren, in alle Einzelheiten zerlegen. Er hat sogar ein ganzes Buch geschrieben über diesen Fall, also seinen eigenen tiefen Fall. Mit Galgenhumor hat er dem Buch den Titel Der Botox-Bandit gegeben. Nun sucht er einen Verleger, vor allem aber sucht er eine Antwort, warum ausgerechnet ihm das passieren musste. Denn als Bandit fühlt Cohen sich natürlich nicht, er sieht sich als Opfer einer "Lynch-Kampagne", auch wenn er heute einräumt, dass das mit dem Billig-Botox "nicht die klügste Idee gewesen ist".

Der Arzt Norm Cohen vor dem Skandal, der alles veränderte. Den Blues hat er damals schon geliebt, aber noch nicht gelebt. (Foto: oh)

Der Botox-Skandal geriet 2005 in Florida und in den ganzen USA zu einer großen Affäre. 250 Ärzte waren verwickelt, und Norm Cohen war einer der ersten, die ihre Zulassung verloren. "Du kannst in Florida jemandem das falsche Bein abschneiden, ohne deine Arztlizenz zu verlieren", sagt er, "und wir haben nicht mal jemandem geschadet." Das ist ihm wichtig, schließlich gehe es, das betont er oft, auch um seine Würde. Doch dieser Fall hatte wohl alles, was ein Skandal braucht, mit dem sich Politiker profilieren und Medien in Szene setzen können: Da ist das Botox und die Profitsucht eines prominenten Arztes, es ist die Geschichte von den Schönen und dem Biest.

Plötzlich also stand er am Pranger, und vor seiner Klinik sammelten sich die TV-Crews. "Davon habe ich mich nicht mehr erholen können", sagt er heute. Er hat versucht, die Klinik zu retten, doch der Ruf war ruiniert, alles brach zusammen, und irgendwann saß er im Flugzeug nach Israel. Norm Cohen ist Jude, "nicht wirklich gläubig, eher kulturell", sagt er. In Israel war er nie zuvor gewesen. Es war eine Flucht vor der Vergangenheit und vor den Schulden. In Tel Aviv wollte er ein neues Leben anfangen.

Anfangs hat er gedacht, seine Frau würde nachkommen. Er hat geplant, wieder als Arzt zu arbeiten. Er hat gehofft, es würde doch wieder alles irgendwie so, wie es einmal war. Doch die Frau kam nicht, und die Gesundheitsbehörde in Jerusalem wollte ihm die Zulassung erst geben, wenn er in Florida alles geklärt hatte. "Ich war einsam und depressiv", sagt er. "Ich saß in einer Wohnung, die war so groß wie ein Klo. Ich brauchte Geld." So beginnt ein Blues, und irgendwann saß er mit der Gitarre auf der Straße. Er hat gespielt, und die Leute haben Geld in seinen Hut geworfen.

Vier Jahre ist das her, und seitdem ist er Musiker. Meist tritt er auf der Straße auf, manchmal auch auf Partys oder in Clubs. Sein Blues hat immer wieder neue Strophen bekommen: Er hat sich verliebt in eine viel zu junge Frau, er ist abgehauen auf die Kanaren und wieder zurückgekehrt, er hat sehr viel Geld zusammengekratzt für eine Herzbehandlung in Deutschland, und er war so oft am Ende, wie er neu angefangen hat.

Zurück ins alte Leben will er heute nicht mehr. "Ich bin wohl vergiftet von der Freiheit", sagt er. Den Blues will er nicht aufgeben, auch wenn sich in letzter Zeit wieder manches zum Guten gewendet hat für ihn. Er bezieht jetzt eine kleine Rente aus den USA, er hat eine Frau gefunden, und sogar seine Zulassung als Arzt hat er nach langem Ringen in Israel bekommen.

Einen Tag pro Woche kümmert er sich nun um Krampfadern in einer Klinik in Tel Aviv. Er hat eine Visitenkarte, auf der "Dr. Norman S. Cohen" steht, und er hat seine Würde wieder. Aber wenn die Sonne scheint, dann sitzt er draußen mit seiner Gitarre, und zwischen den Liedern macht er seine Ansage: "I'm the Blues Doc, the one and only."

© SZ vom 29.03.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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