EU-Recht:Nach der "Ehe für alle" kommt wohl die Freizügigkeit für alle

Ireland Holds Referendum On Same Sex Marriage Law

Eine Demonstration für die Rechte gleichgeschlechtlicher Paare in Dublin. Geht es nach dem Generalanwalt des EuGH, gilt das Gebot der Freizügigkeit bald auch für sie.

(Foto: Getty Images)
  • EU-Staaten könnten demnächst gezwungen sein, auch gleichgeschlechtlichen Ehepartnern von EU-Bürgern Aufenthaltsrecht zu gewähren - unabhängig davon, ob sie diese Ehen akzeptieren oder nicht.
  • Es zeichnet sich ab, dass der Europäische Gerichtshof seine bisher konservative Haltung in dieser Frage aufgeben wird.

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Die gleichgeschlechtliche Ehe könnte demnächst in einem wichtigen, mitunter existenziellen Punkt der Hetero-Ehe gleichgestellt werden. Der Generalanwalt des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) plädiert dafür, dass gleichgeschlechtliche Ehepartner von EU-Bürgern dasselbe Recht auf Freizügigkeit innerhalb der Europäischen Union genießen wie heterosexuelle Partner. Das heißt: Wer als Nicht-EU-Bürger in einer schwulen oder lesbischen Ehe lebt, der soll sich dem Generalanwalt zufolge im Land seines Partners niederlassen, dort wohnen und arbeiten dürfen. Und zwar auch dann, wenn dort die gleichgeschlechtliche Ehe nicht erlaubt ist.

Noch ist das nur ein sogenannter Schlussantrag, also eine Empfehlung des Generalanwalts; aber in der Mehrzahl der Fälle folgt das Gericht dem Antrag. Im konkreten Fall geht es um einen Rumänen, der in Belgien einen US-Amerikaner geheiratet hat und nun mit ihm nach Rumänien ziehen will. Rumänien verweigert dies mit dem Argument, dort sei die gleichgeschlechtliche Ehe nun mal nicht anerkannt. Bei Ehen zwischen Mann und Frau ist der Fall nach europäischem Recht klar: Wer mit einem EU-Bürger verheiratet ist, darf sich in den EU-Staaten frei bewegen und aufhalten. Bei gleichgeschlechtlichen Paaren dagegen hängt das davon ab, was man unter Ehe versteht. Der EuGH war hier bisher eher konservativ: Ehe sei eine Lebensgemeinschaft zwischen zwei Personen verschiedenen Geschlechts, entschied er im Jahr 2001.

Generalanwalt Melchior Wathelet schlägt seinen Kollegen vom Gerichtshof nun eine Kursänderung vor. Schaue man sich die gesellschaftliche Entwicklung in den EU-Staaten an, dann sei die gleichgeschlechtliche Ehe auf dem Vormarsch. In 13 EU-Mitgliedstaaten sei die gleichgeschlechtliche Ehe inzwischen erlaubt, und spätestens im kommenden Jahr müsse - nach einem Urteil des dortigen Verfassungsgerichts - auch Österreich hinzukommen. Deshalb sollte der EuGH nicht länger an seinem überkommenen Ehebegriff festhalten.

Das bedeutet nun zwar nicht, dass das oberste Gericht der Union die EU-Staaten zur Einführung der Ehe für alle verpflichten könnte; das bleibt den Staaten selbst überlassen. Aber beim Recht auf EU-Freizügigkeit soll die gleichgeschlechtliche Verbindung alle Privilegien einer Ehe enthalten, fordert der Generalanwalt.

Der Fall ist übrigens ein hübsches Beispiel dafür, wie die europäischen Gerichte mitunter einen Fortschritt erzielen, indem sie sich die Bälle zuspielen. Der Generalanwalt verweist nämlich auf das andere Europagericht - den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, der nicht zur EU gehört. Dieser Gerichtshof hatte bereits vor mehr als zehn Jahren entschieden, dass das Familienleben gleichgeschlechtlicher Paare geschützt sei. Sein Argument damals: Der Schutz der traditionellen Familie aus Mann und Frau dürfe nicht dazu dienen, eine Diskriminierung von Schwulen und Lesben zu rechtfertigen.

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