Esskultur:Warum essen die sowas?

Warum mögen Franzosen Schnecken, Japaner rohen Fisch und Deutsche Bratwurst? Eins ist sicher: Jede Nation hat die Küche und Köche, die sie verdient. Eine kleine Essens-Ethnologie.

Robert Lücke

Der französische Staatspräsident Nikolas Sarkozy hat gerade angekündigt, Frankreich werde sich bei der Unesco um die Anerkennung der französischen Nationalküche als Weltkulturerbe bewerben. Ob nun geschmorte Schnecken und verschimmelter Käse auf eine Stufe mit der Großen Mauer in China stehen sollten oder nicht - jede Nation hat die Küche und Köche, die sie verdient. Der Bonner Historiker und Volkskundler Gunther Hirschfelder betreibt "ethnologische Nahrungsforschung" und hat weltweit untersucht, wie sich verschiedene Gesellschaften kulinarisch seit der Steinzeit entwickelt haben.

schnecken

Der Franzose an sich isst gern Frösche, Schnecken, Baguette und stinkenden Käse.

(Foto: Foto: ddp)

Frankreich

Klischee: Der Franzose hält sein Land für den kulinarischen Nabel der Welt, isst unentwegt Frösche, Schnecken, Baguette und stinkenden Käse, trinkt Unmengen von Rotwein - und wird trotzdem älter als andere, weil er seltener einen Herzinfarkt bekommt. Er hat die besten Köche der Welt hervorgebracht (Escoffier, Bocuse, Robuchon). Alle anderen hält er für absolute Genusslegastheniker.

Wahrheit: Frankreich ist mit äußerst fruchtbaren Böden gesegnet, die viel hergeben. In der Zeit vor der Revolution pflegte der Adel Essenszubereitung recht ausschweifend als Zeichen von Kultur. Nach 1798 wurden die Köche arbeitslos und gründeten Restaurants, damit kam das feine Essen ins Bürgertum. Nach 1945 übernahmen die Franzosen viel von den Amerikanern - technisch veränderte Lebensmittel, Snacks und Megasupermärkte. Und sie bekommen tatsächlich weniger Infarkte - in Toulouse erleiden 53 von 100 000 Einwohnern pro Jahr einen Herzinfarkt, im schottischen Glasgow sind es 332.

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Italien

pasta

Beim Italiener auf dem Tisch steht immer frische Pasta, beim Essen wird geschwafelt.

(Foto: Foto: AP)

Klischee: Das Zentrum Italiens ist Tisch und Küche von Mamma. Auf dem Tisch dampft unentwegt frische Pasta, manchmal werden Parmesan oder Trüffel darübergehobelt und mit reichlich Wein heruntergespült. Wie um alles andere auch wird ums Essen ein endloses Palaver abgehalten. Italien ist der Bauch der Welt.

Wahrheit: Nirgendwo sonst gab es eine solche agrarhistorisch enge Verzahnung von Stadt und Land. Jeder Städter kannte und kennt Agrarprodukte bestens. Lange gab es kaum Fleisch, dafür aber machte man aus dem Gemüse das Optimale und die besten vegetarischen Gerichte der Welt. Jeder Italiener isst im Jahr etwa 27 Kilo Nudeln, ein Deutscher nur fünf. Auch beim Wein hängen sie uns mühelos ab. Mit etwa 47 Liter pro Kopf und Jahr schlagen sie fast Spitzenreiter Frankreich, ein Deutscher schluckt nur 27. Trotzdem sind Italiener die schlankesten Europäer, wir die Dicksten.

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bratwuerste

Der Deutsche hat keine Zeit für kreatives kunstvolles Genießen. Er will satt werden.

(Foto: Foto: ddp)

Deutschland

Klischee: Die Deutschen frönen entweder der Völlerei oder dem Gegenteil, weil Martin Luther und andere Spaßverderber ihnen sagten, maßloses Essen sei eine Sünde. Für kreatives Kochen und kunstvolles Genießen ist keine Zeit. Sattwerden und ist oberstes Prinzip, egal wie. Ausnahme: der Südwesten.

Wahrheit: Die Auswirkungen des 30-jährigen Krieges mit der völligen Zerstörung von Dörfern und Städten warfen Deutschland auf den Stand eines Entwicklungslandes zurück. Erst mit der Industrialisierung im 19. Jahrhundert wurde es besser, Millionen Menschen zogen auf der Suche nach Arbeit umher. Da konnten sie ihre Räucheröfen, Fischteiche und Viehherden nicht mitnehmen. Die Folge war ein totaler Verlust regionaler Ess-Sitten. Nach 1945 wurden Fett, Eier, Zucker und Fleisch zu neuen Göttern, aber raffiniert kochen dauerte zu lange. Heute herrschen krasse Gegensätze: Nach der jüngsten nationalen Verzehrstudie sind in ärmeren Familien ein Drittel der Frauen fettleibig, in reicheren Kreisen sind es aber nur zehn Prozent. Andererseits perfektionieren Hobbyköche ihr Können so sehr, dass sie sich im Fernsehen mit Profis messen.

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fish and chips

Die Briten haben die schlechteste Küche der Welt. Und dick sind sie auch noch.

(Foto: Foto: dpa)

Großbritannien

Klischee: Die Briten haben die schlechteste Küche der Welt erfunden, damit ihre Soldaten immer schlecht gelaunt und aggressiv waren, so konnten sie die halbe Welt erobern. Yorkshire Pudding, Fish & Chips und Bratwürste zum Frühstück machten Gallonen von Port, Sherry, Gin, Whiskey und Bier nötig, um das Leben zu ertragen. Heute sind alle Engländer mit Ausnahme der Königsfamilie dick.

Wahrheit: Die rasant verlaufene Industrialisierung zerstörte viele ländliche Strukturen. Nur der Adel hielt sich Prestigegüter in Form hochwertiger Spirituosen aus anderen Ländern. Die simple Landesküche wurde gespickt mit Status-Symbolen, etwa teuersten exotischen Gewürzen aus den Kolonien. Als es auch der Unterschicht materiell besser ging, Billig-Fett mit Einfach-Eiweiß kombiniert - Fish & Chips war geboren. Die Folge: Die Briten sind nach den Deutschen die dicksten Europäer, fast 60 Prozent der Frauen und 65 Prozent der Männer sind fettleibig oder übergewichtig.

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hamburger

Fast Food und Coca Cola - mit ihrer Küche brachten die Amerikaner Unheil über die Welt.

(Foto: Foto: AFP)

USA

Klischee: Heimstatt allen Übels. Von hier kamen Fast Food, Coca Cola und die Folgen, von 500-Kilo-Menschen bis hin zu total hysterischen Verzichtspredigern und sportbessenenen Salatsüchtigen.

Wahrheit: Ein eingewanderter Europäer konnte im Mittleren Westen nicht das anpflanzen oder einkaufen, was es in Venedig oder Antwerpen gab. Die Landbevölkerung hatte obendrein keine Vorbilder wie in Europa: Es gab weder Adel noch Großstädte, von denen man etwas lernen oder abgucken konnte. Das musste zwangsläufig zu McDonald's führen. Denn ein riesiger Fleisch-Burger passt besser zur Geographie Nordamerikas als ein Portiönchen Risotto, und der Cowboy war immer ein Selfmade- und Self-Serviceman. Das macht krank: Während weltweit im Schnitt weniger als drei Prozent der Menschen an Diabetes leiden, sind es in den USA 10,3 Prozent.

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sushi

Japaner essen Wale und Delphine und werden damit 100 Jahre alt.

(Foto: Foto: dpa)

Japan

Klischee: Eine für Europäer völlig unverständliche Esskultur mit zahllosen Vorschriften, was man wann wozu und womit nicht essen darf. Sushi ist dort eine Religion. Vielleicht werden deshalb so viele Japaner über 100, und im Western so wenige. Außerdem essen Japaner Wale und Delphine.

Wahrheit: Die Zubereitungen der Lebensmittel richten sich mehr als anderswo nach den Jahreszeiten, das Produkt und sein Aroma stehen immer im Mittelpunkt. Die lange Abgeschiedenheit des Landes bis etwa 1860 sorgte für eine sehr eigenständige Küche. Heute wird der westliche Einfluss nachgeholt, und der frühere ideologisch und religiös begründete Fleischverzicht mit Unmengen tierischen Eiweißes in Form von Fisch nachgeholt. Die Japaner verstehen unsere Abscheu gegenüber dem Verzehr von Meeressäugern nicht. Erstens essen wir ja auch süße Kälbchen und Lämmer, und zweitens behandeln die Japaner Säugetiere so wie wir Insekten.

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tapas

Die Spanier essen alles, was man in Öl backen kann.

(Foto: Foto: ddp)

Spanien

Warum essen die sowas?

Klischee: Ganz Spanien ist eine ewige Siesta nach der Fiesta, die mit Unmengen Paella, Tintenfischen, Sardinen und allen anderen in Öl backbaren Tieren gefeiert wird. Gegessen wird vorwiegend dann, wenn der Rest Europas schläft, nämlich nachts.

Warum essen die sowas?

Wahrheit: Spanien ist deswegen ein Fiestaland, weil es Jahrhunderte lang nichts zu feiern gab. Erst sorgten Monarchen wie Philip II. für den Staatsbankrott, später Diktatoren wie Franco für die völlige Lähmung der Lebensfreude. Millionen hungerten über Jahrhunderte, und danach explodierte alles. Die Fresswelle, die Deutschland in den 50er Jahren überrollte, brach in Spanien erst nach Francos Tod 1973 aus - und hält bis heute an. Der Ansturm auf ehemals knappe Güter wie Fleisch, Fisch, Fett und Zucker zeigt das. "Gemüse ist in den Augen vieler was für Tiere und Bauern. Damit hält sich kein Städter mehr auf", sagt Volkskundler Gunther Hirschfelder.

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China

Klischee: Eine hochintelligente Küche, die vor nichts zurückschreckt, nicht mal vor dem Verzehr höherer Tiere. Chinesen essen alles, was sich bewegt, und alles andere auch.

Wahrheit: Entspricht dem Klischee. In anderen Ländern gilt: Je teurer, desto besser ist das Essen. In China gilt: Je mehr ich ausgebe, umso seltener ist das Tier, das ich esse. Wie in allen vormodernen Gesellschaften war Eiweiß stets Mangelware. Das wird nun mit Gewalt nachgeholt. "Im Schatten des Himalaja wurde einst der Nasenschleim gesammelt und aufbewahrt, weil man ihn als Eiweißressource schätzte", sagt Hirschfelder. Wer so was isst, der isst auch noch ganz andere Sachen.

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