Essen:Tomatomanie

Essen: undefined
(Foto: Sabine Timm)

Politisches Wurfgeschoss, Pizzaunterlage und Ketchup in Kugelform, früher galt sie als giftig, heute als Süßigkeit unter den Gemüsen. Sie wuchs schon im Weltall und manchmal sogar am Strand. Und nie ist sie besser als jetzt gerade. Alle Augen auf: die Tomate.

Von Georg Cadeggianini

Todesfrucht

Ihr botanischer Name lautet - Achtung gefährlich - Wolfspfirsich, Lycopersicum. Sie galt als giftig, wurde nur als Zierpflanze gehalten. Ärzte warnten, die Tomatenschale könne sich an der Magenschleimhaut festsetzen, würde Blinddarmentzündung, Magenkrebs und andere fiese Krankheiten auslösen. Unter Reichen kam es tatsächlich zu Todesfällen. Schuld war aber nicht die Tomate. Damals aßen viele Adlige von Hartzinn-Tellern. Dieses Material ist sehr bleihaltig. Wenn es in Berührung mit Säure kommt, löst sich das Blei. Die Adligen aßen also mit den Tomaten einen Teil ihrer Giftteller und starben am Blei.

Knallrot

Die Vorfahren der Tomaten waren weder rot noch groß. Sie waren klein wie Johannisbeeren und eher gelblich. Erst durch viele Kreuzungen hat man die Urtomate ketchupfarben bekommen. Der große Dichter Rainer Maria Rilke schrieb vor 120 Jahren: "In unseren Stuben riecht es am Donnerstag nach Tomaten, am Sonntag nach Gänsebraten, und jeden Montag ist Wäsche. So sind die Tage: der rote, der fette, der seifige." Heute gibt es Tomaten in allen möglichen Farben, das merkt man schon an ihren lustigen Namen: Gelbe Helene, Black Plum, Pink Ping Pong, Braunes Ei, Colossal Golden Burgess, Grünes Zebra, Schlesische Himbeere, Tiny Tiger, Gelbe von Thun und Würmli. Da wäre Rilke mit den Tagen ganz schön durcheinandergekommen.

Getränk

Eine Tomate besteht zu 95 Prozent aus Wasser, ist also mehr trinken als essen. Dazu ein paar Kohlenhydrate und Kalium. Etwa ein Tausendstel sind dann die 400 anderen Inhaltsstoffen, unter ihnen auch: Vitamine. Das Wort Tomate kommt aus der Sprache der Azteken, die schon vor 2800 Jahren Tomaten anbauten, "xitomatl" heißt so viel wie "anschwellen".

Auf den Augen

Wer "Tomaten auf den Augen" hat, der übersieht das Offensichtliche. Woher kommt diese Redewendung? Meinte man damit Menschen, die bei grüner Ampel nicht losfahren, also rotsehen, obwohl doch grün ist? Oder Unausgeschlafene, die mit geröteten Augen unaufmerksam durch die Gegend stolpern? Manche Forscher sagen auch, die Redewendung käme aus dem spanischen Mittelalter. Wurde damals jemand zum Beispiel beim Klauen erwischt, soll er mit genau diesen Worten "Tomates en los ojos!" Tomaten vor die Augen gebunden bekommen haben. Die durfte er tagelang nicht abnehmen. Das hatte zwei Effekte: Einerseits sahen alle, dass er geklaut hatte, andererseits rumpelte er überall an, als ob er, nein weil er Tomaten auf den Augen hatte.

Wurfgeschoss

Die Tomate ist die Protestigste unter allen Früchten. Gerade ein bisschen matschig, aus der Küche ausrangiert, eignet sie sich perfekt als Wurfgeschoss. Sie liegt gut in der Hand, hat ein gerade richtiges Wurfgewicht und ist unberechenbar sauereiig wie ungefährlich beim Aufprall. Einen großen Auftritt hatte die Tomate als Wurfgeschoss vor etwa 50 Jahren in Frankfurt am Main. Die Studentin Sigrid Rüger schleuderte eine Tomate Richtung Bühne. Damit gab sie der Bewegung, die sich für die Rechte der Frauen einsetzte neuen Schwung. Noch heute hat die Socialistische Partij, eine linke Partei in den Niederlanden, die Tomate als Symbol in ihrem Logo.

Süßigkeit

Ob Tomaten Obst oder Gemüse sind, ist umstritten. Botanisch gesehen sind sie Obstfrüchte, also mehr Apfel als Karotte. Aus dem Bauch heraus würde man sie aber eher auf die Gemüseseite legen. Letztlich ist es egal. Auch wenn sie zwischendurch wegen Fadheit in Verruf gerieten, als "Wasserbomben" oder - neben fest, flüssig und gasförmig als - "vierter Aggregatzustand des Wassers" beschimpft wurden, in den letzten Jahren arbeiten Tomatenforscher wieder mehr am Geschmack. Problem der Tomate ist sicherlich, dass sie als Dauergemüse gehandelt wird. Aber was man im Winter im Supermarkt kaufen kann, sieht nur so aus wie eine Tomate. In Wahrheit ist jetzt Saison, beste Tomatenzeit! Tipp: Am besten direkt nach der Ernte essen. Schon nach 20 Minuten beginnt eine Tomate erste Aromastoffe zu verlieren. Und was ohnehin klar ist: Weder Pizza noch Pommes könnten ohne sie so saugut sein, wie sie sind.

Weltallerfahren

Tomaten gibt es auf der ganzen Welt. Die Tomate ist eine der wenigen Pflanzen, die schon im Weltall gewachsen ist, in einem Satelliten 600 Kilometer über der Erde. Auf den Galapagos-Inseln gibt es eine Wildtomatenart, die unempfindlich gegen Salzwasser ist, eine Art Strandtomate. Tomaten wurden schon mit allem möglichen gekreuzt: Mit Tabak (Tomacco), Kartoffel (Tomoffel), gerade arbeiten Züchter an einer Chilomate, die scharfe Variante. Was würdest du dir für eine Tomate wünschen?

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: