Ein Leser fragt:
Wenn ich in die Arbeit gehe, habe ich ein schlechtes Gewissen, weil ich nicht bei meinen Kindern bin. Wenn ich bei meinen Kindern bin, habe ich ein schlechtes Gewissen, dass ich nicht arbeite. Die Folge ist: Ich habe andauernd ein schlechtes Gewissen. Wie kann ich mich aus diesem unguten Dilemma zwischen Job und Familie lösen? Nikolaus M., Garching
Experten antworten:
Kirsten Boie: Ihre Kinder brauchen Sie nicht jede Minute des Tages
Da stecken Sie in haargenau dem Dilemma, das bisher nur berufstätige Mütter kannten. Und es zeigt, wie sehr sich das Selbstverständnis der Väter geändert hat, wenn es Ihnen jetzt genauso geht und wenn Sie sich jetzt genauso verantwortlich für die Kinder fühlen wie früher nur die Mütter. Das ist doch großartig! (Natürlich in der Konsequenz nicht für Sie ...) Aber wie für Mütter gilt auch für Sie: Ihre Kinder brauchen Sie nicht jede Minute des Tages, wohl aber brauchen sie dann eine gute Betreuung.
Viele Untersuchungen zeigen, dass die Kinder von den Anregungen in der Kita enorm profitieren, sowohl was die kognitive als auch was die Entwicklung des Sozialverhaltens betrifft. Wenn also gewährleistet ist, dass Ihre Kinder während Ihrer Abwesenheit gut betreut sind, dann sind sie sicher auch sehr glücklich über einen Vater, der sich in der Zeit, in der er bei ihnen sein kann, wirklich mit ihnen beschäftigt. Das ist für Ihre Kinder viel wichtiger als Ihre permanente Anwesenheit zu Hause. Vielleicht wüssten Sie die Zeit mit den Kindern dann auch gar nicht so zu schätzen und würden sich nicht halb so intensiv auf sie einlassen, wie Sie das jetzt tun können.
Jesper Juul:
Gehen Sie in einen Wald, buddeln Sie dort ein großes Loch und vergraben Sie darin Ihr schlechtes Gewissen. Für immer. Denn das schlechte Gewissen ist weder gerechtfertigt noch tut es irgendjemandem gut - ganz im Gegenteil: Es beschmutzt Ihr Vatersein und den Wert, den Ihr Vatersein hat, ebenso wie den Ihres Jobs. Außerdem hindert es Sie daran, Ihr Leben und Ihre Kinder zu genießen.
Katia Saalfrank:
Sie scheinen hier wirklich in einem unguten Dilemma zu stecken. Für mich stellt sich nur die Frage, wie Sie da hineingeraten sind? Vielleicht können Sie zunächst für sich selbst einen Schritt zurücktreten und überlegen, wie das Gefühl bei Ihnen entstanden ist und seit wann es Sie begleitet. Woher kommt denn diese innere Zerrissenheit, wem wollen Sie es recht machen? Gibt es jemanden, der Ihren Druck von außen verstärkt, oder kommt dieser ausschließlich aus Ihnen heraus zustande? Weiterhin: Was wäre für Sie denn eine gute und ausreichende Zeit für beide Bereiche, den Job und die Familie? Sie sollten sich bewusst entscheiden, wann und wie viel Zeit Sie dem einen oder auch dem anderen Bereich zuwenden, und sich auch selbst darüber bewusst werden, was Sie wollen und wo Sie eventuell auch nur das Gefühl haben, bestimmten Erwartungen von außen nicht zu entsprechen. Dabei wünsche ich Ihnen alles Gute!