Erziehungsfragen:Ist es falsch, ein Kind nur in der Öffentlichkeit zu maßregeln?

Der Vierjährige schimpft wie ein Rohrspatz. Daheim warten die Eltern einfach ab, auf der Straße aber ist ihnen der wütende Sohn peinlich. Wie geht man damit um? Drei Experten geben Rat.

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Quelle: imago/Westend61

Unser vierjähriger Sohn schimpft oft wie ein Rohrspatz. Daheim haben wir aufgehört, darauf zu reagieren, auch weil es überhaupt nichts bringt und wir einfach abwarten, bis es vorüber ist. In der Öffentlichkeit ist es uns hingegen äußerst peinlich, wenn er mal wieder zwanzig Mal "Du bist blöd!" schreit. Ist es falsch, unser Kind nur in der Öffentlichkeit zu maßregeln? Kai S., Augsburg

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Kirsten Boie

Kirsten Boie

Quelle: Christian Charisius/dpa

Wir empfinden es als urkomisch, wenn ein so kleines Kind schimpft und uns mit den lustigsten Schmähbegriffen belegt (vor allem, wenn niemand anderes etwas davon mitbekommt). Wir wissen ja, dass dieses Verhalten aus seiner Frustration, seiner Hilflosigkeit und seinem Gefühl entspringt, klein und von den Großen abhängig, ihnen sogar ausgeliefert zu sein. Es ist toll, wenn Sie das so einordnen können und sich nicht gekränkt fühlen. Aber wenn das Kind älter ist, finden wir es nicht mehr ganz so komisch, und was es mit vierzehn Jahren macht, lernt es mit vier. Außerdem lernt Ihr Sohn gerade, dass zu Hause und in der Öffentlichkeit unterschiedliche Regeln gelten, weil die Meinung der anderen offenbar so wichtig ist: Es handelt sich nicht um Normen, sondern um das Bild, das man abgibt; es geht nicht um richtig oder falsch, sondern darum, dass die anderen nicht schlecht von einem denken. Versuchen Sie, hier wie dort möglichst ähnlich zu handeln.

Kirsten Boie ist Schriftstellerin und Autorin von mehr als hundert Kinder- und Jugend- büchern, darunter die allseits bekannten und geliebten Geschichten "aus dem Möwenweg" oder die Abenteuer des kleinen "Ritter Trenk".

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Jesper Juul

Jesper Juul

Quelle: Anne Kring

Es ist okay, aber Ihr Sohn wird nicht damit aufhören, bis Sie zu Hause für Klarheit sorgen. Die meisten Drei- bis Vierjährigen benutzen eine Weile lang Schimpfwörter, um herauszufinden, wie sie im Umgang mit anderen funktionieren. Da braucht es Eltern, die ihnen freundlich, ernst und klar ihre Grenzen zeigen - ohne Kritik an ihnen zu üben. Etwa so: "Ich mag nicht, wenn du solche Wörter benutzt, und will, dass du damit aufhörst." Mehr nicht. Keine Versprechen, keine Abkommen, keine Drohungen, keine Strafen. Geben Sie Ihrem Sohn dann die Zeit und den Raum, die Ansage auch zu verdauen. Das trifft auf all unsere persönlichen und sozialen Grenzen zu und wie unsere Kinder diese aufnehmen und daraus lernen. Wenn wir versuchen, das Verhalten unserer Kinder zu korrigieren, fühlen sie sich schlecht und nicht geschätzt. Das führt oftmals dazu, dass sie anfangen, das Benehmen der Eltern zu kopieren. Auch wenn die meisten Eltern niemals die gleiche Sprache benutzen würden wie ihr Kind, so senden sie doch die gleiche Botschaft: Wenn du dich so verhältst, lieben wir dich nicht.

Jesper Juul ist Familientherapeut in Dänemark und Autor zahlreicher internatio- naler Bestseller zum Thema Erziehung und Familie.

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Collien Ulmen-Fernandes

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Quelle: Anatol Kotte

Auch im Fall Ihres Sohnes gilt die Internet-Weisheit "Don't feed the trolls". Er scheint sich in demselben Flow zu befinden wie viele Erwachsene, deren innere Balance darauf angewiesen ist, ab und zu mal irgendjemanden zusammenzustauchen, wenn alles zu viel wird. Glücklicherweise hat unsere Gesellschaft Rahmen und Orte geschaffen, an denen Schimpfkanonaden nicht nur okay, sondern sogar erwünscht sind: der Verkehr auf einem Autobahnzubringer freitags zwischen 16 und 19 Uhr oder der Fußballplatz. Dort hat sich das Schimpfen als universelles Esperanto etabliert, das jeder versteht. Vielleicht sollten Sie mit Ihrem Sohn ab und zu einen solchen Ort aufsuchen, wo er nicht nur schimpfen darf, sondern sogar schimpfen soll und wo er ganz harmonisch unter seinesgleichen seiner allerliebsten Tätigkeit nachgehen kann. Dort, wo dieses Verhalten nicht tabuisiert ist, sondern als eine ganz normale Form der zwischenmenschlichen Kommunikation gewollt ist, wird es ihm vielleicht langweilig.

Collien Ulmen-Fernandes ist Schauspielerin, Model und Moderatorin. Die junge Mutter hat bereits mehrfach Texte zum Thema Elternsein veröffentlicht, 2014 erschien von ihr das Buch "Ich bin dann mal Mama".

© SZ.de/dit
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