Süddeutsche Zeitung

Familientrio:Streit um die Privatschule

Ein Junge hat Lernschwächen und geht deshalb als einziges Kind aus der Familie auf eine private Schule. Seine Brüder finden das nicht fair. Was raten unsere Erziehungsexperten?

Ich habe drei Kinder, das mittlere hat ADHS und diverse Lernschwächen. Eigentlich nur deswegen geht er seit der 5. Klasse auf eine Privatschule, die anderen besuchen das Gymnasium ums Eck. Doch weil an seiner Schule viele Dinge stattfinden, die die Regelschule nicht bietet (Klassenfahrt in die USA, Filmstunden, Zirkusprojekt), sind meine anderen Söhne eifersüchtig. Wir können es uns aber nicht leisten, alle drei auf die Privatschule zu schicken. Haben Sie eine Lösung?

Caro S., München

Margit Auer:

Haben wir es hier nicht eher mit einem Luxusproblem zu tun? Zwei Kinder besuchen "das Gymnasium ums Eck", das andere eine Privatschule. Alle drei scheinen sich im Großen und Ganzen wohlzufühlen. Das einzige Problem ist, dass die einen in die USA fahren und die anderen "nur" an den Chiemsee. Was ist gegen den Chiemsee zu sagen? Wieso sind Filmstunden besser als die Schach-AG? Oh ja, das Leben steckt voller Ungerechtigkeiten. So wird es immer sein, und eigentlich sollten die Kinder längst alt genug sein, um das zu wissen. Mal hat der eine mehr Glück, mal der andere. Der eine hat die gute Note um einen Punkt verpasst, beim anderen wurde ein Fehler übersehen, und er freut sich über "ausreichend" statt "mangelhaft". Lassen Sie alles so, wie es ist, begleiten Sie sie beim Erwachsenwerden und wenden Sie sich, wenn Sie Energie übrig haben, den wirklich großen Ungerechtigkeiten des Lebens zu: Krieg, soziale Ungleichheit, Ausbeutung der Umwelt. Übrigens kann man auch selbst Initiativen starten, wenn einem ein Angebot an der Schule abgeht. Wäre das was?

Herbert Renz-Polster:

Nein, ich habe keine Lösung. Ich finde, die haben Sie schon gefunden. Und sie führt mitten rein in das, was Familie nun einmal ist: ein Ort, an dem Interessen ausgeglichen werden - so gut es geht. An dem Bedürfnisse berücksichtigt werden - so gut es geht. Ein Ort auch, in dem man offen darüber redet, was geht, was nicht und warum und warum nicht. Versuchen Sie, Ihre Gründe zu benennen, auch, dass Ihr lernschwächerer Sohn nicht aus Jux und Tollerei auf die Privatschule geht, sondern weil er in manchen Dingen benachteiligt ist und es schwerer hat als andere, etwa auch als seine Brüder. Und weil er an der anderen Schule auf seine Schwächen festgenagelt worden wäre (ist ja leider die Regel an der Regelschule, und ich glaube, hier werden die anderen Brüder mitschwingen können). Je klarer Sie sich sind, dass hier niemand wirklich in seinem Entwicklungsrecht zu kurz kommt und das Mögliche mit dem Notwendigen zusammengeht, desto klarer können Sie Ihre Position vermitteln. Das heißt nicht, dass Ihre beiden Söhne dann nicht mehr eifersüchtig sind, und das heißt nicht, dass Sie nicht versuchen sollten, auch Ihnen entgegenzukommen - etwa mit einem Zuschuss für eigene Auslandsreisen. Wenn es denn geht.

Collien Ulmen-Fernandes:

Ihre Frage erinnert mich daran, dass ich regelmäßig aufgebrachte Posts im Internet lese, in denen jemand fordert, die erste Klasse in der Deutschen Bahn abzuschaffen - das sei ja so ungerecht und erzeuge nur Neid. Mich macht das wütend, weil das Problem nicht die Existenz der ersten Klasse ist, sondern die der zweiten! Es ist die zweite Klasse, die abgeschafft gehört, wenn man will, dass alle Menschen ein gutes und angenehmes Leben führen. So sehe ich das, und das Problem lässt sich auf viele Bereiche übertragen - zum Beispiel auf das Schulsystem. Die Frage sollte nicht sein, wie man es schafft, dass mehr Kinder auf Privatschulen gehen, sondern warum zum Teufel öffentliche Schulen nicht dieselbe Qualität anbieten können. Zu Ihrer Situation: Ich habe leider keine Lösung für Sie und befürchte, dass mein Revoluzzer-Gestammel nur ein schwacher Trost für Sie und Ihre Kinder sein dürfte, da das Problem ja ein grundsätzliches ist. Und wie es mit grundsätzlichen Ungerechtigkeiten nun mal so ist, wird es bis zu ihrer Lösung noch sehr lange dauern, wenn es überhaupt dazu kommt. Alles, was ich Ihnen raten kann, ist: Versuchen Sie, im Alltag auf anderen Wegen Gerechtigkeit herzustellen.

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SZ vom 11.06.2022
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