Familientrio:Mein Kind, der Dieb

Eine Tochter packt im Laden unbemerkt zwei Matchboxautos ein. Die Mutter hat wenig Lust zurückzufahren. Lernt das Kind nun, dass Klauen okay ist? Unsere Familienexperten antworten.

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Jutta S., München, fragt:

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Quelle: Alessandra Schellnegger

Meine zweijährige Tochter trägt immer ein Täschchen mit sich herum. In einem Secondhand-Laden hat sie zwei Matchboxautos eingepackt. Ich habe das erst zu Hause bemerkt und hatte keine Lust, sie zurückzubringen, weil das Geschäft so weit weg war. Die Autos haben auch nur 20 Cent gekostet. Trotzdem habe ich jetzt die Sorge, dass ich ihr beibringe, dass Stehlen in Ordnung ist.

Haben Sie auch eine Frage? Schreiben Sie eine E-Mail an: familientrio@sueddeutsche.de.

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Kirsten Fuchs

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Quelle: Stefanie Fiebrig

Ich verstehe die Frage nicht. Natürlich müssen Sie die Autos zurückgeben. Das ist die kurze Antwort. Ich liefere Ihnen aber auch gerne eine längere Ausführung: Ich befürchte, die Zeit müssen Sie sich einfach nehmen: Sie müssen in den Laden fahren und sagen: "Meine Tochter hat diese Autos mitgenommen, weil sie es nicht besser wusste." Und dann reicht Ihre Tochter mit großen Augen die kleinen Autos über den Ladentisch und entschuldigt sich und das merkt sie sich für immer. Eine perfekte Situation für Erziehung statt Wurschtigkeit. Du sollst nicht stehlen, so steht es schließlich in den zehn Geboten. Jetzt nur mal als Vergleich ein anderes Gebot, aber in der Erwachsenenwelt: "Ich habe das Finanzamt angelogen, aber ich wohne in einem anderen Land, und darum ist das nicht so schlimm, weil ist ja weit weg." Schlechtes Beispiel, fällt mir gerade auf, denn genau so wird's ja leider gemacht. Damit Ihre Tochter später keine Steuern hinterzieht, muss sie also die Autos zurück geben, denn Regeln sind Regeln.

Kirsten Fuchs ist Schriftstellerin und lebt mit Tochter, Mann und Hund in Berlin. Sie schreibt vor allem Kurzgeschichten und Romane, aber auch Theaterstücke sowie Kinder- und Jugendbücher. Ihr Buch "Mädchenmeute" erhielt 2016 den Deutschen Jugendliteraturpreis.

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Jesper Juul

Jesper Juul

Quelle: Anne Kring

Sie sollten die Autos sofort zurückbringen, ganz egal, wie weit der Laden weg ist. Idealerweise nehmen Sie Ihre Tochter mit und bitten sie, sie selbst zu übergeben. Dazu können Sie etwas sagen wie: "Aus irgendeinem Grund sind diese Autos in der Handtasche meiner Tochter gelandet, also wollten wir sie zurückgeben." Auf diese Weise können Sie die Sache wiedergutmachen, ohne irgendwen zu beschuldigen und ohne das ganze Konzept von Diebstahl in ihren unschuldigen Kinderkopf einzuführen. Wenn so etwas noch einmal passiert - sei es in einem Laden, bei einem Freund, Onkel, Oma oder Nachbarn -, sagen Sie einfach: "Ich sehe, dass dir diese Sachen sehr gut gefallen, und dass du sie gerne hättest. Aber bevor du sie dir nehmen darfst, musst du fragen, ob das geht."

Jesper Juul ist Vater, zweifacher Großvater und Familientherapeut in Dänemark. Er hat zahlreiche Erziehungsratgeber geschrieben, darunter den in 14 Sprachen übersetzten Bestseller "Dein kompetentes Kind".

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Collien Ulmen-Fernandes

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Quelle: Anatol Kotte

Erstens: Mit zwei Jahren zeichnet sich meiner Meinung nach noch nicht ab, ob ein Mensch irgendwann Profidieb wird, Kunstfälscher oder Kreditbetrüger. Zweitens: Ich glaube nicht, dass Ihre Tochter sich noch lange an den Vorfall erinnern wird. Außerdem gehe ich davon aus, dass auch Ihre Tochter noch in die Dieb-Phase kommen wird. Alles Böse der Welt, jede negative Eigenschaft vereint sich in dieser Phase in der Figur des Diebes. Überall sehen Kinder in dieser Zeit Diebe. Ständig kommt die Frage, ob Person XY auf der Straße ein Dieb sei. Mein Highlight in der Dieb-Phase war eine Gruppe sechsjähriger Detektive, die vom dritten Stock durch ein Fenster Menschen im Hof beobachteten und diskutierten, bei wem es sich um einen Dieb handle und bei wem nicht. Der Rentner von gegenüber? Bestimmt ein Dieb! Herr Fischer von nebenan? Man weiß es nicht so genau! Ihre Tochter wird diese Phase bestimmt auch erleben und denselben moralischen Furor gegen Diebe haben wie ihre Klassenkameradinnen. Und bis dahin sollten Sie die Matchbox-Autos zurückgebracht haben.

Collien Ulmen-Fernandes ist Schauspielerin und Moderatorin. Die Mutter einer Tochter hat mehrfach Texte zum Thema Elternsein veröffentlicht, 2014 erschien von ihr das Buch "Ich bin dann mal Mama".

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Quelle: SZ

Weitere Leserfragen und Expertenantworten finden Sie auf unserer "Familientrio"-Übersichtsseite.

© SZ vom 27.10.2018/eca
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