Das Fell riecht nach totem Nagetier. Es fühlt sich struppig und stumpf an. Die ehemals gelb-schwarzen Streifen sind ausgebleicht. Ein Auge hängt schief am Kopf. Das linke Vorderbein wirkt porös, die Schnurrbarthaare fehlen, seit sie vor 35 Jahren mit einer Bastelschere gestutzt wurden. In freier Wildbahn hätte ein halb blinder, lahmer Tiger ohne Spürhaare keine Überlebenschance. Doch der Stofftiger ist schon 40 Jahre alt, nur geringfügig jünger als sein Besitzer - und er wird trotz seines desolaten Zustandes gehütet wie ein Schatz.
Liebe kann sich lange halten, auch wenn sie nicht aktiv erwidert wird, manchmal sogar ewig. Beim einen ist es ein kleiner Tiger mit dem phantasievollen Namen "Tiger", beim anderen der Bär "Pezi", die Puppe "Gela" oder der Affe "Gogo". Eigentlich sind Stofftiere ja als Kuschelkameraden für Kinder gedacht; Psychologen sprechen von "Übergangsobjekten", die den Kleinen dabei helfen sollen, ohne Körperkontakt mit den Eltern einzuschlafen. Doch manchmal bleiben diese Übergangsobjekte in ihrer Funktion erhalten, selbst wenn die Besitzer schon graue Haare haben.
Die wenigsten Menschen geben es öffentlich zu, aber erstaunlich viele teilen das Bett mit einem Gefährten aus Plüsch. Jeder siebte Erwachsene verreist mit seinem Kuscheltier, wie eine repräsentative GfK-Umfrage bei 1100 Deutschen ergeben hat. Demnach will fast jede fünfte Frau (19 Prozent) nicht auf das Schmusetier verzichten, bei den Männern ist es jeder neunte (elf Prozent). Eine Gefälligkeitsstudie, von der Plüschtierindustrie gesteuert? Keineswegs. Eine nicht repräsentative Umfrage unter Freunden und Kollegen bringt Ähnliches ans Licht. Leute, die sonst auf harten Hund machen, bekommen beim Gedanken an ihren Kuschelhund aus Kindertagen feuchte Augen. Erwachsene Männer, die hier lieber anonym bleiben wollen, geben zu, dass sie niemals ohne ihren Stoffhasen auf Geschäftsreise gehen würden. In Flugzeugen kann man erwachsene Frauen dabei beobachten, wie sie sich bei Start und Landung ängstlich an ihren Teddy klammern.
Mark Nixons Sohn Callum bekam "Peter Rabbit" vor zehn Jahren von seiner Urgroßmutter.
(Foto: Mark Nixon)Kuscheln mit "Black Friday"
Die Liebe zu einem Plüschtier scheint bei vielen Leuten eine Konstante im Leben zu sein - jedenfalls verlässlicher als vieles, was man in realen Liebesbeziehungen sonst so erlebt. Kein Wunder, ein Stofftier sagt abends nicht: "Wir müssen reden, Schatz." Die Frage "Wann hast du zuletzt einen Putzlappen in der Hand gehabt?" verbietet sich gegenüber einem Wesen, das keine Hände hat und selbst eine Art ausgestopfter Lappen ist. Mehr Phantasie, öfter mal ins Theater, gemeinsame Pläne - kann man von einem nett grinsenden Tier, dessen Kopf mit Schaumstoff gefüllt ist, einfach nicht verlangen. Die einen sagen, das sei ein Nachteil gegenüber einem Gefährten aus Fleisch und Blut, die anderen werten es als klaren Vorteil.
Weil die Verkaufszahlen für klassische Schmusetiere für Kleinkinder zurückgehen - schuld sind die miesen Geburtenraten - setzen einige Hersteller bereits auf Erwachsene als Zielgruppe. Der fränkische Stofftierhersteller Sigikid hat eine Produktreihe auf den Markt gebracht, zu der 80 skurrile Figuren gehören, unter anderem der Stier "Macho Gazpacho", die Börsenratte "Black Friday" und "U-Bahn-Ulli". Gibt es tatsächlich verzweifelte Banker, die weinend mit "Black Friday" kuscheln oder "U-Bahn-Ulli" anschreien, wenn der Dax abstürzt? Wenn ja, möchte man das auf keinen Fall mit ansehen müssen.
Die Firma Steiff hat besonders wertvolle Bären für Erwachsene im Angebot, die damit nicht in erster Linie zum Schmusen bewegt werden sollen, sondern zum Sammeln. Schmusetiere als Wertanlage? Das kann auch schiefgehen. Ein hochverschuldeter Hedgefonds-Manager machte vor einiger Zeit von sich reden, als er seine 655 Exemplare umfassende Teddy-Sammlung aus Geldnot versteigern lassen musste. Vielleicht hätte der arme Mann genau in diesem Moment einen Kuschelbären gebraucht. Immerhin, der Erlös lag bei 1,23 Millionen Euro.
Das Kleid des über 50-Jährigen Bären Peter ist der einzige Strickversuch, den Bärenbesitzerin Maeve je unternommen hat.
(Foto: Mark nixon)Kuscheln hilft bei vielen Problemen
Einer gewissen Maeve gehört das Tier seit 1981. Es sei stets ein guter Zuhörer gewesen, sagte sie dem Fotografen Mark Nixon.
(Foto: Mark nixon)Kuscheln hilft ziemlich sicher bei vielen Problemen. Wissenschaftler fanden in den 60er Jahren heraus, dass Schmusen und Kraulen für die Entwicklung von Primaten überlebenswichtig sind. Ein amerikanischer Psychologe mit dem Stofftiernamen Harry Harlow ließ bei einem Experiment Affenjunge getrennt von ihren Familien aufwachsen und stellte fest, dass sich die Tiere anschließend asozial verhielten - ihnen fehlte der Körperkontakt mit Spielkameraden. Wenn man ihnen zwei Affenattrappen vorsetzte, die eine mit Fellimitat, die andere ohne, kuschelten sich die Jungen immer an den haarigen Ersatzaffen.
Bei Menschen scheint es ähnlich zu sein. Das Kuscheltier von Kleinkindern ist zwar kein vollwertiger Ersatz für menschliche Streicheleinheiten, aber es hat offenbar einen so wichtigen Platz im persönlichen Liebesuniversum, dass die Beziehung oft bis ins Erwachsenenalter bestehen bleibt.
"Die Liebe erträgt alles, / glaubt alles, / hofft alles, / hält allem stand. Die Liebe hört niemals auf", heißt es in der Bibel (1. Korinther, 13). Allerdings muss man aus Sicht der Kuscheltiere hinzufügen, dass der Liebe dann doch nicht alles standhält, besonders wenn sie nicht aufhört.
Veteranen unter den Stofftieren
Besitzer Tom legte den 43 Jahre alten Bären ins Bett seines neugeborenen Sohnes. Dessen Mutter verbannte Ted ins Regal.
(Foto: Mark Nixon)Die Zuneigung zu den weichen, stummen Geschöpfen scheint oft hartnäckiger zu sein als das Material, aus dem sie gemacht sind. Jahrelanges Schmusen hinterlässt Spuren. Die Opfer sehen aus, als wären sie nur noch einen Schritt entfernt vom Friedhof der Kuscheltiere.
Einige besonders erschütternde Beispiele von fast zu Tode geliebten Wesen hat der irische Fotograf Mark Nixon gesammelt. Für sein Buch "Much loved" fotografierte er heftig geliebte Kuscheltiere von Freunden und Familienmitgliedern. Der einäugige Teddy "Aloysius", 55, sieht mit seinem zerrupften Ohr, dem fehlenden Arm und dem einen Auge exakt so alt aus, wie er ist. "Gerry", die Giraffe, besteht nur noch aus einem Kopf, einem Hals und ein paar Beinstummeln, der Rest ist verschwunden. Das Leben von Teddy "Ted" hängt an einem dünnen Faden, der seinen Kopf notdürftig am Körper hält. Manche Porträts wirken wunderbar sentimental, manche könnten Stoff für einen Stofftier-Horrorfilm sein.
Nixon hatte die Idee zu dem Fotoprojekt, als sein Sohn Callum einen Hasen namens "Peter Rabbit" von seiner 99-jährigen Urgroßmutter zur Geburt geschenkt bekam. Jedes der porträtierten Tiere im Buch erzählt eine sehr persönliche Geschichte. Der Bildband ist ein Tribut an die strapazierten Helden unserer Kindheit und ein Hohelied auf die bedingungslose Liebe. Die Veteranen unter den Stofftieren mögen äußerlich betrachtet oft beklagenswert aussehen. Doch das Wichtigste ist umso besser zu erkennen: die Seele.
Vor 50 Jahren teilten sich Gerry und sein Bruder Mano den Einäugigen. Heute schmust damit Gerrys Tochter.
(Foto: Mark Nixon)