Süddeutsche Zeitung

Ernie und Bert:Da läuft doch was

  • Gerade wird wieder einmal öffentlich darüber spekuliert, ob Ernie und Bert aus der "Sesamstraße" nicht vielleicht doch homosexuell sind.
  • Uraltes Thema, gerade mal wieder hochgekocht durch ein US-amerikanisches Schwulenmagazin, das einen der Autoren der fast 50 Jahre alten Kindersendung dazu befragt hat.
  • Bleibt die Frage, ob das Verhältnis der beiden irgendjemanden etwas angeht.

Von Martin Zips

Ob man die Puppen denn mal kurz fotografieren dürfe, wie sie da so in der Werkstatt hängen, wollte man damals, im Jahr 2011, von Cheryl Henson wissen. Doch die Tochter von Muppet-Vater Jim Henson und Chefin der Jim Henson Foundation reagierte fast empört. "Unsere Puppen", sagte sie, "die haben Würde." Und etwas, was gerade tot an der Stange hänge, dürfe man selbstverständlich nicht fotografieren. Und dann nahm Cheryl in den Werkstätten des Sesame Workshops im New Yorker Stadtteil Queens den leblosen Bert von der Stange und zog ihn einer Mitarbeiterin über den Arm, damit er den Reporter mit großen Augen und weit ausgestreckten Armen umarmen möge.

Das mit der Puppenwürde ist heute freilich so eine Sache, wenn - wie gerade mal wieder - öffentlich über die Sexualität von Ernie und Bert aus der "Sesamstraße" spekuliert wird. Sind die beiden homosexuell? Und wenn? Ein uraltes Thema, neu hochgekocht durch ein US-amerikanisches Schwulenmagazin, das einen der Autoren der fast 50 Jahre alten Kindersendung dazu befragt hat. Mark Saltzman erzählte hier, er habe beim Verfassen der Ernie-und-Bert-Sketche die beiden stets als schwules Pärchen gesehen und sich dabei von seiner eigenen Beziehung mit dem (2003 gestorbenen) Film-Cutter Arnold Glassman inspirieren lassen. Die LGBT-Szene jedenfalls jubelte: Ernie und Bert schwul!

Hat man schon immer gewusst! Tatsächlich scheinen sich einige Erwachsene für die intimen Vorlieben alter Bekannter aus der Kindheit sehr zu interessieren. Manfred Deix etwa zeichnete einst Obelix, nackt im Wald "Asterwix" lesend. Und die Frage, wie genau es sich ein Frosch nachts im Bett neben einem Schwein bequem machen kann, füllt auch heute noch die Foren hoch spezialisierter Muppet-Fans. Aber nein, erklärte der Sesame Workshop jetzt sofort nach dem Saltzman-Interview, Ernie und Bert seien nichts anderes als "beste Freunde". Ihre sexuelle Orientierung, das habe man schon oft gesagt, spiele keine Rolle. Auch Saltzman ruderte zurück. Er habe die Puppen niemals festlegen wollen, erklärte er entschuldigend.

Spielt es für Kinder überhaupt eine Rolle, ob die langjährigen WG-Partner Ernie und Bert schwul sind?

Es war die Generation von Jim Henson, Astrid Lindgren, Michael Ende, René Goscinny und Ellis Kaut, die - noch unter den Eindrücken eines Weltkriegs stehend - Kindern mit ihren Geschichten Werte vermitteln wollte. Die von ihnen geschaffenen Figuren standen für Frieden, Freundschaft, Freiheit - und die befreiende Wirkung des Humors. Wie schmerzhaft für ihre Fans, als sie später erleben mussten, wie ihre Helden diskreditiert oder kommerzialisiert wurden, ja sogar vor Gericht landeten: Über Jahre hin zog sich die juristische Auseinandersetzung zwischen Pumuckl-Autorin Ellis Kaut und Pumuckl-Zeichnerin Barbara von Johnson über die Rechte an der Kobold-Optik. Wie deprimierend verlief die feuilletonistische Debatte, ob die Darstellung des in Lummerland gelandeten, dunkelhäutigen Jim Knopf oder von Pippi Langstrumpfs Vater, einst "Negerkönig" von Taka-Tuka-Land, heute "Südseekönig", nicht doch schlimm rassistisch sei (Pippi wäre wohl die Letzte, die jemanden wegen irgendwelcher Äußerlichkeiten ausgrenzen würde). Oder ob nach der Streichung von "Ich wichse euch mit dem Besen durch" nicht auch noch andere wüste politische Inkorrektheiten endlich aus Otfried Preußlers "Die kleine Hexe" getilgt werden müssten. Ja, selbst die (darf man ihn so nennen?) lebende Weihnachtsbäckerei Rolf Zuckowski, 71, beklagte sich jüngst in einem Interview: "Die Sprache der Liedermacherinnen und Liedermacher ist nicht einfach mit den Wünschen der Gendergerechtigkeit zu synchronisieren."

Die Frage ist: Spielt es für Kinder überhaupt eine Rolle, ob die langjährigen WG-Partner Ernie und Bert schwul sind, der Pumuckl vielleicht eine Geschlechtsumwandlung hinter sich hat und Pippi Langstrumpf heute in einer offenen Beziehung mit Tommy und Annika lebt?

Kinderliteratur, so sagte einmal die Ende Juni gestorbene österreichische Kinderbuchautorin Christine Nöstlinger, werde von vielen heute nur noch als "Pädagogikpille, eingewickelt in Geschichterlpapier" wahrgenommen. Das sei ein schlimmer Fehler. Und auch die erfahrene Kinderfernsehkritikerin Sybil Gräfin Schönfeldt, 91, warnt am Telefon: "Vor lauter Aufpasserei sollten wir niemals den Blick auf das Wesentliche verlieren!" Gerade zum Beispiel sei sie im Museum mit ihrer Krücke in Richtung Behindertentoilette gehumpelt, da habe man ihr mitgeteilt, nein, das hier sei die Behindertentoilette für Männer. Die für Frauen sei auf der anderen Seite.

Beim Sesame Workshop jedenfalls kann man schon sehr, sehr leidenschaftlich werden, wenn es um die Verteidigung von Werten alter Kinderstars geht. Und ist ein Mitarbeiter nicht mehr tragbar, so wird er - wie der Elmo-Spieler Kevin Clash nach Missbrauchsvorwürfen im Jahr 2012 - sofort abgelöst. Das rothaarige Monster Elmo übrigens liebt es, alle Menschen sofort zu umarmen. Könnte natürlich auch eine Zwangsstörung sein.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4136128
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 20.09.2018/fzg
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.