Süddeutsche Zeitung

Ernährung:"Kochen ist eindeutig Frauensache"

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Der Sonntagsbraten ist abgeschafft und Männer meiden noch immer die Küche - eine Forscherin über die Tischkultur deutscher Familien.

Felix Berth

SZ: Was ist aus dem deutschen Sonntagsbraten geworden?

Meier-Gräwe: Er ist in Familien nicht mehr die Norm. Am Samstag - dem Einkaufstag - gibt es irgendwas, was sich schnell machen lässt, zum Beispiel Linsensuppe aus der Dose. Sonntags ziehen viele Familien ein ausgiebiges Frühstück vor. Das passt oft viel besser zu den Wünschen von Familien mit berufstätigen Eltern, die am Wochenende ausschlafen wollen und trotzdem eine gemeinsame Mahlzeit möchten.

SZ: Essen in der Familie hat im Idealfall etwas Verbindendes. Welche Familien erreichen das?

Meier-Gräwe: Der Wunsch ist in allen Familien präsent. Oft lässt er sich aus Zeitgründen nicht realisieren. Am ehesten schaffen es die Frauen, die sich eher traditionell nach einem Halbtagsjob um die Mahlzeiten kümmern - wir haben sie "Ernährungsministerinnen" genannt. Den Karrierefrauen gelingt es mittags garnicht. Sie legen dann großen Wert auf das Abendessen.

SZ: Gilt die alte Regel "Es wird gegessen, was auf den Tisch kommt" für Kinder noch?

Meier-Gräwe: Definitiv nicht. Da gibt es - in allen Milieus, in allen Schichten - Demokratisierungsprozesse. Die Kinder werden gefragt, was ihnen schmeckt, und das berücksichtigen die Mütter auch oft. Trotzdem ärgern sich gerade die Akademikerinnen, wenn es ihnen nicht gelingt, Süßigkeiten zu verbannen. Und sie grämen sich nicht selten darüber, dass zwar die Töchter beim Tischdecken helfen, die Söhne aber schon stöhnen, wenn sie eine Kiste Mineralwasser aus dem Keller holen sollen.

SZ: "Fleisch ist ein Stück Lebenskraft" warb die Agrarindustrie einst. Ist das noch präsent?

Meier-Gräwe: In manchen Milieus auf jeden Fall. Frauen, die sich ganz traditionell als Versorgerin der Familie sehen, richten sich stark nach den Wünschen ihrer Männer - und der Wunsch dieser Männer ist häufig das Stück Fleisch auf dem Teller. Essen steht in diesen Familien für Wohlstand; es kompensiert, dass diese Familien oft eher schlechte Chancen im Beruf haben. Die Mengen an Fleisch, die dort gegessen werden, sind enorm - auch wenn die Männer nicht mehr wie im Frühkapitalismus schwer körperlich schuften, sondern zum Beispiel LKW-Fahrer sind. Dem Entstehen von Übergewicht kann man in diesen Familien fast zuschauen.

SZ: Sie haben für Ihre Untersuchung ausschließlich Frauen befragt. Ist das nicht ein bisschen frauenfeindlich?

Meier-Gräwe: Das Statistische Bundesamt hat in den Jahren 1990 und 2000 detailliert erhoben, wer im Haushalt wieviel Zeit womit verbringt. Da zeigt sich eindrücklich, dass Männer auf dem Feld der Ernährung nicht präsent sind. Frauen sind die Expertinnen des Essalltags - also muss man sie befragen.

SZ: Emanzipation findet demnach nicht statt.

Meier-Gräwe: Bei dem Thema nicht. Einkaufen, kochen und die Organisation des Ganzen ist eindeutig Frauensache.

SZ: Und die Männer, die begeistert Kochbücher, Messer und Induktionsherde kaufen?

Meier-Gräwe: Die kochen manchmal mit großem Aufwand, dann muss aber das Publikum Beifall spenden. Aufräumen dürfen dann die Partnerinnen.

SZ: Gab es keine Ausnahmen?

Meier-Gräwe: Ein gab schon. Manche Frauen, die beruflich sehr erfolgreich sind, haben Partner, die sich auch beim Thema Essen engagieren. Diese Frauen haben eine gute Verhandlungsposition; sie sind mit den Männern auf Augenhöhe und können ihnen leichter etwas abverlangen. Aber selbst das ist nicht die Regel. Ich kann mich an eine Fachärztin in einer Klinik erinnern, deren Mann Professor war. Zwar hatte dieser Mann am Mittwoch seinen Hausarbeitstag - aber die Frau hat ihm am Dienstagabend alles vorgekocht.

SZ: Können Sie sich vorstellen, dass sich daran etwas ändert?

Meier-Gräwe: Solange die Arbeitszeiten von Männern und Frauen so sind, wie sie sind, bin ich skeptisch.

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Quelle:
SZ vom 07.02.2009/mga
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