Süddeutsche Zeitung

"Er sagt, sie sagt" zu Spoilern:Ich weiß, wie's ausgeht!

Liest sie ein Buch, verrät er das Ende. Geht sie ins Kino, plaudert er den Schluss aus. Da hilft nur eins: Rache. Ein Beziehungsdrama in Dialogform.

Von Violetta Simon

Sie sitzt in einem Sessel und ist in ihr Buch vertieft, er kommt rein.

Er: Was liest du da?

Sie: Den neuen Krimi von dieser Isländerin - irgendwas mit dóttir am Ende... Unglaublich, wie spannend die schreibt, ich kann gar nicht zu lesen aufhören.

Er: Oh, davon hat mir Bastian kürzlich erzählt, muss super sein. Weil man nie denken würde, dass es die Schwester ist, die das Ganze eingefädelt hat.

Sie: Wie jetzt - die Schwester.

Er: Ja, ne? Wärste nie darauf gekommen.

Sie: Das ... das glaub ich jetzt nicht!

Er: Tja, ich weiß. Ein Schock.

Sie: Ich meine, ich kann nicht glauben, dass du mir das antust - einfach den Schluss der Geschichte zu verraten!

Er: Tut mir leid. Ich wusste ja nicht, dass du ein Buch nur liest, um das Ende zu erfahren.

Sie: Was soll das denn heißen: nur, um das Ende zu erfahren? Dann würde ich es hinten aufschlagen, die letzte Seite lesen und es wegwerfen. Natürlich lese ich das Buch auch, weil es gut geschrieben ist und weil die Geschichte gut ist. Aber ich will trotzdem nicht vorher schon wissen, wie es ausgeht.

Er: Ich finde, du übertreibst ein bisschen. Wir bleiben ja auch nicht zuhause, nur weil wir wissen, wohin wir in Urlaub fahren.

Sie: Netter Versuch, aber das kann man ja wohl nicht ernsthaft vergleichen!

Er: Und wenn du versuchst zu vergessen, was ich dir über das Ende erzählt habe?

Sie: Witzbold! Mag sein, dass das bei dir funktioniert - du vergisst sowieso immer, was ich sage. Aber für mich ist das etwa so, also ob jemand von mir verlangt: "Denken Sie jetzt nicht an einen rosa Elefanten!"

Er: Und wenn du zwischendurch ein anderes Buch liest? Dann kannst du dich später womöglich nicht mehr daran erinnern, wie es weitergeht. Dieser neue Schweden-Krimi, von dem alle reden, war nicht schlecht. Hab' ich kürzlich ne Zusammenfassung gelesen. Bis zum Schluss denkt man, dass die beiden Obdachlosen was mit dem Mord an der Prostituierten zu tun haben. Dabei war es der Staatssekretär.

Sie: Wunderbar, brauche ich das auch nicht mehr zu lesen.

Er: Oh! Entschuldige.

Sie: Siehst du's jetzt ein? Du kannst einfach nicht anders. Wie auch immer, für mich ist die Sache hiermit erledigt. Sie klappt das Buch zu und legt es aus der Hand.

Er: Aber diese Geschichte hat doch noch so viele andere spannende Details! Was du zum Beispiel trotzdem nicht wissen kannst, ist, dass der fiese Nachbar ...

Sie: Ich will es nicht hören!

Er: Und die Sache mit der Dogge und dem Einwegrasierer?

Sie: Schweig!!

Er: Ich dachte nur - wenn du es jetzt ohnehin nicht mehr liest, könnte ich dir ja auch gleich noch den Rest erzählen.

Sie (erhebt sich genervt): Weißt du was? Ich brauche meine Ruhe. Ich geh' ins Kino.

Er: Was schaust du dir an?

Sie: Sag' ich nicht - du würdest ja doch nur den Schluss verraten.

Er: Also nur, falls du vorhast, diesen Marsianer zu sehen: kannste dir sparen. Total unrealistisch, dass dieser Mark Watney am Ende überlebt und gerettet wird. Ich meine: Der Tölpel füllt seine Wohnkuppel versehentlich mit Wasserstoff statt mit Sauerstoff. Und mischt den Dünger für seine Kartoffeln mit seiner ... also er macht ein Häufchen und vermischt das mit Sand und so ....

Sie (lässt sich auf den Sessel zurückfallen): Nicht zu fassen. Ich hasse dich.

Er: Ach, du wolltest tatsächlich? Sorry...

Sie: Weißt du, wie man Typen wie dich nennt? Spoiler!

Er: Sprichst du von dem Ding, das unser komischer Nachbar auf seinem Kofferraum hat?

Sie: Nein, ich spreche von dir. Du spoilerst! Typen wie du verderben anderen systematisch den Spaß, indem sie an Kinoschlangen vorbeilaufen und extra laut den Schluss des Films herausplappern. Sie laden "Game of Thrones" schon vor der Ausstrahlung illegal herunter und posten die Schlüsselszenen auf Facebook. Im Internet haben sie dagegen inzwischen eine Abwehr-Software entwickelt. Aber was, wenn man mit so einem unter einem Dach lebt?

Er: Ich bewahre dich doch nur vor schlechten Filmen.

Sie: Erstens war mein Buch alles andere als schlecht. Und zweitens kann ich selbst herausfinden, wie gut oder schlecht ein Film ist, verstanden?

Er: Schon gut. Sie schnappt sich ihre Jacke und die Schlüssel. Wo gehst du hin?

Sie: Ich brauche frische Luft und werde einfach durch die Gegend laufen - Ziel unbekannt.

Als sie zurückkommt, sitzt er gebannt vor der Sportschau und schaut sich die Zusammenfassung des Bundesliga-Spiele an.

Sie: Ach, Hoffenheim gegen Stuttgart! Hätte man ja nicht erwartet, dass die jeweils zwei Tore zustande bringen, oder?

Er: Was? Wie, zwei Tore?

Sie: Na, ist doch 2:2 ausgegangen.

Er: Woher weißt du das?!?

Sie: Ich war eben bei Eva, die haben Sky.

Er: Oh nein, nicht verraten! Ich freu mich schon den ganzen Tag auf die Zusammenfassung.

Sie: Ja, das glaub ich. Aber du hast nichts verpasst. Der HSV hat auch wieder verloren gegen Hertha.

Er: Nein, das kommt doch erst noch!

Sie: 3:0!

Er (hält sich die Ohren zu und pfeift): Ich höre dir nicht zu!

Sie (brüllt ihm entgegen): Immerhin hat Hannover gegen Bremen einmal getroffen!

Er (lässt die Hände sinken): Du bist gemein.

Sie: Tut mir leid. Konnte ja nicht wissen, dass du die Sportschau nur anschaust, um die Spielergebnisse zu erfahren.

Die besten Folgen der Kolumne "Er sagt, sie sagt" sind bei SZ Editionen als Buch erschienen.

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