"Er sagt, sie sagt" zu Silvester:Wo bleibst du denn?

Er sagt, sie sagt

Er ist bereit zum Böllern, sie feilt noch am Outfit.

(Foto: Yinfinity/iStockphoto)

Eigentlich wollen sie Silvester bei Freunden feiern. Doch aufgrund einer akuten Kleiderkrise können sie das Haus nicht verlassen. Ein Beziehungsdrama im Dialog.

Von Violetta Simon

Silvesterabend. Er steht fix und fertig angezogen im Flur, überprüft das Paket mit den Böllern und Raketen. Blick auf die Uhr. Hoffnungsvoller Blick in Richtung Schlafzimmer. Erneuter Blick auf die Uhr.

Er (ruft ins Schlafzimmer): Wir müssten dann ...

Sie (erscheint in BH, eine Bluse zwischen den Zähnen, während sie mit beiden Händen versucht, den Rock zu schließen): Kommjagleich!

Er: Bist du immer noch nicht angezogen?

Sie (schlüpft in die Bluse, nestelt an den Knöpfen): So gut wie!

Sie zieht ein Paar Pumps aus dem Schuhschrank und verschwindet wieder. Aus dem Schlafzimmer hört man Grummeln, dann Fluchen. Ein Schuh landet in hohem Bogen im Flur.

Er (holt eine Flasche Crémant aus dem Kühlschrank): Du weißt schon, dass wir vor einer halben Stunde bei Emma und Paul sein wollten ...

Sie (kommt herausgaloppiert - diesmal in einem Jumpsuit, der Reißverschluss klafft hinten auseinander): Hör bloß auf mich zu hetzen, ich bin schon genug gestresst!

Er (stellt entnervt die Sektflasche zurück in den Kühlschrank): Könnte an deinem Zeitmanagement liegen.

Sie: Hauptsache, du kannst schlau daherreden. Sie verschwindet wieder im Schlafzimmer. Es dauert.

Er (läuft im Flur auf und ab, nähert sich dem Schlafzimmer): Sag mal, was treibst du eigentlich da drin? Wir müssen los!

Beim Anblick des Zimmers bleibt er wie vom Donner gerührt stehen: Kleidungsstücke bedecken Boden, Kommode und Bett. Sie steht im Zentrum des Chaos - in Unterwäsche, Strumpfhosen und Bluse.

Er: Was ist denn hier passiert, warum hast du deinen Kleiderschrank ausgeleert?

Sie (schält sich wieder aus der Hose): Ich versuche, etwas vernünftiges für heute Abend zu finden.

Er: Und da ist unter all diesen Sachen nichts passendes dabei?

Sie: Das Problem ist, dass die Stücke, die ich besonders mag, nicht zueinander passen.

Er: Du meinst, wie deine Mutter und ich? Wie Gummibärchen und Roastbeef?

Sie: Kannst du mal beim Thema bleiben?

Er: Ich versuche nur, dir zu folgen. Im Moment trägst du nichts als eine schwarze Bluse. Wo ist das Unterteil dazu?

Sie: Das wäre meine Lieblingshose, aber der Reißverschluss ist kaputt.

Er (angelt eine Jeans aus dem Haufen): Dann zieh doch die an!

Sie: Auf keinen Fall! Wir sind zu einer Silvesterparty eingeladen, da soll es schon ein bisschen festlich sein.

Er: Dann vielleicht das Kleid mit dem Rückenausschnitt? Das ist doch hübsch!

Sie: Oh nein. Bestimmt tragen Emma und Paul wieder Leggins und Holzfällerhemd, und dann bin ich total overdressed.

Er: Und warum trägst du dann nicht auch irgendwas normales?

Bloß nicht die Wahrheit!

Sie: Na, wenn sie sich schick machen - dann bin ich underdressed!

Er: Also gut, dann eben einen Rock und dazu ein schlichtes Oberteil?

Sie: Hm, ich weiß nicht. Am Ende müssen wir alle die Schuhe ausziehen. Weißt du, wie das aussieht, in Strumpfhosen und Rock - das ganze Outfit im Eimer.

Er: Dann nimm dir eben ein extra Paar Schuhe für die Wohnung mit.

Sie: Puh, das wirkt so gewollt.

Er: Gewollt - gutes Stichwort: Eigentlich wollten wir vor einer Stunde los. Meinst du, wir schaffen es, nicht mehr als zwei Stunden zu spät zu kommen?

Sie: Das kommt darauf an, ob ich fündig werde. Ich brauche etwas, in dem ich mich wohlfühle - und in dem ich gut aussehe.

Er: Ich wage es kaum anzudeuten, aber ist das nicht ein Widerspruch?

Sie: Das werde ich schon noch herausfinden (bückt sich nach einer Strickjacke).

Er: Dann hole ich jetzt nochmal den Sekt aus dem Kühlschrank. Oder wäre das zu optimistisch?

Sie: Wenn du drängelst, dauert es noch länger.

Er: Ich schätze, dass die anderen bereits beim Fondue sind. Aber wenn du meinst ... (Er holt den Sekt wieder aus dem Kühlschrank. Zählt erneut die Feuerwerkskörper durch. Lässt ratlos die Flasche in der Hand baumeln, bläst die Backen auf und schaut sich die Decke im Flur an. Aus dem Schlafzimmer dringt wütendes Gewisper. Schließlich ruft er in ihre Richtung:) Soll ich dir nicht einfach schnell irgendetwas aussuchen?

Sie (erscheint in einer geblümten Bluse): Tut mir leid, aber "irgendetwas" ist kein Dresscode. (Sie stutzt und deutet auf seine Beine:) Willst du wirklich in dieser Hose auf die Party?

Er: Bitte, Schatz. Nicht jetzt. Kümmere dich lieber um dein eigenes Outfit. Immerhin trage ich eine Hose - im Gegensatz zu dir.

Sie: Kunststück, die Auswahl kann nicht lange gedauert haben.

Er: Du hast Nerven: Erst lässt du mich stundenlang warten, und dann beleidigst du mich auch noch.

Sie: Weil du den Ernst der Lage nicht zu erkennen scheinst.

Er: Ha! Sagt die Frau, die hier im Schlüpfer herumsteht, während die anderen Schampus trinken und das Fondue eröffnen! Jetzt sage ich dir mal was: In zehn Minuten ist Abfahrt, das ist der Ernst der Lage! Ich werde jetzt ein letztes Mal die Feuerwerkskörper sichten, und wenn ich mit dem Schampus in der Hand und den Raketen unterm Arm in dieser Tür erscheine, bist du fertig. Schaffst du das?

Sie: Hör auf mir zu drohen! Wie soll ich denn da eine Entscheidung treffen!

Er: Also gut, ich habe nichts gesagt. Nur so viel: Es ist jetzt 23.30 Uhr. Der Cremant ist warm. Ich bin müde.

Sie: Frag mich mal! Am liebsten würde ich einfach hier bleiben.

Er (entkorkt die Flasche und nimmt einen kräftigen Schluck): Wunderbare Idee! Ich rufe Emma und Paul an.

Sie: Und was willst du ihnen sagen?

Er: Na, dass wir nicht mehr kommen. Weil du seit zweieinhalb Stunden in Strumpfhosen herumstehst.

Sie: Bist du verrückt? Erzähl ihnen, dass wir auf der Couch eingeschlafen sind. Oder dass wir uns ausgesperrt haben. Oder dass ich einen Unfall hatte. Aber doch nicht die sowas!

Er: Hörst du das? Es ist Mitternacht. Jetzt ist es eh schon egal. Wahrscheinlich sind die anderen inzwischen so betrunken, dass sie unsere Abwesenheit längst vergessen haben. Hier, nimm einen Schluck. Frohes Neues!

Sie: Moooment, ich werde sicher nicht in Strumpfhosen aufs neue Jahr anstoßen!

Er: Ich fürchte, es gibt nichts mehr, das du noch an- oder ausprobieren kannst.

Sie: Von wegen. (Sie zieht sich eine Jogginghose an.) So, jetzt. Prosit Neujahr!

Die besten Folgen der Kolumne "Er sagt, sie sagt" sind bei SZ Editionen als Buch erschienen.

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