Süddeutsche Zeitung

"Er sagt, sie sagt" zu Rückenkraulen:Massierst du mich?

Sie möchte, dass er sie krault - und zwar hingebungsvoll und enthusiastisch, bitteschön. Er möchte lieber Fußball sehen. Bis sie ihm von ihrer Shiatsu-Erfahrung erzählt.

Paarkolumne von Violetta Simon

Er sitzt hochkonzentriert vor dem Fernseher - Champions League. Vor sich ein Bier, eine Schale mit Knabberzeug. Sie setzt sich daneben, stützt den Ellbogen aufs Knie, das Kinn in die Hand und zieht eine gelangweilte Schnute.

Er (springt auf, lässt sich wieder auf die Couch fallen, rauft sich die Haare): Ja! Komm schon, der geht rein! Neiiiin! Was macht der denn?!

Sie: Massierst du mir den Rücken? Ich bin total verspannt.

Er: Können wir das verschieben? Ich würde mir gern das Spiel ansehen.

Sie: Und dazu brauchst du deine Hände?

Er: Zwischendurch schon. Sieht aus, als müsste ich mir die kommenden 90 Minuten ein paar Mal die Augen zuhalten. Und ziemlich oft zur Bierflasche greifen. Aus Verzweiflung.

Sie: Och, dann aber wenigstens kraulen?! Das geht auch mit einer Hand.

Er: Na schön. Er krault, etwas abwesend, und schaut dabei an ihr vorbei.

Sie: Du bist ja gar nicht bei der Sache! Merkst du nicht, dass du seit einer Minute dieselbe Stelle bearbeitest?

Er (krault weiter, nun etwas inbrünstiger, da Bayern gerade einen Angriff auf das gegnerische Tor startet): Tschuldigung. Ich kann das eben nicht nebenbei. Hier läuft gerade ein wichtiges Spiel und ich muss mich konzentrieren.

Sie: Du sollst das ja auch nicht nebenbei. Du sollst dich auf meinen Rücken konzentrieren. Früher hast du mich stundenlang gekrault. Und massiert. Freiwillig. Mit Lavendelöl!

Er rollt mit den Augen.

Du hättest gesagt: "Ich kann jetzt nicht Fußball gucken, ich möchte meiner Frau den Rücken kraulen." Da hätte ein WM-Endspiel laufen können ...

Er schaut sie ungläubig-spöttisch an.

... also gut, EM-Viertelfinale ... oder DFB-Pokal - mindestens. Und jetzt? Ist es genau andersrum. Mein Rücken bleibt ungekrault, weil dir Fußball wichtiger ist als ich.

Er: Aber das ist doch Quatsch.

Sie: Gut, dann beweise es! Schalte die Kiste aus!

Er: Bist du wahnsinnig? Nicht ausschalten, ich kraule ja schon.

Sie: Weiter links, bitte ... jetzt rechts ... weiter unten ... und jetzt allmählich nach oben, dabei in kreisenden Bewegungen größer werden.

Er (kopfschütttelnd zu sich selbst): Bin ich ne Kraulmaschine, oder was?

Sie: Aaaaah, wunderbar. Und jetzt noch ab den Schulterblättern jeweils nach außen und ...

Er: Kannst du mal still sein? Ich verstehe kein Wort von dem, was da auf dem Platz passiert. Außerdem benötige ich keine Anweisungen beim Kraulen!

Sie: Und ob du die brauchst. Sobald ich aufhöre zu sprechen, galoppieren deine Finger völlig planlos durch die Gegend.

Auf dem Spielfeld bahnt sich eine Torchance an. Er richtet sich kerzengerade auf und fixiert den Fernseher. Die Hand auf ihrem Rücken verharrt, beginnt im nächsten Moment zu galoppieren.

Er (klatscht wütend auf ihr Schulterblatt): Hey, das war doch klares Abseits, bist du blind???

Sie: Autsch! Was soll das, warum schlägst du mich?

Er: Mann, bist du aber empfindlich.

Sie: Erstens bin ich kein Mann und zweitens nicht empfindlich. Du bist einfach grob. Und unmotiviert obendrein.

Er: Ich sehe schon. Dir kann ich es heute nicht recht machen. Erst kraule ich dich, und jetzt muss ich mich auch noch beschimpfen lassen. Warum legst du dir nicht einen Sklaven zu?

Sie: Kein Problem. Morgen gehe ich zu Boris. Der macht das gerne.

Er (etwas abwesend, weil er sich auf den Einwurf konzentriert): Boris? Wer zum Teufel ist Boris?

Sie: Mein Körpertherapeut.

Er (kurzer Seitenblick): Seit wann hast du einen Körpertherapeuten?

Sie: Als mich diese undefinierbaren Schmerzen im Lendenwirbelbereich quälten, hat ihn mir ​Katja empfohlen. So ein junger Typ, wahnsinnig nett und so was von kompetent! Er macht Osteopathie, aber seine Spezialität sind Shiatsu-Massagen. Ich habe dir von ihm erzählt. Aber du hörst ja nie zu.

Er (hält inne und schaut sie fragend an): So so. Und was hat er damals mit deinem Schi Hatsu gemacht, dieser Therapeuten-Boris?

Sie: Er hat mich auf die Seite gedreht, sich sanft auf meine Hüfte gelegt und gemeinsam mit mir den Schmerz herausgeatmet.

Er (schaltet sofort den Fernseher aus): Er hat sich auf dich gelegt und geatmet?

Sie: Das war nötig, um mein Iliosakralgelenk zu mobilisieren. Boris hatte erspürt, dass mein Muskelfasergewebe im Gesäßbereich verhärtet war.​

Er: Ich will gar nicht wissen, wie ihm das gelungen ist.

Sie: Das verstehst du nicht.

Er: Ich verstehe sehr wohl. Und ich werde dir beweisen, dass ich durchaus in der Lage bin, diesem Schi-Hatsu-Heini das Wasser zu reichen: Ich werde dir eine hingebungsvolle Kraul-Schmuse-Massage angedeihen lassen wie du sie noch nicht erlebt hast. Hol das Lavendelöl!!!

Sie: Und das Fußballspiel?

Er: Ist inzwischen vorbei - äh ... ich meine natürlich: Du bist mir wichtiger.

Sie: Moment, dann ist es jetzt - 22.30 Uhr?

Er: Ja, wieso?

Sie: Oh, können wir die Massage verschieben? Gleich beginnt die neue Staffel von Peaky Blinders!

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