"Er sagt, sie sagt" zu Helikoptereltern:"Was soll ihm denn passieren?"

"Er sagt, sie sagt" zu Helikoptereltern: Er soll das Kind im Auge behalten, doch sie traut ihm nicht.

Er soll das Kind im Auge behalten, doch sie traut ihm nicht.

(Foto: iStockphoto/Yinfinity)

Sie will, dass er das Baby pausenlos im Auge behält. Er findet, das Kind braucht vor allem Ruhe. Ein Beziehungsdrama als Dialog.

Paarkolumne von Violetta Simon

Sie sind bei Freunden eingeladen - es ist die erste Verabredung, zu der sie das Baby mitbringen. Das Kleine liegt zufrieden auf der Couch und gluckst vor sich hin. Er will sich gerade zu ein paar Leuten an den Tisch im Wohnzimmer setzen. Bevor sie hinübergeht zu ihren Freundinnen, nimmt sie ihn beiseite.

Sie: Und du hast ein Auge auf ihn, ja?

Er: Wie versprochen, du musst dich um nichts kümmern, amüsier dich einfach.

Sie: Okay, hier ist die Wickeltasche. Am besten, du hängst sie dir um, dann hast du sie jederzeit griffbereit.

Er: Liebes, das Einzige, das ich jetzt griffbereit brauche, ist ein kühles Bier. Ich denke, es genügt, wenn ich die Tasche in der Nähe unseres Babys platziere.

Sie: Na toll. Das kann ja heiter werden. Gib ihm wenigstens was zu spielen - oder das Knisterbuch, damit er sich nicht langweilt!

Er: Warum gehst DU nicht Spielen, deine Freundinnen vermissen dich sicher schon.

Sie gesellt sich zu ihren Freundinnen, behält jedoch Blickkontakt zu ihrem Kind, das nach wie vor höchst entspannt vor sich hingluckst. Nach einigen Minuten winkt sie zu ihrem Mann hinüber und macht ihm durch Zeichensprache - abwechselnd zwei Finger auf die Augen gerichtet, dann wieder aufs Kind - klar, was sie von ihm erwartet. Er kommt mit fragendem Blick auf sie zu.

Er: Was ist denn jetzt schon wieder?

Sie: Kannst du mal nach ihm schauen, bitte?

Er (wendet sich kurz um in Richtung Sofa): Du siehst doch, alles prima.

Sie: Kannst du mal genauer nach ihm sehen?

Er: Wieso, er spielt doch gerade so schön.

Sie: Ja, aber vielleicht braucht er etwas?

Er: Auf mich macht er einen ganz zufriedenen Eindruck.

Sie: Bitte ...

Er: Also gut, wenn du meinst ...

Er (steht auf, geht ein paar Schritte hinüber, beugt sich hinunter und wirft einen Blick auf das Baby): Na, alles gut?

Der Kleine fleddert konzentriert sein Buch, ohne aufzusehen.

Er: Siehst du? Alles bestens.

Sie: Ich weiß nicht, er wirkt so still. Das ist meist kein gutes Zeichen. Nicht, dass er sich was in den Mund steckt.

Er: Er nuckelt höchstens zwischendurch mal an seinem Buch.

Sie: Oh, er liest! Das hat er von mir.

Er: Ich würde gerne wieder zurück an den Tisch und mich am Gespräch beteiligen - Tim erzählt gerade von seiner Tour durch die Pyrenäen.

Sie: Nur, wenn du ihn im Auge behältst. Du weißt ja: Mein Bruder hat sich als Kleinkind eine Murmel in die Nase gesteckt. Bis zum Anschlag. Wir mussten ins Krankenhaus fahren, ein Arzt hat das Ding entfernt.

Er: Aber wir haben doch schon alles aus seiner Nähe entfernt, was kleiner ist als ein Toaster. Was sollte sich unser Kind denn schon in die Nase oder in den Mund stecken - das Knisterbuch? Seinen Stoffhund? Ein Sofakissen?

Sie: Das ist wieder typisch, dass du dich darüber lustig machst. Und da soll ich mich entspannen.

Er: Vor allem sollst du nicht so eine Panik machen.

Sie: Ich mache keine Panik. Ich erwarte lediglich, dass du deiner Aufsichtspflicht nachkommst.

Er: Du sagst es: MEINE Aufsichtspflicht. Also überlass die Aufsicht bitteschön auch mir.

Sie: Würde ich ja, wenn du etwas mehr Verantwortung zeigen würdest.

Er: Also bitte! Wir haben ihn ja nicht vor die Tür ins Freie gelegt, was soll ihm denn hier passieren?

Sie: Zum Beispiel könnte er von der Couch fallen.

Er: Du meinst, wenn er in der Lage wäre, sich alleine umzudrehen. Und den Deckenwall zu überwinden, den du um ihn herumgebaut hast.

Sie: Wie auch immer. Ich habe kein gutes Gefühl bei der Sache. Am besten, du nimmst ihn da weg und legst ihn auf den Boden.

Er: Also gut, wenn es dich beruhigt.

Sie: Du weißt, ich bin als Kind von der Waschmaschine gefallen.

Er: Und trotzdem ist noch alles dran - bis auf ein paar kleine Beeinträchtigungen vielleicht (tippt sich an die Stirn).

Sie: Jetzt hör' aber auf! So ein Sturz aus 80 Zentimeter Höhe ist schließlich keine Lappalie!

Er: Allerdings, vor allem auf einen gefliesten Boden. Aber das hier ist eine 30 Zentimeter hohe Couch, umgeben von einem hochflorigen Shaggy-Teppich. Vermutlich würde er nicht einmal bemerken, wenn er da runterkullert - und einfach weiterlesen.

Sie: Und wenn er ungeschickt fällt?

Er: Tut er nicht, das Sportliche hat er von mir.

Sie: Du nimmst also in Kauf, dass unser Sohn unter einer verzögerten Entwicklung leiden wird, nur weil du zu faul bist, dich um ihn zu kümmern?

Er: Also gut, ich lege ihn um. Ich meine, ich bette ihn um, auf den Boden.

Er geht zur Couch hinüber, nimmt das Baby und die Decke und platziert beides auf dem Boden. Kaum ist er an seinen Platz zurückgekehrt, beginnt der Kleine zu weinen.

Sie: Na toll. Jetzt siehst du es ja selbst. Das Kind braucht Zuwendung.

Er: Gar nichts hat das Kind gebraucht. Bis auf seine Ruhe. Wenn du mich und ihn nicht die ganze Zeit triezen würdest, hätten wir alle unseren Frieden.

Sie: Ich wusste es. Am Ende bleibt wieder alles an mir hängen. Aber amüsier du dich ruhig, ich kümmere mich um ihn, ist sicher besser so.

Er: Gleich morgen (nimmt einen großen Schluck aus der Bierflasche) lasse ich mich sterilisieren.

Die besten Folgen der Kolumne "Er sagt, sie sagt" sind bei SZ Editionen als Buch erschienen.

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