Süddeutsche Zeitung

"Er sagt, sie sagt" zu Freundlichkeit:"Zu mir bist du nie so nett"

Anderen gegenüber ist sie freundlich und zuvorkommend - zu ihm ist sie ruppig und nörgelig. Er findet das bedenklich. Sie hält es für ein Zeichen von Nähe.

Kolumne von Violetta Simon

Das Schlafzimmer liegt im Dunkeln. Ein Telefon klingelt. Sie tastet nach ihrem Handy, meldet sich, setzt sich auf und flötet: "Aber nein, ich war schon wach! Und, was gibt's?" Sie verschwindet aus dem Zimmer und kehrt fünf Minuten später zurück.

Er: Wer war das denn so früh?

Sie: Mein Kollege aus der Rechtsabteilung.

Er: Ich wusste gar nicht, dass du um die Uhrzeit schon ganze Worte herausbringst. Geschweige denn so freundlich sein kannst.

Sie: Warum sollte ich denn unfreundlich sein?

Er: Weil es saufrüh ist? Weil er uns geweckt hat? Weil wir frei haben? Weil heute mein Geburtstag ist? Weil ...

Sie: Oh mein Gott, fast hätte ich es vergessen - alles Gute, mein Dicker!

Er: Guck: Zu mir bist du nie so nett.

Sie: Das stimmt nicht!

Er: Jedenfalls nicht so nett wie zu deinen Kollegen. Und das, obwohl sie so rücksichtslos sind. Hat dein werter Kollege mir wenigstens Glückwünsche ausrichten lassen?

Sie: Aber nein, woher sollte er denn so etwas wissen!

Er: Immer hast du eine Entschuldigung für diese Leute. Genau wie am Freitag, als der Spätdienst kurz vor Mitternacht anrief. Konnte der etwa auch nicht wissen, dass man um diese Uhrzeit womöglich schläft?

Sie: Du klingst wie ein Beamter.

Er: Und du tust, als wärst du die Chefin der Kinderchirurgie. Oder die Außenministerin. Du weißt schon, dass du in einem mittelständischen Unternehmen arbeitest? Aber statt deinem Chef mal ordentlich die Meinung zu sagen, hast du in den Hörer geflötet "Kein Problem, ich hatte ohnehin nichts besseres zu tun!" Wie kannst du nur so etwas sagen, wenn ich gerade an deinem Zeh nuckle?!?

Sie: Hätte ich ihm etwa die Wahrheit sagen sollen?

Er: Gerade eben wäre es zumindest durchaus angebracht gewesen. "Ich war schon wach!" - das ist wirklich die größte Übertreibung, die ich je aus deinem Mund gehört habe. Dein Puls war quasi nicht vorhanden! Wenn ich mich mal ganz dezent an dich rankuscheln will, krieg ich nur ein gemurmeltes "hauab" zu hören. Aber wenn dein Kollege ruft, erwachst du plötzlich von den Toten und stehst senkrecht im Bett.

Sie: Was erwartest du denn von mir?

Er: Du könntest ihm irgendwelche Gemeinheiten an den Kopf werfen und ihn anschreien, was ihm überhaupt einfällt. Das jedenfalls würdest du tun, wenn ich dich wecke.

Sie: Das ist etwas ganz anderes. Du weckst mich, weil dir langweilig ist. Weil du Hunger hast ...

Er: Ja, sind das vielleicht keine guten Gründe?

Sie: ... oder weil du, so wie gestern, auf dem Weg zur Toilette gegen die Bodenvase rennst.

Er: Was kann ich dafür, dass du hier ständig umdekorierst? Ich habe mir an dem blöden Ding fast den Fuß gebrochen! Aber das interessiert hier ja niemanden.

Sie: Entschuldige? Es war ja wohl dein Fuß, der die Vase zerbrochen hat - und nicht umgekehrt.

Er: Siehst du, genau das meine ich! Über mich beklagst du dich. Warum bist du zu mir nicht auch mal so nett und flötest mir ins Ohr. Warum höre ich kein "Ich hatte ohnehin gerade nichts besseres zu tun", wenn ich dich in der Firma anrufe? Wer ist dir eigentlich wichtiger?

Sie: Du natürlich, aber zu dir kann ich offen sein, dir muss ich nichts vormachen.

Er: Ist ja toll. Ich werde schlecht behandelt, angeraunzt und versetzt, weil ich dir wichtiger bin? Deshalb lässt du auch immer mich warten, wenn ich gekocht habe? Deshalb sagst du unseren Wochenendtrip ab, weil dein Chef ein Spontan-Meeting macht? Und ich dachte, mit dir verheiratet zu sein, wäre ein Vorteil.

Sie: Ist es auch - ich habe nämlich ein super Geschenk für dich. Willst du es sehen?

In dem Moment läutet das Telefon. Er schnappt es ihr aus der Hand und legt sofort los.

Er: So, jetzt hören Sie mal gut zu: Es passt gerade gar nicht und es ist wirklich ungünstig. Meine Frau hat nämlich etwas Besseres zu tun, und Sie werden ja wohl auch mal einen Tag ohne ... Tante Gerda? Ach du bist es, entschuldige bitte!

Sie (flüstert ihm zu): Sag ihr, du rufst zurück!

Er (ignoriert sie): Aber nein, du störst nicht, kein bisschen!

Sie (zischt ihm zu): Das ist MEIN Handy!

Er (zischt zurück): Eben. Dann kann wenigstens keiner deiner bescheuerten Kollegen anrufen.

Sie: Mach sofort Schluss!

Er: Wie? Onkel Otto hat beim Bingo gewonnen? Nein, wie schön - erzähl!

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