"Er sagt, sie sagt":Dass du immer so hetzen musst

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Sie trödelt? Aber nein - er drängelt! (Foto: iStock)

Ein Mann vor einer Badezimmertür braucht in erster Linie viel Geduld. Doch so geduldig kann er gar nicht sein, dass die Dame dahinter sich nicht trotzdem gedrängelt fühlt. Ein Beziehungsdrama in Dialogform.

Von Violetta Simon

Sie sind eingeladen. Abendessen bei Freunden, 19:30 Uhr. Er drückt sich vor dem Bad herum, wo sie sich seit geraumer Zeit aufhält. Drinnen hört man einen Föhn. Er klopft sachte an.

19:10 Uhr

Er: Liebste, alles klar da drin?

Der Föhn läuft.

Er: Lebst du noch?

Der Föhn läuft.

Er: Ähem! Schaaatz! Bist du dann so weit?

Sie - föhnt.

Er - klopft gegen die Tür: Haaallooo!

Sie - schaltet den Haartrockner aus: Mein Gott, musst du mich so erschrecken, beinahe wäre mir der Föhn aus der Hand gefallen! Was gibt es denn?

Er: Ich wollte nur mal ganz dezent nachfragen: Brauchst du noch lange?

Sie - giftet: Ich hab's gleich.

19:20 Uhr

Er: Ich sage es nur ungern, aber wir müssten allmählich los ...

Sie: Na toll. Jetzt drängelst du schon wieder.

Er: Ich drängele nicht. Du trödelst. Seit einer geschlagenen Stunde bist du jetzt da drin!

Sie: Ich brauche eben auch hin und wieder Zeit für mich.

Er: Du meinst: noch mehr Zeit? Dann solltest du nächstes Mal vielleicht schon mittags mit deinem Pflege-Ritual beginnen.

Sie: Siehst du, genau das meine ich. Du baust immer so einen Druck auf.

Er: Druck? Das nennst du Druck? Seit einer geschlagenen Stunde lasse ich dich absolut in Ruhe. Habe ich auch nur einen Ton von mir gegeben? Nichts, nicht ein Wort habe ich gesagt, selbst als klar war, dass wir zu spät kommen würden. Statt Einlass in das okkupierte Bad zu begehren, habe ich mich in der Küche gewaschen - mit Spüli! Und das ist nun der Dank dafür.

19:40 Uhr

Sie - wirft einen prüfenden Blick auf seine Haare: Das ist wirklich rücksichtsvoll von dir. Aber was ist mit deinen Haaren? Die sind ja ganz staubig.

Er: Mein Kamm befindet sich ebenfalls im Bad, wie du weißt. Also habe ich die Kleiderbürste genommen.

Sie: Machst du Witze?

Er: Ja, da schaust du, was? So einen Mann musst du erst mal finden, so geduldig und genügsam. Seit einer halben Stunde sitze ich hier fix und fertig herum und habe nicht einmal gesagt, du sollst dich beeilen. Und weißt du, warum?

Sie: Weil du Sportschau geguckt hast?

Er: Weil ich bis zuletzt gehofft habe, du würdest von selbst aus dem Bad kommen. Immer wieder habe ich mir gesagt: Gleich wird sie da rauskommen. Nicht mehr lange, dann ist sie fertig. Irgendwann muss sie ja fertig sein. Aber du wurdest nicht fertig. Und da dachte ich mir: Frag ich mal vorsichtig nach, wie es ihr da drin so geht. Und sogleich weht mir ein Sturm der Entrüstung entgegen.

Sie: Das war nur der Föhn, mein Schatz.

20 Uhr

Er: Inzwischen sind wir eine halbe Stunde zu spät. Wäre wirklich schön, wenn wir dann endlich los könnten.

Sie: Ich muss mir nur noch schnell was anziehen.

Er: Aber du hast doch was an.

Sie: Jetzt werde bitte nicht albern, ja? Du kannst ja inzwischen die Quarkspeise aus dem Kühlschrank holen.

Er - geht zum Kühlschrank und wirft einen Blick rein: Da ist keine Quarkspeise.

Sie: Sag bloß, du hast keine gemacht!

Er: Hätte ich denn eine machen sollen? Ich wusste von nichts.

Sie: Weil du nie mitdenkst! Die hättest du wunderbar zubereiten können, während du hier herumgesessen bist.

Er: In der Zeit, die du im Bad verbracht hast, hätte ich, wenn nötig, ein ganzes Vier-Gänge-Menü gezaubert. Aber ich kann nunmal nicht riechen, dass wir zu einer Einladung die Nachspeise selbst mitbringen müssen!

Sie: Ich wusste es. Immer bleibt alles an mir hängen. Dann bringen wir eben Eis mit.

Er: Wunderbar. Könntest du dir dann bitte schnell was überziehen?

Sie: Ja, klar - wenn es nach dir ginge, könnte ich mir irgendeinem Fetzen überwerfen. Hauptsache, der Herr kommt endlich zu seinem Spaß.

20:15 Uhr

Er: Ich kann auch gerne vorausfahren. Dann hast du so viel Zeit wie du willst.

Sie: Schon wieder! Du baust schon wieder so eine Drohkulisse auf. Immer hetzt du mich. Nie kann ich mich einfach mal in Ruhe fertig machen.

Er: Okay, ich lege mich jetzt da hin und meditiere. Und wenn du so weit bist, sagst du Bescheid, in Ordnung?

Sie: Du glaubst doch nicht, dass ich jetzt noch mit dir da hingehe, in dieser schlechten Stimmung.

Er: Bitte, hör auf mit dem Quatsch, ja? Ich bin kein bisschen sauer, siehst du? Er grinst etwas schief.

Sie: Na gut, ich ziehe mir schnell was an.

21:30 Uhr

Als er aufwacht, ist es stockdunkel in der Wohnung, kein Laut ist zu hören. Er läuft durch die Zimmer, ruft ihren Namen - niemand da. Er ruft sie auf dem Handy an.

Sie: Ja, ich bin eben angekommen, wo bist du? Ich sehe dich nirgends.

Er: Das glaube ich jetzt nicht.

Sie: Wie, was glaubst du nicht?

Er: Du hast mich zu Hause vergessen.

Sie: Aber nein, du wolltest doch vorausfahren.

Er: Hier auf der Couch liegen lassen hast du mich. Hast mich übersehen und bist ohne mich gegangen.

Sie: Wie, du warst noch da? Oh nein. Siehst du, das kommt davon, dass du mich immer so hetzt!

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