"Er sagt, sie sagt":"Das hast du nie erzählt!"

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Sie: Nie hörst du mir zu! Er: Nie kannst du dich kurzfassen! (Foto: iStock)

Sie wirft ihm vor, dass er nicht zuhört und alles vergisst. Er findet, dass sie selbst schuld ist - weil sie die wichtigen Informationen mit Bonusmaterial zuschüttet. Ein Beziehungsdrama in Dialogform.

Von Violetta Simon

Sie kommt nach Hause, er sitzt in seinem Lesesessel und liest in einer Zeitung.

Sie: Na, wie war dein Tag so?

Er (ohne aufzublicken) : Gut!

Sie: Und sonst?

Er: Sonst nichts, alles bestens. Und bei dir?

Sie: Ach Gott, eigentlich wie immer. Moment, ich hol' mir schnell ein Glas Wein, dann erzähl ich dir alles.

Er: Ach, lass nur, ich denke es mir einfach.

Sie: Verstehe. Du willst schon wieder deine Ruhe. Ach, da fällt mir ein: Dass morgen Elke und Bernd zum Essen kommen, hast du noch im Kopf, ja?

Er: Nein, das höre ich zum ersten Mal.

Sie: Sag' bloß, das hast du schon wieder vergessen!

Er: Was heißt "schon wieder"?

Sie: Weil du so etwas immer vergisst!

Er: Ich bin sicher, du hast mir das nicht gesagt!

Sie: Von wegen, das habe ich sehr wohl!

Er: Ich kann mich aber nicht daran erinnern, wann soll das denn gewesen sein?

Sie: Na, vorgestern, beim Einkaufen. Du weißt schon, als es so geregnet hat und ich meinen Schirm vergessen hatte. Und du zurückgelaufen bist und dann ewig nicht mehr wiederkamst, weil das Telefon klingelte, als du in die Wohnung kamst. Und ich dann auch noch auf deinem Handy anrief und fragte, wo du so lange bleibst. Und wie du dann vor lauter Hektik auch noch den Schlüssel in der Wohnung vergessen hast. Und wie ich daraufhin ...

Er: Ja, an den Regen und das Telefon erinnere ich mich. Aber was hat das mit Elke und Bernd zu tun?

Sie: Jetzt warte doch mal! Wir waren auf dem Weg zum Biosupermarkt, wo ich immer diese geniale Gewürzmischung für unseren Auflauf herhabe. Du weißt schon, die mit den französischen Kräutern, die mir Mathilda das erste Mal aus der Provence mitgebracht hat. Wie geht es der eigentlich, müsste sie nicht inzwischen längst aus ihrem Ayurveda-Wellnessurlaub zurück sein? Wir sollten sie unbedingt mal anrufen. Bin gespannt, ob sie das mit der veganen Ernährung wirklich durchgehalten hat. Äh ... wo war ich gerade?

Er: Du wolltest beweisen, dass ich von dem Essen mit Elke und Bernd gewusst haben muss.

Sie: Ach ja, richtig! Der Supermarkt. Ich kann mich noch genau erinnern, dass wir an der Wursttheke standen, als ich es dir gesagt habe. War es jetzt, bevor wir drankamen oder danach? Jedenfalls hat uns die komische Rothaarige bedient, die immer so schlecht gelaunt ist. Ich möchte wirklich wissen, wie die zu ihrem Job gekommen ist. Wie kann man mit so einer Einstellung nur in einem Biosupermarkt arbeiten? Schon allein dieser finstere Blick! Weißt du noch, wir haben uns doch sogar gestritten wegen ihr. Weil du behauptet hast, sie sei doch ganz nett - und dass sie zu dir immer ausgesprochen freundlich sei. Also das fand ich dermaßen unpassend, was bitte sollte das denn eigentlich heißen - das es an mir liegt, wenn sie mich pampig behandelt?

Er ( starrt ins Leere) : ....

Sie: Hallo? Hörst du, was ich gerade gesagt habe?

Er: Tut mir leid, ich bin vorübergehend ausgestiegen.

Sie: Siehst du, ich wusste es. Du kannst noch nicht einmal zuhören. Kein Wunder, dass du alles vergisst.

Er: Darum geht es nicht! Ich kann dir nicht folgen. Du kommst einfach nicht auf den Punkt.

Sie: Wieso denn Punkt? Ich muss doch genau beschreiben, was ich meine, sonst verstehst du es nicht.

Er: Ich verstehe aber nur Bahnhof! Du willst mir erklären, dass du mir etwas erzählt hast - und landest bei der Verkäuferin an der Wursttheke, in der Provence und bei Ayurveda. Bei Wursttheke muss ich bestenfalls an Presssack denken, aber doch nicht daran, dass wir Freunde eingeladen haben. Kannst du dich nicht auf das Wesentliche beschränken?

Sie: Aber das mit der Wursttheke habe ich doch nur erwähnt, damit es bei dir klingelt!

Er: Du erwähnst nicht - du fabulierst! Du mäanderst durch die Erlebniswelt deiner Eindrücke und produzierst dabei Unmengen an verbalem Unrat. Und klingeln tut es bei mir schon, es dröhnt sogar in meinem Kopf vor lauter überflüssiger Details. Wie soll ich denn so erkennen, was wichtig ist, wenn ich permanent mit unverlangtem Bonusmaterial zugetextet werde?

Sie: Na, muss denn immer alles wichtig sein?

Er: Nein, aber muss denn immer ALLES heraus, was dir gerade durch den Kopf geht? Das fängt ja schon an, wenn du nach Hause kommst: Ich frage dich, wie dein Tag war, und statt der Information "gut" oder "schlecht" erhalte ich eine detaillierte Beschreibung sämtlicher Befindlichkeitsnuancen der vergangenen 24 Stunden.

Sie: "Gut" oder "schlecht" - das ist doch keine Aussage!

Er: Aber sicher! Wenn ich mehr wissen will, frage ich schon.

Sie: Ich glaube, du bist einfach nur zu faul, zuzuhören.

Er: Das ist unfair! Hättest du dich damals an der Wursttheke auf einen Satz beschränkt und zu mir gesagt "Am Samstag kommen Elke und Bernd", dann wüsste ich es heute noch. Aber du musst ja immer von hinten durch die Brust ins Auge palavern und dabei vom Hundertsten ins Tausendste kommen.

Sie: So etwas nennt man Kommunikation, aber das scheint dich ja offenbar zu überfordern. Aber gut, wie du willst. Dann machen wir es so. Ich reduziere meine Aussagen auf einen Satz, und du merkst dir dafür, was ich gesagt habe. Einverstanden?

Er: Klar. Kein Problem, du wirst sehen.

Sie: Sehr schön. Bei der Gelegenheit kann ich dir gleich noch etwas Superwichtiges mitteilen: Falls Elke an dem Abend den Prosecco ablehnt - oder sollen wir besser Bellini anbieten? - und auch keinen Wein zum Essen trinkt, solltest du dir doofe Fragen oder Bemerkungen besser verkneifen, weil sie nämlich glaubt, dass sie schwanger ist, aber noch nicht will, dass jemand davon erfährt, bevor sie sich überhaupt sicher ist, zumal sie es noch nicht einmal Bernd erzählt hat, was man auch verstehen kann, bei all den Diskussionen, die sie seit Monaten in Bezug auf das Kinderthema führen wegen dieses Angebots, das Bernd kürzlich von seiner Firma bekommen hat und das er eigentlich nicht ablehnen kann, weil man so eine Chance nur einmal im Leben bekommt und es genau das ist, was er immer machen wollte, zumal auch Elke immer davon geträumt hat, in die USA zu gehen, nicht nur wegen der Kultur und so, sondern schon allein, um ihre Englischkenntnisse aufzubessern, was sie - unter uns gesagt - bitter nötig hätte und wozu sie sicher nicht in die USA auswandern müsste, wo es doch jede Menge Online-Fremdsprachenkurse gibt, die man gemütlich auf der Couch absolvieren könnte, nebenbei einen Cocktail schlürfend - also jetzt mal vorausgesetzt, sie würde Alkohol trinken, was sie derzeit nicht tut, du weißt ja jetzt warum. Stimmt's?

Er: Hä?

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