Süddeutsche Zeitung

Entwicklung der Sexismus-Debatte:Tätschelnder Patriarch vs. hysterische Kampfemanze

Lesezeit: 7 Min.

Männer und Frauen hatten lange Zeit, ihre Standpunkte zu Sexismus und Frauenquote zu diskutieren. Das Ergebnis: Durch den krampfhaften Kampf um Gleichberechtigung werden Geschlechterunterschiede stärker betont als je zuvor. Wie sind wir in diesen Krieg geraten? Und gibt es einen Ausweg?

Von Judith Liere

Als kürzlich die Uni Leipzig bekannt gab, in ihrer Grundordnung künftig männliche wie weibliche Lehrkräfte "Professorin" nennen zu wollen, rollten viele mit den Augen. Andere bekamen einen Schreck. "Herr Professorin", so spitzten einige Medien die Meldung hysterisch zu, solle in Leipzig nun zur üblichen Anrede werden. Die Aufregung war groß, nicht nur auf Männerseite. Auch Frauen mit dem Wunsch nach mehr Gleichberechtigung dachten: bitte nicht.

Sofort war klar, dass die Leipziger Maßnahme die Gleichberechtigung kein Stückchen weiterbringen würde. Im Gegenteil. Es besteht die Gefahr, dass "Herr Professorin" den garstigen, breiten Graben zwischen den Geschlechtern noch vergrößert. Diese Kluft hat seit der Quoten-Debatte und der Brüderle-Diskussion ohnehin schon Grand-Canyon-hafte Ausmaße angenommen, mit einem leichtfüßigen Hopser kommt da inzwischen keiner mehr drüber. Nach all dem Streit, den Leitartikeln, Talkrunden, Büchern, Blogs und mehr oder weniger gescheiten Aufsätzen zum Thema ist die Situation nämlich die: Auf der einen Seite stehen, bis an die Zähne mit Argumenten bewaffnet, die Frauen. Auf der anderen Seite stehen, nicht minder schwer aufgerüstet, die Männer. Dazwischen klafft der Grand Canyon, über den hinweg sie einander feindseliger anstarren denn je.

Und dann also Leipzig. Ein Bonbon für die Frauen, in Wahrheit aber Munition für die Männer. Na super.

Das Zündholz der Saison

Wie hältst du's mit der Gleichberechtigung? Die Frage ist so etwas wie das Zündholz der Saison. Egal, wer sie wie beantwortet, es sprüht und lodert eigentlich immer. Und einige (die Medien, die Wichtigtuer, die Debatten-Groupies, Alice Schwarzer) haben auch ihre helle Freude daran. Bevor die Gleichberechtigung zum Saisonzündholz wurde, wäre man über die neugeschriebene Grundordnung der Uni Leipzig nicht erschrocken. Man hätte das Ganze - je nach Standpunkt - sinnvoll, überflüssig oder einfach nur albern gefunden. Aber so harmlos geht es im Konflikt der Geschlechter längst nicht mehr zu.

Die Lage ist ernst, grässlich ernst. In der Frauendebatte wird jede Äußerung, jede Handlung seit Monaten wortklauberisch auf ihre politische Korrektheit hin überprüft. Immer schwingt beim Publikum auch die Erwartung mit, dass sich, wer etwas sagt oder tut, nun aber mal final zu bekennen habe. Auf welcher Seite des Grabens stehst du?

Die Debatte war eine Chance

Das war nicht immer so. Nach dem Brüderle-Outing des Stern führten die Deutschen ein paar wenige Tage lang eine Diskussion, in deren Kern es tatsächlich um die Frage ging, wie oft Frauen alltäglichem Sexismus ausgesetzt sind. Wie immer, wenn bei einem Thema mal alle mitreden können, hatte die Diskussion etwas zunächst aufregend Verbindendes: Man mochte sich zwar sonst nicht viel zu sagen haben und war vielleicht auch hier unterschiedlicher Meinung - aber jetzt immerhin saß man zusammen und redete. Für kurze Zeit kamen Männer und Frauen miteinander ins Gespräch, es wurden Erfahrungsberichte vorgetragen, Argumente und Gegenargumente ausgetauscht. Man hätte die Gelegenheit nutzen und ein paar Dinge klären können. Stattdessen passierte etwas anderes: Männer fühlten sich in die falsche Schublade gesteckt, die Frauen falsch verstanden, Empörung kochte hoch. Man redete nicht mehr, man stritt. Und am Ende hatten sich wieder zwei Lager gebildet, von denen man eigentlich geglaubt hatte, die Gesellschaft habe sie hinter sich gelassen. Nennen wir sie ganz altmodisch: "die Männer" und "die Frauen".

Die einen stehen unter dem Generalverdacht, Hintern-tätschelnde Patriarchen zu sein, die anderen gelten schnell als hysterische Kampfemanzen, die sich für jahrhundertelange Ungleichbehandlung nun auf unfaire Weise rächen wollen. Leider muss man sagen: Beide Seiten haben es wohl zu relativ gleichen Teilen vermasselt.

Was ist passiert in den vergangenen Monaten, dass all die Twitter-Kommentare, Zeitungsartikel, die Gespräche in der Kneipe und auf Bürofluren wenig Greifbares bewirkt haben, jedenfalls kaum Positives? Offenbar wurde schlicht zu viel und nicht konstruktiv geredet. Viele wollen zum Thema sowieso nichts mehr hören und sind vor allem genervt von der Debatte - Männer häufiger als Frauen, aber auch diese immer mehr.

Das Twitter-Schlagwort "Aufschrei", unter dem Frauen ihre Erfahrungen mit Sexismus teilen sollten, hat eine kurze und traurige Karriere hinter sich: Es wird mittlerweile als ironischer Witz in Internetposts oder Unterhaltungen benutzt, sobald irgendetwas auch nur entfernt mit Männern und Frauen zu tun hat. Beispiel aus einer Stichprobe: "Warum gibt es unzählige Mario Karts, aber bisher kein einziges Marion Kart? #aufschrei".

Die Scherzkekse mal beiseite gelassen: Welche Stimmen sind denn im Juni 2013 noch zu hören?

Es sind, auf der einen Seite, Männer mit aggressiver Abwehrhaltung; Tenor: Die Frauen drehen total durch, die kann man nicht mehr ernst nehmen. Es sind, auf der anderen Seite, Frauen mit überbordendem Turbo-Aktionismus; Tenor: Uns doch wurscht, was die Jungs davon halten, jetzt sind wir an der Reihe! Die beiden anderen Gruppen hört man nicht so deutlich, weil sie teils in Ratlosigkeit verstummt sind: Das sind die verunsicherten Männer, die plötzlich die Frauen nicht mehr verstehen, und die verunsicherten Frauen, die gar keine Lust mehr haben, ihre Meinung zum Thema zu sagen, weil sowieso keiner mehr ein Ohr für Zwischentöne hat.

Zu den aggressiven Polterern gehört Brüderles Parteikollege Wolfgang Kubicki, der damals sofort trotzte, er werde nun keine Journalistinnen mehr in seinem Dienstwagen mitnehmen. "Amerikanische Verhältnisse" wurden prophezeit, wo ein Mann, der allein mit einer Frau im Aufzug fahre, eine Anzeige wegen sexueller Belästigung fürchten müsse. Spiegel-Redakteur Thomas Tuma ätzte kürzlich im eigenen Blatt gegen seine Kollegin Annette Bruhns und den Verein ProQuote, der sich für mindestens 30 Prozent Frauen in Führungspositionen im Journalismus einsetzt. In seinem Artikel sprach er von "Propaganda" und davon, dass "Eigeninteresse als gesellschaftliche Relevanz inszeniert" werde. Die zustimmenden und ablehnenden Reaktionen auf diesen Text kommentierte Tuma im Spiegel-Blog unter anderem mit dem Satz: "Ich warte noch auf brennende Holzkreuze im Garten."

Die hysterische Frau, die sich kreischend aufregt

Frauen agieren nicht minder im Bereich der platten, überzeichnenden Provokation. Man nehme nur mal die barbusigen Auftritte der Femen-Aktivistinnen. Das Konzept von Femen wäre eine kluge Idee, wenn sie damit spielen würden, dass schöne Frauen mit nackten Brüsten immer Presseaufmerksamkeit kriegen, und wenn sie diese Aufmerksamkeit nutzen würden, um kluge Botschaften zu verbreiten. Stattdessen bedienen die Aktivistinnen nur das Bild der hysterischen Frau, die sich kreischend aufregt, aber inhaltlich nichts oder nur dummes Zeug von sich gibt. Bei einer Demonstration im Januar an der Hamburger Herbertstraße, wo sich Prostituierte in Schaufenstern anbieten, verglichen sie die Sexindustrie mit dem Holocaust und schrieben "Arbeit macht frei" an den Eingang der Straße. Schaut man sich solche Aktionen an, kann man den Satz von Tuma im Spiegel-Blog fast schon wieder verstehen. Man muss sich nicht wundern, wenn viele Männer glauben, sie müssten beim Thema Frauenrechte nicht mehr zuhören.

Auch jenseits der Nachrichtenbilder sind Frauen mit schuld daran, dass aus einer Debatte, die eigentlich ein besseres Miteinander zum Ziel haben sollte, ein ideologischer Grabenkampf geworden ist. Viele haben das Gefühl, all das, was jahrzehntelang verbockt wurde, jetzt innerhalb weniger Monate korrigieren zu müssen - und dabei geht ihnen das Gespür für Taktik und das richtige Maß oft verloren. Fieberhaft werden Netzwerke und Seilschaften aufgebaut, um eine möglichst hermetische Front zu bilden, eine Front gegen "die Männer". Argumente rücken in den Hintergrund, für Selbstkritik ist gerade keine Zeit. Reflexhaft versammeln sich dieser Tage Frauen hinter anderen Frauen, die von Männern kritisiert werden. Früher hätten sie kurz mal überlegt, ob an der Kritik vielleicht etwas dran ist. Heute scheint weibliche Solidarität manchmal mehr zu zählen als Inhalt. Nicht jede macht da mit. Auf der Facebookseite der Süddeutschen Zeitung kommentierte eine Nutzerin die neue Sprachregelung an der Leipziger Uni: "Wenn das der neue Feminismus sein soll, steig' ich aus."

Frauen, denen der Turbo-Aktionismus zu viel geworden ist, müssen sich ausführlich erklären. Das ist sehr mühsam. Die uralten Klischees über Feministinnen, sie seien überempfindlich, humorlos und mit Alice Schwarzer immer einer Meinung, sind durch weitere ergänzt worden: Komplimente von Männern sehen sie als sexuelle Belästigung, an der Stagnation im Job ist ausschließlich der Chef schuld. Das sind Projektionen, die es der, sagen wir ruhig: Gegenseite leicht machen, die im Kern berechtigten Anliegen von Frauen in einem Aufwasch lächerlich zu machen.

So bleibt, als greifbarstes Ergebnis im Alltag, der Darf-man-denn-noch-Satz. Darf man einer Frau denn noch die Tür aufhalten, die Kollegin kurz an der Schulter berühren, einen Jungswitz erzählen und Femen doof finden oder hat man als Mann gar kein Recht, das zu bewerten? "Darf man denn noch sagen, dass du ein schönes Kleid anhast" - oder ist das schon "ein Brüderle"? Der Satz kommt meist ironisch daher, aber es steckt Verunsicherung dahinter. Er ist das Symptom eines Zustands, in dem viele Männer tatsächlich nicht mehr genau wissen, was noch richtig und was falsch ist.

Verpufft in kleinkarierten Kämpfen

Der Plan, im Umgang miteinander mehr Verständnis und Gleichberechtigung zu schaffen, ist jedenfalls nach hinten losgegangen. Die Unterschiede zwischen den Geschlechtern werden heute stärker betont als vor zehn Jahren. Männer sind so, Frauen sind so - die Debatte bewegt sich größtenteils auf einem Niveau, das so stark pauschalisiert wie die Witze von Mario Barth. Die Kraft des Aufbruchs, die anfangs noch spürbar war, ist in kleinkarierten Kämpfen um Sprachregelungen verpufft. Dass das Wort "Professor" in der Grundordnung der Universität Leipzig auch für die Professorin stand - lag hierin wirklich eines der Hauptprobleme moderner Frauen? Tatsache ist: Situationen, in denen "das natürliche Geschlecht unwichtig ist oder männliche wie weibliche Personen gleichermaßen gemeint sind", wie der Duden das generische Maskulinum erläutert, sind seltener geworden, in der Sprache und im Alltag.

Die Leipziger hätten den Konflikt umgehen können, wenn sie die etwas gestelzte, aber neutrale Formulierung "Lehrende" gewählt hätten, anstatt sich wieder für eine Geschlechterform zu entscheiden. Wenn das generische Maskulinum als diskriminierend gegenüber Frauen empfunden wird, kann die Lösung doch nicht das generische Femininum sein - um nun auch mal die Männer zu diskriminieren. Was eigentlich mehr Gleichheit schaffen sollte, wirkt so wie ein Racheakt nach dem Motto: Jetzt drehen wir den Spieß mal um, damit ihr seht, wie sich das anfühlt.

Die Debatte ist an einem Punkt angelangt, an dem alle Argumente bis zur Erschöpfung erörtert wurden. Nun könnte man ja eigentlich mal aufeinander zugehen. Die oft beschworene Augenhöhe zwischen den Geschlechtern, sie bedeutet ja nicht, dass jede Bemerkung und jedes Kompliment ganz kritisch auf politische Korrektheit hin abgeklopft werden muss. Ein schlüpfriger Witz stört Frauen oft weniger als die verdruckste Bemerkung, man müsse sich zusammenreißen, "weil Damen anwesend" seien. Frauen wiederum müssen nicht lauernd darauf warten, dass ein Mann sich ungeschickt verhält, um ihm dann vorwerfen zu können, dass er ein aus der Zeit gefallener Sexist sei. Beide Seiten könnten die Kategorien "Frauen" und "Männer" kurz mal links liegen lassen und es probehalber hiermit versuchen: "wir".

Dann herrscht vielleicht das richtige Klima, um die relevanten Probleme bei der Gleichberechtigung endlich anzugehen.

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Quelle:
SZ vom 22.06.2013
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