Entsorgung von Medikamenten:Medizin für die Tonne

Wohin mit altem Hustensaft? Weil keiner mehr für die Entsorgung von Altmedikamenten zahlen will, landen immer mehr Arzneireste im Hausmüll. Das hat Folgen.

Sarina Pfauth

Über viele Jahre lernten die Deutschen, dass sie Reste von Hustensaft, Kopfschmerztabletten und Tropfen gegen Übelkeit in die Apotheke zurücktragen sollen, anstatt sie wegzuschütten. Doch neuerdings weigern sich einige Apotheken, die Altmedikamente zurückzunehmen und empfehlen, die Reste in den Hausmüll zu stopfen.

Entsorgung von Medikamenten; ddp

Viele Deutsche werfen Tabletten, die sie nicht mehr benötigen, in die Toilette. Das allerdings birgt Gefahren für die Umwelt.

(Foto: Foto: ddp)

Juristisch gesehen gibt es bei der Sache gar kein Problem: Medikamente dürfen ganz offiziell vom Bürger im Hausmüll entsorgt werden. Doch Riccardo Amato vom Bundesumweltamt sieht die neue Mode mit Sorge. Denn zum einen besteht die Gefahr, dass Kinder im Müll wühlen und Betablocker für Fruchtgummis oder Bonbons halten.

Und auch das Trinkwasser ist in Gefahr. Und das ausgerechnet deshalb, weil die Deutschen so motivierte Mülltrenner sind: Weil sie die Fläschchen, Tuben und Dosen fachgerecht im Altglas oder im Gelben Sack entsorgen wollen, schütten viele brave Bürger ihre Arzneireste in die Toilette oder das Waschbecken. Das jedoch belastet die Umwelt: Die Kläranlagen tun sich schwer mit dem Abbau der stabilen Wirkstoffmoleküle, sie gelangen in Flüsse und Seen und schließlich wieder ins Trinkwasser.

Rechtlich gesehen sind Apotheken auf der sicheren Seite, weil sie nicht dazu verpflichtet sind, Arzneimittelreste zurückzunehmen. Bislang taten es die meisten von ihnen aber freiwillig - als Service für ihre Kunden und aus dem Wissen heraus, dass eine unsachgemäße Entsorgung der Medikamente Gefahren birgt. Allerdings: Für die Pharmazeuten waren damit keine Kosten verbunden; die Säcke mit den angebrochenen Medikamenten wurden gratis bei den Apotheken abgeholt. Seit 1. Juni ist das anders.

Problem verschärft

Nun sollen die Apotheker zahlen - und nicht alle wollen das. Auslöser dafür ist die fünfte Novelle der Verpackungsverordnung, die im Janur 2009 in Kraft trat. Dass viele Apotheken die Altmedikamente deshalb nun nicht mehr zurücknehmen, verschärft das Problem der Arzneimittelentsorgung.

Dabei steht es damit in Deutschland sowieso nicht zum Besten: Eine repräsentative Untersuchung durch das Forschungsprojekt "start" (Strategien zum Umgang mit Arzneimittelwirkstoffen im Trinkwasser) hat ergeben, dass jeder siebte Bundesbürger seine nicht mehr benötigten Tabletten zumindest gelegentlich über die Toilette entsorgt. Flüssige Arzneimittelreste kippt sogar jeder Zweite bisweilen in den Ausguss oder die Toilette - zehn Prozent der Bevölkerung tun dies sogar immer.

Kläranlagen haben zwar eh mit Medikamenten-Rückständen zu kämpfen, denn viele Wirkstoffe werden über den Körper wieder ausgeschieden und gelangen so ins häusliche Abwasser. "Im Verhältnis zur Menge an Arzneimittelwirkstoffen, die jährlich über die Ausscheidungen in die Umwelt gelangt, ist dies zwar nur ein Anteil von wenigen Prozent. Zu berücksichtigen ist aber, dass für solche Wirkstoffe, die im Körper fast vollständig verstoffwechselt werden, die unsachgemäße Entsorgung der Haupteintragspfad sein kann", stellen die Forscher in ihrem Bericht fest.

Lesen Sie weiter: Hintergrundinfo - warum das System der Arzneimittelrücknahme jetzt nicht mehr funktioniert.

Warum die Apotheken nun zahlen sollen

Bislang finanzierte die Pharmaindustrie das gängige System, nachdem die Altmedikamente und ihre Verpackungen in den Apotheken abgeholt und sicher entsorgt wurden. Drei Viertel aller Apotheken waren diesem Rücknahmesystem angeschlossen. Das funktioniert nun aber nicht mehr: Die Pharmaindustrie ist nämlich nur dazu verpflichtet, für die Rücknahme der Verpackungen aufzukommen, nicht aber für die Entsorgung der Altmedikamente. Und weil die Pharmaindustrie die Rücknahme der Verkaufsverpackungen nicht mehr selbst organisieren darf, sondern sich finanziell am Dualen System beteiligen muss, fehlt nun plötzlich Geld.

Michael Heising, Geschäftsführer des Kölner Unternehmens Vfw, das die Altmedikamente inklusive Fläschchen und Kartonagen bislang im Auftrag der pharmazeutischen Industrie eingesammelt hat, sagt, das bisherige System sei aber nur durch die Verpackungen lebensfähig gewesen. Altmedikamenten-Rücknahme könne nun nicht mehr kostendeckend betrieben werden. Seit Anfang Juli bietet Vfw den Service deshalb nur noch in veränderter Form an.

Jeder muss selbst entscheiden

Wie viele Apotheken den alten Service zum neuen Preis bislang angefordert haben, sagt Heising nicht. Er deutet aber an, dass es bislang sehr viel weniger Kunden sind als zuvor. Die Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände führt darüber nicht Buch und will auch keine Schätzungen vornehmen. Pressesprecherin Ursula Sellerberg sagt zu dem Thema nur, dass jeder Apothekenleiter für sich entscheiden müsse, wie er mit der Rücknahme umgehe.

Zusammen mit Vertretern von Apotheken und Pharmaindustrie will die Vfw laut Geschäftsführer Heising nun eine neue Lösung finden, mit der alle Beteiligten leben können. Einige Städte versuchen ebenfalls, Alternativen zum bisherigen System zu finden. So wird in Berlin gerade die "Meditonne" getestet, eine verschließbare Abfalltonne, deren Inhalt verbrannt wird.

Folgen für Mensch und Umwelt

In Oberflächenwassern und im Grundwasser werden heute weit über 100 verschiedene Arzneimittelwirkstoffe nachgewiesen. Die Folgen sind noch unklar. Wissenschaftler gehen zwar davon aus, dass die Konzentrationen so gering sind, dass sie für die Menschen keine nachteilige Wirkung haben. Gefährdet ist aber die Tier- und Pflanzenwelt. Nachgewiesen ist zum Beispiel, dass EE2, ein Wirkstoff, der in den meisten hormonellen Verhütungsmitteln eingesetzt wird, wegen seines hohen östrogenen Potentials in diesen Konzentrationen ein wesentlicher Faktor ist, der zur beobachteten Verweiblichung von männlichen Fischen beiträgt, die ihren Lebensraum in der Nähe von Kläranlagenabläufen haben.

In Pakistan und Indien starben drei wichtige Geierarten fast vollständig aus, weil sie sich von verendeten Rindern ernährt hatten, die mit dem Antirheumatikum Diclofenac behandelt worden waren.

Was man mit Medikamentenresten nun anfangen soll? Amato vom Bundesumweltamt empfiehlt, die übrigen Arzneimittel nach Möglichkeit doch noch beim Apotheker zurückzugeben. Oder sie zu Schadstoffsammelstellen zu bringen, von wo aus sie fachgerecht entsorgt werden.

Kleiner wird das Problem in Zukunft jedenfalls nicht. Denn mit der demographischen Entwicklung in Deutschland und Europa hin zu immer älteren Gesellschaften wird ein deutlicher Anstieg des Arzneimittelverbrauchs einhergehen - und somit wird es auch mehr Reste geben.

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