Elvis in Deutschland:Der King im Capri-Club

Elvis Presley, so will es die Legende, kam vor fünfzig Jahren als "gewöhnlicher GI" nach Deutschland. In der Kaserne hat er aber so gut wie nie übernachtet.

Katja Riedel

Es ist ein simples Häufchen schwarzgefärbter Haare, das Karl-Heinz Stein an diesem Nachmittag im Oktober 1958 mit schwitzigen Händen vom Boden des Frisiersalons der Friedberger Ray-Barracks aufklaubt. Dass dieses Häufchen sein Leben verändern wird, weiß Stein nicht.

Elvis in Deutschland: Elvis Presley als Soldat in Friedberg.

Elvis Presley als Soldat in Friedberg.

(Foto: Foto: dpa)

Der Mann, den der Texaner auf dem roten Frisierstuhl von jetzt an kumpelhaft "Barber-Karle" nennt, wird Stein zu dem machen, was er bis heute ist: Der Elvis-Friseur. Ein Fan wird Stein vier Jahrzehnte später den Gegenwert eines Cabrios für einen Teil der Haare zahlen. Auch ohne dieses Wissen sind die Locken schon in jenem Moment ein Schatz, in dem Stein den Deckel seines Kästchens zuklappt - ein Hort der Erinnerung.

Nicht nur für den Friseur, der Elvis 17Monate lang den Militärschnitt verpasste, sondern für eine ganze Generation bildet die Zeit, die der "gewöhnliche GI" Elvis Aron Presley in der hessischen Provinz verbrachte, den Wendepunkt in der eigenen Identitätssuche, die Geburtsstunde einer neuen Jugendkultur. Elvis steht heute nicht nur für einen Reifeprozess, den die Musik durch seine Zügellosigkeit, Kraft und inneren Abgründe erfuhr; für einen Reifeprozess, der die Stones und die Beatles möglich machte.

Elvis und die Halbstarken sprengten einer problematischen Generation den Weg frei: Sie wurden im Krieg geboren, unter Hitler sozialisiert, erlebten Hunger, Not und Besatzung. Dann fielen sie: In eine neue Zeit, in der alte Werte neu aufgelegt wurden. Eine Welt ohne eigene Leitbilder.

Dieser Jugend bot Elvis nun Schützenhilfe. Mit Elvis Presley und seiner Musik kamen Freiheit und Freizügigkeit, kamen westliche Werte und eine neue Sinnlichkeit nach Deutschland, nach Hessen, in die Wetterau. Wenn sie es in dieser Provinz vermochten, an Althergebrachtem zu rütteln, dann konnten sie es überall schaffen.

Für die SED und die Parteizeitung Junge Welt war die Sache klar: Eine Verschwörung der NATO musste dahinterstecken, als der GI Nummer 53-310-761 am Morgen des 1. Oktober 1958 gegen 9.30 Uhr in Bremerhaven die "General G.M. Randall" verließ - als einer von 1382 Soldaten, einen Seesack lässig über die Schulter geworfen.

Die Deutung der DDR: Presley solle in Westdeutschland "transatlantische Veitstanzmusik" als "Konzept des kalten Krieges" und der "psychologischen Kriegsführung" verbreiten und dabei die Jugend im Osten heimlich unterwandern.

Einer von den guten Jungs

Dabei hegte Elvis wohl eines nicht: politische Absichten und die Hoffnung auf eine tragende Rolle im Ost-West-Konflikt. "Niemand braucht sich um mich Gedanken zu machen. Ich möchte wie jeder andere Amerikaner meine Pflicht tun", ließ er lakonisch verlauten.

Dass der 23-jährige Presley, der in den USA längst zum Gesicht der Halbstarkenbewegung geworden war und monatlich mehr als 100.000 Dollar einstrich, freiwillig seinen Militärdienst ableisten wollte, lässt sich bis heute nur schwer verstehen. Und doch gibt es Erklärungen: Sein provokanter Hüftschwung hatte ihm zwar Millionen hysterischer Fans in seiner Heimat eingebracht - aber auch erbitterte Gegner, die in einer von Elvis Presley geführten Jugend mindestens den Untergang der christlichen Welt vermuteten.

Sie sollten nun davon überzeugt werden, dass dieser Aufsteiger aus der texanischen, weißen Unterschicht, dem "white trash", einer von den guten Jungs war: Ein Heranwachsender, dessen geliebte Mutter Grace gerade einer schweren Krankheit erlegen war - und der umso mehr das Plazet einer ganzen Elterngeneration brauchte, um glücklich zu werden. Und nebenbei ließ sich von Deutschland aus ja auch der europäische Markt erobern, wo Elvis zwar bereits viele Platten verkaufte, aber bei weitem nicht zu jener Lichtgestalt verklärt worden war wie in Amerika.

So ist die hysterische Menge, die manche Journalisten bei der Ankunft des Private Presley erlebt haben wollten, in Wahrheit doch ein eher überschaubarer Haufen gewesen. Militärisch-nüchtern titelte die Süddeutsche Zeitung: "Schütze Presley stößt nach Deutschland vor." Und doch scheint bereits jede Minute der ersten Tage akribisch protokolliert worden zu sein, wie jeder Schritt Presleys, wie jede Geste und jeder Kontakt zu den Menschen in jenen deutschen Monaten, in denen sie sich plötzlich durch ihn, den Weltstar, selbst wie Weltbürger fühlen konnten - Elvis, ein König von nebenan.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie Elvis in Friedberg residierte...

Der King im Capri-Club

Bett 13 in Baracke 3707, Erdgeschoss links in den Friedberger Ray Barracks blieb meist verwaist. Elvis residierte lieber bequemer, privater, von seinem Clan umgeben. Er selbst, Vater Vernon, Großmutter Minnie Mae sowie zwei rüpelhafte Leibwächter zogen zunächst in das feine Bad Nauheimer Park Hotel, dann für fast vier Monate in das Hotel Villa Grunewald.

Elvis in Deutschland: GI Elvis gibt Autogramme vor der Kaserne in Friedberg.

GI Elvis gibt Autogramme vor der Kaserne in Friedberg.

(Foto: Foto: dpa)

Allerlei Details kolportieren die damaligen Angestellten darüber, wie der King und dessen Sippschaft residierten. Parkhotel-Page Georg will Schlaftabletten und Appetitzügler für Elvis aus der Apotheke geholt haben. Und doch erinnert sich der damals 14-jährige Lehrling an die enormen Portionen, die Elvis auf sein Zimmer bestellte: Maiskolben mit Speck, Bratwürste mit Zwiebeln, Hamburger, Hotdogs, Brathähnchen mit Grünkohl, und obendrauf noch ein Schokolade-Malz-Bananen-Milchshake.

Kein Wunder also, dass die Bilder, die den jungen Elvis zeigen, schon jenes Übergewicht andeuten, das später einmal in die wurstpellenengen weißen Anzüge gepresst werden sollte. Zwei Worte, erinnert sich Georg in dem Sammelband "Elvis in der Wetterau", habe Elvis damals auf Deutsch sagen können: "Auf Wiedersehen" und "Wiener Schnitzel".

Alkohol und Damen

Infantil sei er gewesen, habe mit Kuscheltieren geschmust, stinknormal eben, ein bisschen schüchtern, erinnert sich Georg an Details, von denen man heute kaum zu sagen vermag, wo die Wahrheit in soviel Mythos steckt und wo das Immer-wieder-Erzählen sich eigene Realitäten geschaffen hat - wie es Zeitzeugenberichten zueigen ist.

Weil Vater Presley und die Leibwächter immense Mengen Alkohols konsumierten und mit dem Ruhm des Sohnes beziehungsweise Arbeitgebers auch die eine oder andere Dame auf das Hotelzimmer lockten, waren die Presleys bald - wie schon im Parkhotel - auch für die Villa Grunewald untragbar. Zudem belagerten Presse und Fans das Hotel, was den Betrieb stark behinderte.

Der Presley-Clan flog raus und zog in ein großbürgerliches Villenviertel der Kurstadt Bad Nauheim, in die Goethestraße 14 - eine Villa, die heute eine Arztfamilie bewohnt, die kein Gedenktäfelchen an jener Gartentüre duldet, vor der einst Horden von Teenagern darauf warteten, dass ihr Idol vom Dienst aus dem vier Kilometer entfernten Friedberg heimkehrte. Noch heute strahlt das Haus eine Aura von Geborgenheit aus. Hier habe er seine zweite Heimat gefunden, sagte Elvis, als er sich wieder auf den Weg nach Memphis machte, in seine erste Heimat. Die zweite hat er nie wiedergesehen.

In Deutschland blieben Menschen zurück, für die die Begegnung mit Elvis zur Achse wurde, die ihre Lebenszeit in ein Davor und Danach teilt. Jedes noch so kleine Detail haben sie in sich aufgesogen. Zu ihnen gehört Claus-Kurt Ilge, damals 16 Jahre alt. "Wir jungen Menschen suchten den Protest, und Elvis half uns dabei. Eltern und Lehrer hatten dafür kein Verständnis", berichtet Ilge in seinem Buch.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, was die "Bravo hoffte"...

Der King im Capri-Club

Fast täglich hat er seinem Idol aufgelauert, hat Hunderte Autogramme gesammelt und die Schule geschwänzt. Zu Elvis will er ein ganz persönliches Verhältnis aufgebaut haben: Er habe ihn nicht als den harten Rockstar erlebt, der er vorgab zu sein, sondern als sensiblen und zuvorkommenden Kumpel, "dem es Spaß machte, mit Wasserpistolen zu spritzen."

Ob Claus-Kurt Ilge und die vielen anderen angeblichen Intimfreunde und Herzensdamen ihrem Idol tatsächlich so nah waren, spielt dabei gar keine Rolle. Auch wenn man sie als bloße Behauptungen versteht, geben sie darüber Auskunft, wie Elvis zum Bezugspunkt eines inneren Umbruchs wurde, der ganz Deutschland erfasste.

Die Medien sprangen auf den Zug auf, der sie ansonsten überfahren hätte, und betätigten sich nicht selten als Dampfmacher. So wusste die Bravo in jeder Ausgabe Neuigkeiten über den Rock-GI zu berichten. "Elvis wird Deutscher", titelte sie einmal hoffnungsvoll.

Deutscher wurde er nicht, aber er bereiste das Land, immerhin. Wenn Elvis durch Deutschland fuhr, war er nie allein; um ihn scharten sich Reporter. Die Münchner Abendzeitung protokollierte jeden Handschlag auf dem Stadtgebiet und am Starnberger See. Besonders die schöne Schauspielerin Vera Tschechowa habe es Presley angetan, munkelte nicht nur die Abendzeitung; die Hoffnung, Elvis ließe über das Herz einer Frau in Deutschland eingemeinden, teilten damals nicht viele. Es wäre einfach zu schön gewesen.

Priscilla in Friedberg

Sein Herz verlor Elvis dann wirklich, sogar in Friedberg - aber an eine Amerikanerin, an die gerade 14-jährige Schülerin Priscilla Beaulieu, Tochter eines Captains der US-Luftwaffe, die später seine Frau wurde.

Als Elvis ging, hinterließ er in Deutschland kaum eine sichtbare Spur. Die Pilgerströme zu den Elvis-Orten wurden dünner. Erst seit 1996 gibt es in Friedberg einen Elvis-Presley-Platz, in Bad Nauheim eine unspektakuläre Gedenksäule. Um den Todestag herum lässt das Bad Nauheimer Stadtmarketing Imitatoren die Hüften kreisen, in Wandelhalle und Kurkonzertmuschel, für die Generation 60 plus, die Elvis' Deutschlandaufenthalt miterlebt hat. Mehr ist nicht drin, zum Leidwesen der King-Fanatiker des örtlichen Elvis-Vereins.

Die amerikanische Nationalhymne kämpfte gegen den Lärm der viermotorigen Maschine, mit der Elvis am späten Nachmittag des 2. März 1960 abhob. Zuvor hatte er Artigkeiten in die sieben Kameras, acht Rundfunkmikrofone und 71 Blöcke diktiert, die sich im Offizierskasino eingefunden hatten. Seine letzte Nacht in Bad Nauheim war laut: Die Fans hielten Nachtwache, sangen Schlaflieder, einer spielte auf der Mundharmonika. Es war ein Abschied, von dem die meisten wussten, dass er endgültig war. Ein Abschied, der sie verändert zurückließ, schon jetzt voller Erinnerung.

"Muss i denn zum Städtele hinaus"

Immerhin, Elvis hat sich noch einmal gemeldet, mit einem musikalischen Gruß. Wenige Monate nach seiner Rückkehr in die Vereinigten Staaten entstand der Film "GI Blues", der das Schicksal eines in Deutschland stationierten US-Soldaten zeigt. In der Hauptrolle, wer sonst, Elvis Presley, der bei dieser Gelegenheit unter anderem die Schnulze "Wooden heart" zum Besten gab - seine Version von "Muss i denn zum Städtele hinaus". Ein Souvenir aus Friedberg, wo Presley das deutsche Lied auf einer Schallplatte aus der Kasernenbibliothek gehört hatte.

Mittlerweile hat auch die US-Army ihren Stützpunkt in Friedberg aufgelöst. Für die Ray Barracks sucht die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben derzeit einen Investor. Der Elvis-Verein findet, dort gehöre ein Museum hin, am besten mit einer Rekonstruktion des Capri-Clubs, in dem damals neben dem Karl Heinz Stein und seiner Combo auch Elvis Presley aufgetreten ist.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: