Einfrieren von Eizellen:Unbefleckte Empfängnis

Künstliche Befruchtung

Die eingefrorenen Eizellen müssen künstlich befruchtet werden

(Foto: dpa)

"Social Freezing" ist eine rein deutsche Worterfindung - und ein Kampfbegriff. Dabei ist es gut, dass Frauen ihre Eizellen einfrieren können, wenn sie denn wollen. Die Trennung von Sex und Fortpflanzung dient auch hier der Gerechtigkeit.

Von Carl Djerassi, dem Erfinder der Pille

Lassen Sie mich mit eine Warnung vorwegschicken: Ich lehne die deutsche Bezeichnung "Social Freezing" ausdrücklich ab - im Gegensatz zu der Methode an sich. Warum sage ich "deutsch"? Weil diese englische Phrase, genau wie etwa das Wort "Handy", nur im Deutschen benutzt wird. Wenn Sie versuchen, "Social Freezing" in den USA zu googeln, werden Sie nur deutsche Einträge finden.

Warum benutzt niemand den deutschen Ausdruck "gesellschaftliches Einfrieren"? Ist er zu lang? Ist es "cool", einen englischen Ausdruck zu benutzen? Oder bedeuten die Fremdwörter auch eine Verurteilung? Ich glaube, dass der Ausdruck aus dem deutschen Wortschatz gestrichen werden sollte, bevor der Duden ihn verewigt, so wie das Internet es jetzt schon tut.

Ein Affront für die Frauen

Die Phrase beleidigt alle Frauen, denn nur sie sind von den neuesten Entwicklungen der Reproduktionsmedizin betroffen: zuerst im Jahr 1960 mit der Einführung der Pille, 17 Jahre später mit der künstlichen Befruchtung und seit 2011 mit dem erfolgreichen langfristigen Einfrieren von unbefruchteten Eizellen. Alle drei Methoden waren revolutionär. Die Pille ermöglichte es Frauen, Sex zu haben, ohne sich über Reproduktion Gedanken zu machen. Durch künstliche Befruchtung können Frauen ohne Geschlechtsverkehr schwanger zu werden. Diese "unbefleckte" Prozedur wird fast ausschließlich von Menschen mit Fruchtbarkeitsproblemen genutzt und ermöglichte, dass in den vergangenen drei Jahrzehnten mehr als fünf Millionen Babys zur Welt kamen.

Doch weder Pille noch künstliche Befruchtung schaffen eine Lösung für ein neueres Phänomen: die wachsenden Wünsche und Fähigkeiten von Frauen, zuvor männliche dominierte Berufe in höheren Gehaltsgruppen auszuüben. Die traditionellen drei K - Kinder, Küche, Kirche - haben sich in kürzester Zeit in eine neue Variante verwandelt: Karriere, Kind, Kochen. Die überwältigende Mehrheit der Frauen arbeitet. Warum sollte es ihnen nicht möglich sein, Mutterschaft und berufliche Ambitionen zu kombinieren, so wie es bisher nur Männern erlaubt war?

Im Gegensatz zu Männern, die fast ihr ganzes Leben lang Sperma produzieren, sind Frauen mit dem unerbittlichen biologischen Phänomen konfrontiert, dass sie nur mit einer gewissen Menge von Eizellen zur Welt kommen. Im Alter von 35 Jahren sind nur noch etwa fünf Prozent der Zellen übrig, und diese altern rasant, wodurch das Risiko für geschädigtes Erbgut und Unfruchtbarkeit steigt.

Eine Methode für den Fall der Fälle

Dennoch sind gut ausgebildete, europäische Frauen bei der Geburt des ersten und oft einzigen Kindes heute im Schnitt 35 Jahre alt (in Großbritannien); bei Frauen, die keine Universität besucht haben, liegt das Alter bei 25. Mit den durchschnittlich 1,5 Kindern pro Familie bekommen Zentraleuropäer weit weniger als die 2,1, die benötigt würden, damit die Bevölkerung nicht schrumpft.

Zwischen dem Alter von 30 und 35 liegen genauso fünf Jahre wie zwischen dem von 35 und 40. Und doch sind diese beiden Perioden extrem unterschiedlich. Zwar konnten ältere Frauen in den vergangenen Jahren durch einen hohen Forschungsaufwand dazu gebracht werden, für künstliche Befruchtungen in einem Monat knapp ein Dutzend Eizellen zu produzieren.

Social oder sozial?

Carl Djerassi

Der Erfinder der Pille: Carl Djerassi (Archivfoto von 2003)

(Foto: dpa)

Doch was bisher fehlte, waren junge Eizellen, die zur gewünschten Zeit der Empfängnis aufgetaut werden konnten. Dieses Eizellen-Einfrieren - völlig zu Unrecht "Social Freezing" genannt - wurde erst nach 2010 so erfolgreich eingesetzt, dass nun viele Kliniken weltweit diese Methode kommerziell anbieten können. Junge Berufstätige können nun das Kinderkriegen bis in ihre späten Dreißiger oder frühen Vierziger aufschieben und trotzdem das Risiko von Geburten mit alten Eizellen umgehen.

Eine Möglichkeit ohne Muss

Die zahlreichen Gegner des "Social Freezing" in Deutschland vergessen, dass dies eine Option ist und keine Pflicht - genauso wie die Pille oder künstliche Befruchtung nur Optionen sind. Sex und Reproduktion gehören zu den persönlichsten aller Entscheidungen. Die Frauen und ihre Partner sollten sie unter bestmöglichen Umständen treffen.

Die hohe Zahl der Kirchenaustritte in den vergangenen Jahren, zu deren Ursachen auch die ablehnende Haltung der Katholiken gegenüber Verhütung gehört, und die hohe Zahl von illegalen Abtreibungen in Lateinamerika zeigen, was passiert, wenn Menschen versuchen, anderen ihre Meinung aufzuzwingen. Für Europäerinnen ist die Lösung hierfür sowohl einfach als auch ungerecht: Relativ gut verdienende Frauen können in Länder wie Belgien, Spanien oder Israel reisen. Doch was ist mit ihren ärmeren Mitbürgerinnen? Sollten sie nicht ebenfalls diese Option haben?

Englische Wörterbücher definieren "social" als "angenehme Gemeinschaft mit Freunden oder Kollegen" - so wird das Wort im Alltag genutzt. Allerdings ist die erste Definition von "social" im Oxford English Dictionary und ähnlichen Handbüchern ein "Krieg zwischen Verbündeten oder Feinden".

Ein Konflikt ohne Grund

Ist die deutsche Terminologie also der Versuch, einen Krieg zwischen Männern und Frauen anzuzetteln - vielleicht, weil das Machtgefälle zwischen Männern und Frauen durch diese Methode verringert würde? Oder handelt es sich hier um eine unterschwellige Verurteilung von Frauen, die von einer Option profitieren würden, die ihr Leben vereinfachen oder verbessern könnte?

Progressive Unternehmen wie Apple oder Facebook zu verurteilen, weil sie ihren Mitarbeiterinnen das Eizellen-Einfrieren kostenlos anbieten, weil sie es jeder Frau und nicht nur den besser Verdienenden ermöglichen wollen, ist absurd. Diesen Firmen Hintergedanken zu unterstellen - zum Beispiel späte Geburten erzwingen zu wollen -, ist genauso abwegig.

Wenn sich eine 25 Jahre alte Apple-Angestellte entscheidet, innerhalb der nächsten zehn Jahre ein Kind zu bekommen, wird sie wahrscheinlich auf natürlichem Weg schwanger werden. Erst wenn sie diese Entscheidung bis in ihre Vierziger aufschiebt, werden wir erfahren, in welchem Ausmaß sie das "Freezing" genutzt hat - oder ob sie sich entschlossen hat, das Risiko einer natürlichen Empfängnis in Kauf zu nehmen. 2030 wird man mehr wissen.

Eizellen einzufrieren ist eine Option, die ehrgeizigen Frauen den beruflichen Aufstieg genauso ermöglicht wie Kinder zu bekommen. Es ist eine Möglichkeit, wie für andere kostenlose Kitas in der Nähe des Arbeitsplatzes eine Möglichkeit sind, Kind und Karriere zu vereinbaren. Keine Option schließt die andere aus. Es wird Zeit, das "social" vom "Social Freezing" zu trennen. In den nächsten 15 bis 20 Jahren wird diese Methode die Wahlmöglichkeiten von Frauen erweitern. Sie wird das Machtgefälle zwischen den Geschlechtern verringern - und allen mehr Optionen eröffnen.

Carl Djerassi, 91, emeritierter Chemie-Professor in Stanford, Erfinder der Pille, die den Lebensentwurf ganzer Generationen verändert hat, wie er in seiner Autobiografie "Der Schattensammler" beschreibt.

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