Eine Putzfrau in Deutschland:Augen zu und durchwischen

Justyna Polanska feudelt seit Jahren in deutschen Haushalten. In einem Buch schreibt sie nun über schöne Fassaden und den Ekel dahinter.

Claudia Fromme

Wenn Justyna Polanska einem die Hand gibt, zuckt man unweigerlich zusammen. Von außen betrachtet ist da nichts besonderes. Sie ist schmaler Statur, vielleicht 1,50 Meter groß, und wären ihre Hände nicht sorgsam manikürt, könnte man sie für die eines Kindes halten. Gibt man Justyna Polanska, 32, also die Hand, muss man ihr scharf ins Gesicht sehen, um nicht zu vergessen, dass kein Reckturner, Steinmetz oder Maurer vor einem steht: Eine Hornhaut hat sich wie eine Platte auf den Handteller gelegt - Schrubberschwielen.

Symbolbild Schwarzarbeit in Deutschland

"Unter deutschen Betten" heißt Justyna Polanskas aufschlussreicher und durchaus humorvoller Report über die deutsche Unreinkultur.

(Foto: Ralf Hirschberger/dpa)

Die Hände sind Justyna Polanskas Arbeitsgerät. Sie ist Putzfrau, 40 bis 50 Stunden die Woche schrubbt, wienert, feudelt sie, seit sie vor elf Jahren aus Polen nach Deutschland gekommen ist, auf der Suche nach einer besseren Zukunft. Sie hat sie unter deutschen Betten gefunden.

Justyna heißt Justyna aber nicht Polanska und zu ihrem Wohnort sei nur gesagt, dass er bei Frankfurt liegt. Anfangs hat sie ihre Auftraggeber gefragt, ob sie nicht legal putzen könne. Ungläubiges Lachen. Nein, wirklich nicht. Keiner wollte die Steuern zahlen. Also putzt sie seit elf Jahren schwarz - bei Richtern, Anwälten, Polizisten. Bei einem Beamten pflegt sie die Hanfzucht. Es sei doch Quatsch, beschlagnahmte Sachen wegzuwerfen, sagte er zu ihr. Ein anderer Polizist macht an einem Tag Razzien gegen Schwarzarbeiter auf dem Bau und am nächsten kommt Justyna. "Manchmal frage ich mich, in was für einem verrückten Land ich lebe", sagt sie und zuckt mit den Schultern.

Ekliges unter deutschen Betten

Unglaubliche Dinge passieren in deutschen Haushalten, sagt Justyna. Manche wundern sie, viele ärgern sie. Einige davon hat sie aufgeschrieben, ein Freund half ihr, einen Verlag zu finden und einen plakativen Nachnamen: Polanska. "Unter deutschen Betten" heißt ihr aufschlussreicher und durchaus humorvoller Report über die deutsche Unreinkultur, der nun bei Knaur erscheint und in die derzeit moderne Offenbarungsliteratur von Randfiguren des Alltags passt. Sekretärinnen berichten, Call-Center-Agenten, Pannenhelfer. Die Erlebnisse der französischen Supermarktkassiererin Anna Sam schafften es in die internationalen Bestsellerlisten.

Offenbar lieben wir es, vorgehalten zu bekommen, wie wir uns daneben benehmen. Justyna ist ziemlich desillusioniert, was den Ruf ihrer neuen Heimat angeht. "Ich dachte in Polen immer, in Deutschland ist alles sauber und ordentlich", sagt sie. Im Gegenteil. Es gehe in Deutschland viel um die Fassade, wie es dahinter aussehe, sei oft egal. Sie könne sich das Urteil erlauben, weil sie Einblicke in das Leben ihrer Kunden bekomme, die kein anderer habe. "Oder würden Sie ihre Mutter unter Ihr Bett gucken lassen?" Das sei das Privileg der Putzfrau. "Ich sehe alles." Leider.

Wenn Justyna von den ekligsten Fundstücken unter deutschen Betten erzählt, kneift sie die Augen zu: ein ganzer abgefallener Nagel des großen Zehs, die mumifizierten Überreste eines seit Wochen vermissten Hamsters, benutzte Tampons mit Zeichen der Verrottung, ein halbes Hähnchen, Hundekotze, zwei frisch entfernte Weisheitszähne vom Vortag, Milchpackungen mit vergorenem Inhalt.

Wie erträgt man so etwas? Justyna sagt: "Augen zu und durch." Und nie ohne Handschuhe. Für Notfälle hat sie immer mehrere Ersatzpaare in ihrem Auto.

Es ist nicht so, dass Justyna ungern putzt. "Es fühlt sich gut an, wenn alles wieder ordentlich ist", sagt sie. "Ich bekomme gutes Geld, ich mache Urlaub, ich fahre ein Auto. Was will ich mehr?" Auch sei es nicht besonders riskant, schwarz zu putzen. "Wenn jemand fragt, bin ich eine Freundin, die im Haushalt hilft." Sie ist verheiratet, mit einem Italiener, Kinder haben sie noch keine. 1500 bis 2000 Euro im Monat bekommt sie bar auf die Hand, undenkbar in Polen. Da hat sie zwar nie geputzt, aber täte sie es, wären umgerechnet maximal 1,50 Euro die Stunde drin. Heute arbeitet sie nicht unter zehn oder elf Euro, wobei der Kurs in Deutschland überall anders sei. Das richte sich danach, wie viel Geld in der Stadt sei - und wie viele Polinnen.

"Klar, Polen klauen"

Immerhin eine halbe Million Polinnen putzen hierzulande. In Berlin schuften sie für schmale fünf Euro, sagt Justyna, in München kriegt man locker 13Euro. Ihren Traumberuf Visagistin hat sie sich abgeschminkt, zu teuer die Ausbildung, zu übel die Jobaussichten. In Polen hat sie Abitur gemacht, in Deutschland fragt keiner danach. Sie nennt sich selbst Putzfrau, möchte aber lieber Haushaltshilfe genannt werden, oder: Perle. Klingt kitschig, aber schön, sagt sie. Meine Perle.

Symbolbild Schwarzarbeit in Deutschland

Ekliges unter deutschen Betten: Beim Putzen kneift Justyna Polanska die Augen zu.

(Foto: Ralf Hirschberger/dpa)

Perle sagen nur Leute, die sie in der Stadt grüßen, was längst nicht alle tun. "Eine Putzfrau liebt Dreck, ist also selber welcher, so denken die", sagt Justyna. Die Kaste der Unreinen ist nicht akzeptabel. Unsere Gesellschaft gibt sich aufgeklärt, kauft politisch korrekt ein, geht gegen Unsinn auf die Straße - aber Putze bleibt Putze. "Da hat sich nichts geändert", sagt Justyna.

Also habe sie sich geändert, lasse blöde Kommentare nicht mehr an sich heran. Bei den Nichtgrüßern müsse sie als Statussymbol herhalten. Natürlich nicht in Person, sondern zum Angeben. ... Also unsere Putzfrau ... Ihr könnt euch nicht vorstellen, was die wieder gemacht hat ... Gutes Personal ist heute schwer zu bekommen ... Der ganze dünkelhafte Partyplausch. Justyna nennt sie: die Promis. Die zeigen ihr, welches Kleid sie aus New York geordert haben und bestellen sie drei Mal die Woche ein. Wenn dann Zahltag ist, liegt da nur die Hälfte ihres Lohns. "Sorry, Justyna, geht grad nicht", schreiben sie auf Zetteln daneben.

Die besten Kunden? Die, die im Leben etwas erreicht hätten. Je mehr, desto freundlicher. Am schlimmsten seien Emporkömmlinge, die neue Schickeria. Da sagt keiner Hallo, wenn man in die Wohnung kommt und die Putzfrau da ist. Da wird kein Glas Wasser angeboten, wenn es brüllend heiß ist. Einmal putzte sie die Fenster und die ganze Familie beobachtete ihre Plackerei bei einem frischen Glas Limonade vom Sofa aus wie eine faszinierende Expedition ins Tierreich. Sie freut sich sehr über Geschenke zu Weihnachten, aber nicht über abgelaufene Lebensmittel oder gestohlene Wannenvorleger aus Hotels. Es hat sich viel angestaut. Dabei sei der Deal einfach: "Ich vertraue darauf, dass ich einmal im Monat von den Leuten Geld bekomme und sie vertrauen darauf, dass ich nichts mitnehme."

"Putzen für die Putze"

Justyna macht alles weg, das ist ihr Job und zuweilen ein Test. Platzierte Krümel kennt sie, mit Klebeband befestigte Haare an aufzuräumenden Schubladen (oder zu meidenden). Beliebt sind auch Geldköder. "Klar, Polen klauen", sagt Justyna und lacht. Da liegen Scheine mitten unter dem Bett. "Wie sollen die da zufällig hinkommen?" Sie legt sie dann immer auf das Bett. Eine ältere Dame rieb die Unterseite der Klobrille mit Kot ein, um zu sehen, ob Justyna auch ordentlich säubert. Die sagt nie etwas dazu, sie macht ihre Arbeit und geht, wenn es zu schlimm wird, für immer. "Was soll ich auch sagen?"

Hartnäckig hält sich der Mythos vom "Putzen für die Putze". Justyna kennt keinen, der aufräumt, bevor sie kommt. Im Gegenteil, sie wundere sich, dass sich ihre Kundschaft so gar nicht geniere. Dabei gehe es nicht um Unordnung oder das normale Chaos, was jeder hat, der arbeitet oder Kinder hat. Es geht um: Dreck. Klebrigen, fiesen, übel riechenden Dreck.

Also, wer ist schlimmer: Männer oder Frauen? Single-Männer sind am ordentlichsten, sagt Justyna, Single-Frauen chaotisch. Wohlsituierte Menschen muteten ihr weniger zu als solche, die sich eigentlich keine Putzfrau leisten können. Manche Männer hätten einen Ordnungsfimmel, da müsste jede Shampooflasche im selben Winkel stehen wie vor dem Putzen, da fotografiert sie vorher die Wohnung. Männer übergeben gerne Schlüssel, Frauen bleiben oft Zuhause, um nach Dingen zu suchen, die genau in dem Raum sind, in dem sie gerade reinigt. Vielleicht wollen Sie da noch einmal drüberwischen?

Deutschland, das Land der Putzfrauen

Ihre Kundenliste ist voll, die meisten Auftraggeber sind heute nett, sagt Justyna. Sollte mal kein Job über Bekannte hereinkommen, inseriert sie in der Zeitung: "Suche Putz- und Bügelstelle." Dazu ihre Handynummer. "Woher sind Sie?", fragen manche, wenn sie ihren Akzent hören. Aus Polen. "Nein, danke." Einige Rentner sagen: "Scheiß Polacken." Und die Alten in Polen wiegen den Kopf: "Wie kannst du bei denen putzen, die gegen uns Krieg geführt haben?" Andere suchten nur Polinnen, weil sie gute Erfahrungen mit ihnen gemacht haben. Justyna sagt, dass sie kein Land kennt, in dem es mehr Putzfrauen gibt als in Deutschland. In Polen habe kaum einer eine Haushaltshilfe.

Wenn sie inseriert, geht jeder zehnte Anruf so, sobald Männer ihren Akzent hören: "Haben Sie rote Unterwäsche an und einen großen Busen?" Ein Mann belästigt sie derart seit mehr als einem Jahr. Sie kann seine Nummer nicht sperren, er ruft anonym an, bietet 30 Euro für fünf Minuten blanke Brust. Ein Mann hat sich mal nackt vor sie gestellt bei einem Job, ein anderer erzählte ausschweifend von Bordellbesuchen, wollte jetzt aber eine "Ungelernte", wie er sagte. Sie habe beide ignoriert - und nie wieder bei ihnen geputzt.

Eigentlich wünscht sich Justyna nur ein wenig mehr Respekt. Sie fordert ihn für sich - und ihre Kolleginnen. Sucht man im Internet nach "Justyna" und "Putzen", öffnet sich ein Füllhorn reinlicher Schattenwirtschaft. Justyna aus Potsdam bietet ihre Putzdienste genauso an wie Justyna aus Neuss, Justyna aus Pinneberg, Justyna aus Burghausen und Justyna aus Berlin-Wedding. Auch sie suchen ihr Glück unter deutschen Betten.

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