Ein Treffen mit Designer Jacobs:Hallo, Gott

Es gilt als schier unmöglich, an Modemacher Marc Jacobs heranzukommen. Dann die Einladung. Dienstag, 10 Uhr. Aber bitte eine halbe Stunde früher kommen. Klar doch. Warum? Ach so. Darum.

Peter Bäldle

Wer Marc Jaccobs in Paris besuchen will, muss erst einmal die Dornröschenhecke seines Designhauses Louis Vuitton durchbrechen. Die Auswahlkriterien für einen Interview-Kandidaten sind nicht durchschaubar, auf alle Fälle sind sie nicht mainstream: Zu den wenigen, die in den vergangenen Jahren vorgelassen wurden, gehören zwei Schwulenmagazine, das amerikanische Interview-Magazin und natürlich der französische Filmemacher Loïc Prigent, der Jacobs mehrere Tage in Paris filmen durfte.

Ein Treffen mit Designer Jacobs: Gut gemacht, Herr Jacobs! Der Designer bei der  Fashion Week  New York im Februar 2008.

Gut gemacht, Herr Jacobs! Der Designer bei der Fashion Week New York im Februar 2008.

(Foto: Foto: Getty)

Nach diversen gescheiterten Versuchen heißt es eines Tages: "Dienstag im Juni, 15 Uhr." Vorher aber möchte die International Press Relations-Direktorin Isabelle Capece die Fragen sehen. Natürlich. Und man möchte bitte eine halbe Stunde früher kommen. Klar doch. Trotzdem würden sie zuvor nochmals anrufen. Warum? Ach so. Darum.

Das Louis-Vuitton-Hauptquartier liegt im 1. Arrondissment, ein Belle-Epoque-Gebäude mit einer bedrohlich schaukelnden Monsterlaterne über dem Haupteingang. Am Empfang tauscht man frag- und widerspruchslos seinen Personalausweis gegen eine Besucherkarte. Und lässt sich von sehr vielen Assistentinnen durch sehr lange Gänge schleusen. Die letzte bleibt stehen: Ob Monsieur nicht Platz nehmen und alle vorbereiteten Fragen vergessen möchte? Der Meister bevorzuge ein Gespräch, das sich organisch entwickelt. Aber klar doch.

Marc Jacobs empfängt mich in seinem Arbeitszimmer mit Handschlag und einem festen "Hello". Wir setzen uns an die freigeräumte Ecke eines Tisches, trinken Mineralwasser aus Plastikflaschen. Überraschung: Er raucht. Kette! Es wirkt menschlich. Und kommt nicht mehr oft vor in der Welt der Effizienz, Disziplin und ästhetischen Perfektion.

Freundlich, mit sonorer Stimme beantwortet er alle Fragen, trotzdem scheint ihn eine nervöse Anspannung zu umgeben. Vielleicht liegt es an seinem New Yorker Team, das, soeben eingeflogen, im Nebenzimmer an den Entwürfen für sein eigenes Label Marc Jacobs arbeitet, während im Vorzimmer eifrig am Image von Louis Vuitton gebastelt wird.

Wie sieht ein Mann aus, der den Menschen auf der Welt alle sechs Monate aufs Neue diktiert, wie sie gerade idealerweise auszusehen hätten? Komischerweise nicht modern. Markant, fast ein bisschen gefährlich. Ein kurzgeschorener, von Silberfäden durchzogener Bart rahmt sein Gesicht. Die Augen sind dunkel, die Haare schwarz, und insgesamt erinnert sein Anblick an die Porträts italienischer Nobelmänner aus der Zeit der Renaissance.

Erfrischenderweise spricht er bereitwillig über die eigene Eitelkeit. Er gibt sich, wie er sagt, viel Mühe nach dem Aufstehen. "Früher war ich nicht der Typ, der jeden Morgen eine Stunde im Bad braucht. Heute bin ich genau dieser Typ." Er strahlt. Seine Zähne sind blitzweiß, drei Brillanten im rechten Ohr funkeln mit den Silberstreifen seines Seidenhemdes um die Wette.

Marc Jacobs hat sich, ähnlich wie Karl Lagerfeld, vor gut zwei Jahren neu erfunden. Vorher war er eher dicklich, trug weite Hosen und Wollpullover. Mit schulterlangen Haaren und Derrick-Brille wirkte er wie ein selbstvergessener Student. "Ich legte damals keinen Wert darauf, wie ich aussah, auch weil ich dachte, dass ich es sowieso nicht ändern könnte."

Dann kamen die Magenprobleme. Von Drogen und Alkohol war die Rede, zweimal ließ er sich in eine Entzugsklinik einweisen. Als er sich in die Hände des kalifornischen Ernährungsspezialisten Dr. Lindsey Duncan begab, der ihm eine organische Powerdiät mit exotischen Beeren, Vitamin- und Eiweißbomben verpasste, begann seine Metamorphose. Ein täglich dreistündiges Muskelaufbauprogramm sorgte dafür, dass ihm das Modemagazin Harper's Bazaar bescheinigte, "the best Body in Business" zu haben.

Hallo, Gott

Auch für Jacobs war es ein weiter, dorniger Weg nach Paris. "Den Traum hatte ich schon immer. Aber erst Bernard Arnault hat ihn mir 1997 ermöglicht." Arnault ist der allmächtige Chef des Luxuskonzerns LVMH, hinter dessen Initialen sich Louis Vuitton und Moët Hennessy verbergen. "Er glaubte an mich. Er war überzeugt, dass ich Louis Vuitton erfinden könnte. Denn: Es gab damals kein Archiv mit Mode oder mit Handtaschen oder Schuhen, auch keines mit Sonnenbrillen oder Schmuck." Es gab den omnipräsenten Namen, Louis Vuitton. Und Marc Jacobs' Talent: "Wir, ich und meine engsten Mitarbeiter, mein Dreamteam, wir waren die Ersten; wir sind Louis Vuitton. Das kann außer mir wohl niemand in der Branche sagen."

Begonnen hatte alles mit einem für die Mode seltenen historischen Ereignis, das Jacobs schlagartig berühmt machte. Als er im Oktober 1992 in New York seine Frühjahr/Sommer-Kollektion 1993 für das amerikanische, ehemals etwas verschlafene Designerlabel Perry Ellis zeigte, dessen Chefdesigner er damals war, feierte ihn die Presse als "Designer of the Year". Er hatte sich von Grunge inspirieren lassen, von Kurt Cobain und dessen Band Nirvana.

Deren bunt zusammengewürfelter Bühnenlook aus den Müllsäcken der Altkleidersammlungen, mehr Not als Tugend, adelte Jacobs, indem er die Karos billiger Flanellhemden auf teure Seiden drucken ließ, die er, verwaschen und verblichen, als ärmellose Jacken über lange, flatternde Kreppkleider zog. Dazu kombinierte er Ringelpullis und Leggings, Strickmützen und Converse-Turnschuhe aus Satin.

"Ich war mir nie wieder einer Sache so sicher", sagt er heute, im Rückblick, "ich wusste, dass die Zeichen auf Wechsel standen. Ich spürte die Veränderung in der Musik, wusste, dass Schönheit künftig aus dem Unperfekten entsteht, und ich sah Kate Moss, die die Supermodels abzulösen begann."

Die achtziger Jahre verabschiedeten sich damals endgültig, die Neunziger hatten endlich Kontur. Die Kritiker applaudierten, die Einkäufer aber boykottierten die ärmlich aussehende Mode. Perry Ellis verkaufte nicht ein Teil der Grunge-Kollektion. Marc Jacobs wurde gefeuert. Es war der wohl meistbeachtete Rauswurf der Branche. "Man kann die Mode nicht verändern, indem man 25 marineblaue Kostüme den Laufsteg hinunterschickt!" wetterte damals Anna Wintour in der Vogue.

Jacobs aber blieb der Darling der New Yorker Modeszene. Als er im Frühjahr 1994 mit einer Winterkollektion unter eigenem Namen zurückkehrte, bewies er, dass niemand Uptown-Glamour und Downtown-Rock'n'Roll besser zu kombinieren verstand als er. Er spielte mit widersprüchlichen Materialien, als "charmante Resteverwertung" beschrieb Amerikas Einkäuferpostille Women's Wear Daily seine Kollektion, von der aus eine gerade Linie führt zu Carrie Bradshaws eklektischem Stil im diesjährigen Kinosommer-Hit "Sex and the City".

"Mein Label, meine eigene Kollektion: Das bin ich", sagt Jacobs, "das ist mein Lebensstil in New York, das sind meine Interessen, meine Freunde. Dafür lasse ich mich von den Frauen meiner Umgebung inspirieren, wie der Regisseurin Sofia Coppola oder der Malerin Elizabeth Peyton. Sie inspirieren mich nicht nur, weil ich sie - jede auf ihre Art - als schön empfinde, sondern durch das, was sie tun."

Zu Beginn einer neuen Saison unterscheidet Jacobs nicht zwischen seiner eigenen Kollektion und jener für Louis Vuitton. Alles ist ein Puzzle aus Gedanken und Eindrücken, Empfindungen und Gefühlen, die sich unterschiedlich entwickeln. "Louis Vuitton hat natürlich mit Paris zu tun, wobei Paris für eine Idee steht, eine Idee von Mode, von Couture, einen gewissen Lebensstil, der ein ganz anderer ist als meiner in New York."

Durch das große Fenster in seinem Büro schaut er auf Baumwipfel und die Jugendstilfassade des einst berühmten Warenhauses La Samaritaine, das vielleicht Emile Zola als Vorlage diente für seinen Kaufrausch-Roman "Das Paradies der Damen". Jacobs, der früher wie fast alle New Yorker Paris mythologisierte, empfindet die Stadt heute tatsächlich oft als gar nicht real, eher wie eine Art Kulisse, vor der grundlegende Ideen andere Formen annehmen: "Neulich, das Begräbnis von Yves Saint Laurent war wie ein Akt einer großen Oper: sehr bewegend, aber auf eine fast unwirkliche Art wirklich."

Wie fast alle bedeutenden Modeschöpfer nennt Marc Jacobs Yves Saint Laurent als eines seiner größten Vorbilder. "Er war die Leitfigur meiner Ausbildungsjahre an der Parsons School of Design. Er stand für Luxus, Eleganz, Perfektion, für Farbe, Proportionen und Image. Und vor allem für Schönheit. Yves Saint Laurent verkörperte alles, was ich seit jeher an der Mode bewundert habe." Auch die Frauen um Saint Laurent habe er toll gefunden, so wie ihn auch dessen Lebensgeschichte stets fasziniert habe. "Saint Laurent ist ein Teil von Paris. An ihn denken New Yorker, wenn sie dorthin fahren. Wenn sie nicht gerade an Schiaparelli, Chanel und Cocteau denken, an alle Kreativen, die sich hier immer wieder aufs Neue gegenseitig inspirierten. Mode und Kunst tanzen in dieser Stadt zusammen. Das war einer der Gründe, weshalb ich 2000 den Graffitikünstler Stephen Sprouse bat, die Taschen der aktuellen Louis- Vuitton-Kollektion zu überpinseln. . ."

Wieder so ein Experiment, bei dem er Straßenkultur mit Couture kreuzte. Nur dass es dieses Mal für alle Beteiligten glückte. Hipster, Kunstbegeisterte genauso wie Muttchen, die Stephen Sprouse - hätten sie seinen Namen je gehört - wohl eher als ärgerlichen Schmierfink abgetan hätten, stürzten sich auf die von ihm bemalten Taschen, und das, obwohl man unter der Graffitischrift das eigentliche Logo fast nicht mehr erkennen konnte. Ein anderer Auslöser für diesen Entwurf war übrigens ein schwarzer Louis-Vuitton-Koffer gewesen, den Jacobs im Apartment der Schauspielerin Charlotte Gainsbourg gesehen hatte. Deren Vater, der anarchistische Chansonnier Serge Gainsbourg, hatte ihn übermalt, weil ihm das Monogramm-Muster auf die Nerven gegangen war.

Auch Jacobs' spätere Künstler-Kooperationen - 2003 mit dem Japaner Takashi Murakami und 2007 mit Richard Prince - waren immens erfolgreich und für Vuitton ein Riesengeschäft. Als Murakami die LV-Initialen in zuckersüßen Bonbontönen zwischen lächelnden Kirschen und Mangablumen auf die Taschen drucken ließ, brachte allein diese Kooperation dem Konzern zusätzliche 235 Millionen Euro ein. Der Gesamtumsatz des Hauses war von 940 Millionen Euro aus der Vor-Jacobs-Zeit auf 2,7 Milliarden Euro im Jahr 2005 gestiegen.

Für den kommenden Winter reißt Jacobs das Ruder wieder einmal in eine andere Richtung. "Ich wollte einen völlig anderen Ansatzpunkt, weg von den lauten Farben, dem Collagenhaften, Unfertigen der von Richard Prince beeinflussten letzten Sommerkollektion. Um zu neuen Proportionen und Farben zu kommen, fügte ich die Perfektion der achtziger Jahre hinzu und zitierte Designer wie Claude Montana oder Thierry Mugler." Das Ergebnis sind skulpturhafte Mäntel und Jacken in pastellfarbenen, weichen Stoffen mit breitbetonter Taille, großzügigen Ärmelschnitten und hohen Kragen, die Jacobs zu wadenlangen Röcken ebenso kombiniert wie zu weiten, konisch verlaufenden Hosen. Die Frauen darin wirken wie einsame Wesen in einem weißen, futuristischen Raum. Irreal wie Göttinnen. Noch.

Spätestens im Herbst aber werden sie irdisch werden. Sich organisch in die Städte einfügen, in Flughafenhallen sitzen, in U-Bahnen, in Cafés. Sie werden Farben vergessen und Töne bevorzugen. Und hier in Paris wird ihr Lenker und Erfinder sitzen, einem auserwählten Journalisten fest die Hand zum Abschied schütteln und sich dann über die kommenden Knallfarben Gedanken machen.

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