Süddeutsche Zeitung

Ein Lob der Verschwendung:Das maßlose Glück

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Moralisch ist die Verschwendung ein Fall für den Bundesrechnungshof oder den Bund der Steuerzahler. Doch ohne sie gäbe es keine Religion und keine Kunst, keine Liebe und nicht einmal Weihnachten. Grund genug, gegen Knausertum und Effizienzdenken vorzugehen.

Von Matthias Drobinski

Das öffentliche Ansehen des Bischofs von Limburg war in dem Moment dahin, als die Bild-Zeitung Franz-Peter Tebartz-van Elst den Protz- Bischof nannte. Der Kirchenmann hat eine neue Residenz bauen lassen; goldene Wasserhähne gibt es dort zwar nicht, aber jede Menge solide Maßarbeit, die ihren Preis hat. Vor allem musste der Bischof zugeben, dass der Komplex statt wie angekündigt sechs Millionen mindestens 31 Millionen Euro kosten würde, und es wurde bekannt, dass auch mancher Sonderwunsch des Bauherrn zum Preis beigetragen hat; die Bilder vom Bad mit der doppelten Dusche machten die Runde. Tebartz, der Verschwender. Da wirft einer das Geld zum Fenster hinaus, um soziale Differenz herzustellen und zu zeigen, dass für ihn die Maßstäbe der anderen nicht gelten. Pfui.

Der Spiegel brachte zum Text über "Gottes teuren Diener" ein Foto, das den "verschwenderischen Bischof" vor einem BMW-Oldtimer zeigt, mit einem Blick, der zu sagen scheint: Den hätte ich auch gern. Das Bild zeigte zu gut, um was es ging: In Rom predigt der Papst Armut, sein Limburger Diener lässt es krachen. In derselben Spiegel-Ausgabe aber findet sich ein ähnlicher Oldtimer in einer Anzeige der "Aktion Mensch": Kauf Lose, lieber Leser - dann kannst du dir vielleicht diesen Wagen leisten; geworben wird im selben Heft auch für einen Sportwagen mit 560 PS, die auf deutschen Autobahnen die reine Verschwendung sind. Nur: Im Privaten ist diese Verschwendung völlig in Ordnung. Erst im öffentlichen Raum und erst recht bei einem Kirchenmenschen wirkt sie obszön.

Die Pracht der Kirchen ließ die Herrlichkeit des Paradieses erahnen

Die Verhältnisse haben sich gedreht. Einst war die Verschwendung das Privileg und die Pflicht des Adels und der Kirche. Der gebratene Pfau auf der Tafel des Herzogs, der ungegessen wieder abgetragen wurde, spiegelte genauso sein Gottesgnadentum wie sein seidenes Gewand. Die Pracht der Kirchen ließ die Herrlichkeit des Paradieses ahnen. War das Geld weg, griffen die Bauherren statt zum Marmor zum Gips, den sie wie Marmor bemalen ließen - die Fassade, die Illusion musste stimmen. Die Sparsamkeit und Nüchternheit, die Verwaltung der knappen Ressourcen blieben Untertanen- und Bürgersache.

Das bürgerliche Effizienzdenken hat sich durchgesetzt, mit vielen guten Gründen. Die Aufklärung hat das Staatsdenken rationalisiert, der Protestantismus Europas Christentum, der Kapitalismus die Wirtschaft; alleine der Wirtschaftstheoretiker John Maynard Keynes kann ihr Positives abgewinnen: Wer Geld ausgibt, hält die Wirtschaft in Schwung, und wenn der Staat Schulden macht, um besonders viel Geld auszugeben, bekommt er es über die Steuer wieder herein. Ob das so stimmt, darüber streiten die Ökonomieprofessoren. Moralisch jedenfalls ist die Verschwendung in Verruf geraten, ein Fall für den Bundesrechnungshof, den Bund der Steuerzahler oder für Journalisten, die nun genau wissen wollen, wie dick der Dienstwagen eines Bischofs oder die Pension eines Bundestagsabgeordneten ist.

Ohne Verschwendung gibt es keine Kunst, keine Liebe, kein Weihnachten

Kontrolle und Kritik sind gut, manchmal aber bekommt das alles etwas Kleinkariertes, Spießiges und Ungroßzügiges. Denn auch im Angesicht der endlichen Ressourcen braucht die Menschheit Verschwendung. Ohne Verschwendung gibt es keine Religion und keine Kunst, keine Liebe und nicht einmal Weihnachten. Grund genug, gegen das Knausertum ein Lob der Verschwendung zu singen.

Denn im Grunde bricht schon der erste Höhlenmaler mit dem Effizienzdenken, der, statt selbst Auerochsen zu jagen, mühsam Farben mischt und Auerochsen auf die Felswand malt. Römer und Griechen schütten kostbaren Wein ins Feuer und erfanden Dionysos, den Gott des Rausches; das wandernde Volk Israel, immer von der Not bedroht, bringt dem Herrn Brandopfer dar. Die drei Könige schenken dem Jesuskind Gold, Weihrauch und Myrrhe, wo auch ein ordentliches Windelpaket genügt hätte; als Erwachsener erweist sich dieser Jesus, dem Besitz herzlich egal ist, als guter Esser und Trinker, der sich die Füße salben lässt und das Gleichnis vom verlorenen Sohn erzählt, dessen Vater am Ende vor Freude über die Rückkehr das Mastkalb schlachtet, als hätte der Bursche nicht schon genug verschwendet.

Und immer kann man einwenden: Die Hälfte hätte es auch getan. Die Sixtinische Kapelle wäre auch bunt geworden, hätte Michelangelo nur halb so viele Figuren an die Decke gemalt, James Joyce hätte die Geschichte seines Ulysses statt auf 1000 auch auf 100 Seiten schreiben können. Es würden wahrscheinlich auch nicht signifikant weniger Menschen heiraten oder wenigstens miteinander im Bett landen, wenn es zur gesellschaftlichen Übereinkunft gehörte, dass Verliebte sich nichts schenken, den Überschwang ihrer Gefühle disziplinieren und die Zeitverschwendung unterbleibt, kitschige Gedichte abzuschreiben oder, schlimmer noch, selbst zu dichten. Und ja: Auch Weihnachten ließe sich problemlos ohne Tannenbaum und mit Hühnersuppe statt Gänsebraten feiern.

Die Kunst, dem Einerlei ein Schnippchen zu schlagen

Es gibt aber offenbar einen eigenen, geheimnisvollen Mehrwert der Verschwendung. Sie unterscheidet das Alltägliche vom Besonderen. Dazu muss sie noch nicht einmal besonders teuer, extravagant und luxuriös sein, aber sie muss sichtbar sein, zumindest symbolisch, wie in den Kriegs- und Nachkriegszeiten, als die Leute sich auf unmöglichen Wegen Fett besorgten, um Weihnachtsplätzchen zu backen. Verschwendung ist die Kunst, dem Einerlei ein Schnippchen zu schlagen, für einen Moment alle Sparsamkeit in den Wind zu schlagen und auf alle Effizienz zu pfeifen. Sie schafft die Gemeinschaft der Verschwender.

Das rechte Verschwenden ist eine Kunst und eine Tugend wie das Sparen zur rechten Zeit. Wer will, kann den christlichen Gedanken der Menschwerdung Gottes als die Vorstellung größtmöglicher Verschwendung ansehen: Gott wirft mit vollen Händen Macht und Herrlichkeit zum Fenster hinaus. Er verschwendet sich selbst.

Wahrscheinlich ist die Verschwendung in Verruf geraten, weil sie inflationiert ist und dadurch das Besondere verloren hat. Sie ist alltäglich geworden, und die Aufforderung, sich jetzt aber endlich etwas Gutes zu tun und zu gönnen und zu leisten, begleitet einen durch den Tag: Die Ausnahme ist immer und überall. Und irgendwann bewirkt sie nicht mehr Begeisterung, Ekstase, Lust und Gemeinschaft. Sie wird narzisstisch und egozentrisch und verschafft nicht mehr als eine Pause im Fluss des Unerfüllten und im Grunde Traurigen.

Im goldenen Ohrring spiegelt sich der Glanz der Welt

Und vielleicht ist die allgemeine Empörung des Jahres 2013 über den Protz- Bischof Tebartz-van Elst auch ein Spiegel dieses eigenen Unbehagens: Da leistet sich ein Bischof mit fremdem Geld nicht nur ein schönes, sondern auch extravagantes Haus; er tut das - zumindest, was die Badezimmereinrichtung angeht - nicht zur höheren Ehre Gottes, nicht um der Vorahnung des Paradieses willen und auch nicht, um eine Gemeinschaft zu schaffen oder gar ein frommes Hochgefühl unter den Gläubigen hervorzurufen. Er tut das, weil er sich es leisten kann und er sich und ein paar Vertrauten etwas Gutes tun will, weil er etwas Besonderes schaffen möchte. Viele, die sich da aufregen, würden es nicht schlimm finden, wenn ihnen ihre Arbeitgeber einen Dienstwagen jenseits des Durchschnitts und eine bemerkenswerte Dienstwohnung zur Verfügung stellen würden - oder wenn sie so viel Geld hätten, sich das leisten zu können. Aber von einem Bischof hätten sie etwas anderes erwartet: dass er lebt, was ihnen selbst verloren gegangen ist. Das ist, bei aller Kritik am verschwenderischen Bischof, das Unehrliche an dieser Debatte.

Stattdessen die Kunst der Verschwendung zu üben, das wäre ein schönes Vorhaben, nicht nur zu Weihnachten; die Kunst, den Augenblick zu erkennen, wann es angezeigt ist, mit vollen Händen auszugeben, was man gespart hat, weil das den Augenblick einzigartig macht, den man sich da etwas kosten lässt. Dann spiegelt sich im goldenen Ohrring der Glanz der Welt, und im Feuerwerk zu Silvester lässt sich die Pracht des Paradieses ahnen. Den Wein geöffnet, das Essen aufgetragen - Musik! Die Zeit des Fastens ist vorbei. Abnehmen, sparen und durch Verzicht die Welt retten helfen, das alles kann man dann wieder von Januar an.

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Quelle:
SZ vom 24.12.2013/angu
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