Ehrenamtliche Flüchtlingshelfer:Auch Helfer brauchen Hilfe

Lesezeit: 7 min

dpa-Story: Ein Jahr Fl¸chtlingskrise

Was tun, wenn man sich als Helfer allein fühlt - Hilfe suchen.

(Foto: dpa)

Eine chaotische Beerdigung, ein Syrer im Kirchenasyl und Aufgaben, die nicht weniger werden: Die Arbeit in der Flüchtlingshilfe kann auch eine Grenzerfahrung sein. Drei Geschichten.

Von Nadine Funck

Genau ein Jahr ist es her, dass in Deutschland täglich mehrere Tausend Menschen ankamen. Viele aus Syrien oder Afghanistan, oft schon seit Monaten unterwegs und dann herausgespuckt aus vollen Zugwaggons, müde, aber glücklich, endlich an dem Ort angekommen zu sein, der ein besseres Leben versprach.

Genau ein Jahr ist es auch her, dass an deutschen Bahnhöfen, vor allem in München, täglich mehrere Hundert freiwilliger Helfer bereitstanden, um diese Flüchtlinge willkommen zu heißen. Sie versorgten sie mit Wasser, Bananen, Decken, Babywindeln, die Kinder mit Süßigkeiten und Stoffteddys, während Passanten applaudierten. Grenzenlose Hilfsbereitschaft, bewegende Bilder, sogar CNN und das japanische Fernsehen berichteten. München leuchtete.

Helfer und Flüchtlinge beschreiben die Begegnungen als bereichernd. Zwischen ihnen entwickelten sich Freundschaften, neue Familien entstanden - doch nicht selten wurde aus der grenzenlosen Hilfsbereitschaft für die Helfer eine Grenzerfahrung.

Birgid Schnorbusch: Inmitten einer Familientragödie

In Badelatschen und weißem Gewand steht der Priester vor der katholischen Kirche St. Gertrud im Münchner Stadtteil Harthof, als Birgid Schnorbusch ihn abholt. Er spricht kein Wort Deutsch und auch kein Englisch, aber er soll an diesem bitterkalten Apriltag die Beerdigung der kleinen Eden (Name geändert) abhalten, die nur ein Jahr alt wurde. Erfahrung mit einer eritreisch-orthodoxen Beerdigung hat weder Schnorbusch noch der Priester: Er ist nur die Aushilfe, Schnorbusch ehrenamtliche Flüchtlingshelferin. Sie engagiert sich im Helferkreis St. Peter und Paul in Trudering.

Anfang des Jahres hatte sie sich Edens Eltern angenommen. Hochschwanger war die junge Frau mit ihrem Ehemann von Eritrea über das Mittelmeer nach Deutschland geflüchtet und schließlich ins sachsen-anhaltinische Bitterfeld gelangt. Nur wenige Tage später kam Eden zur Welt - schwer krank, ohne ärztliche Hilfe nicht lebensfähig. Die Suche nach einem Spezialisten brachte die jungen Eltern nach München. Die Mutter wurde erneut schwanger und der Helferkreis bot der Familie Asyl.

Schnorbusch fand sich plötzlich inmitten einer Familientragödie wieder. "Ich bin da irgendwie hineingerutscht, weil ich die Familie nicht allein lassen konnte. Ihr Schicksal hat mich mitgenommen", sagt die 52-Jährige rückblickend. "Diese Zeit war eindeutig eine psychische Grenzerfahrung für mich." Sie begleitete die Frau zu Arztterminen, fuhr die Familie mitten in der Nacht ins Hospiz, als man glaubte, Eden würde sterben. Sie begleitete die junge Mutter ins Krankenhaus, als sie ihr zweites Kind bekommen sollte. Sie war für die Familie da, als Eden keine zwölf Stunden nach der Geburt ihres Geschwisterchens starb.

Die Fahrt durch den morgendlichen Berufsverkehr dauert mehr als eine Stunde. Schnorbusch und der Geistliche sprechen kein Wort. Erst kurz vor Beginn der Feier kommen sie am Friedhof in Trudering an. Viele aus dem Stadtteil sind gekommen, um sich von Eden zu verabschieden. Die Sonne scheint, immer wieder fällt Schnee.

Die Beerdigung beginnt chaotisch. Jeder der Anwesenden, auch Schnorbusch, scheint mit der Situation überfordert. Keiner weiß so recht, wie eine eritreisch-orthodoxe Beerdigung in Bayern abzulaufen hat. Plötzlich ist es Schnorbusch, die während der Trauerfeier entscheiden muss, ob der Sarg geöffnet werden soll oder nicht. Der Priester will es so, der eritreische Dolmetscher gibt es dem türkischstämmigen Friedhofsverwalter weiter und dieser wiederum bittet Schnorbusch, zu handeln. Schließlich wird der Sarg geöffnet.

Schnorbusch versucht an diesem traurigen Tag Orientierung zu geben: Als nach der Feier alle zum Grab von Eden laufen, nimmt sie eine Blume in die Hand und wirft sie auf den Sarg. Nach und nach tun es ihr erst Edens Eltern, dann auch einige andere Gäste nach. Schnorbusch nimmt ein wenig Erde und lässt sie ebenfalls auf den Sarg fallen. Die anderen wiederholen die Geste. Als die Feier vorbei ist, fährt sie den Geistlichen wieder zurück. Wieder sprechen sie kein Wort. Bis heute weiß niemand, wie dieser Priester eigentlich hieß.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema