Ehrenamt und Zivilcourage (9):"In den USA lernt jeder Schüler, sich zu engagieren"

Lesezeit: 3 Min.

In den Vereinigten Staaten hat bürgerschaftliches Engagement eine lange Tradition. In Deutschland haben die Menschen erst angefangen, sich weniger auf den Staat zu verlassen.

Rupert Graf Strachwitz

Wenn von gesellschaftlichen Innovationen gesprochen wird, finden wir Deutschen uns im internationalen Vergleich oft am Ende der Skala wieder. Insbesondere Staat und Politik bewegen sich eher in traditionellen Bahnen.

Rupert Graf Strachwitz leitet seit 1997 das Maecenata Institut für Philanthropie und Zivilgesellschaft in Berlin. (Foto: Foto:)

Betrachten wir allerdings das ehrenamtliche Engagement, können wir durchaus punkten. Alle Untersuchungen zeigen, dass sich überdurchschnittlich viele Bürgerinnen und Bürger bürgerschaftlich engagieren. Der Ausdruck bürgerschaftliches oder Bürger-Engagement verdrängt übrigens den Begriff Ehrenamt, weil sich viele Engagierte mit den Begriffen "Ehre" und "Amt" nicht mehr identifizieren können.

Insgesamt sind heute 23 Millionen Menschen in Deutschland aus eigenem Antrieb bürgerschaftlich engagiert. Sie spenden der Allgemeinheit ihre Zeit, Ideen, Empathie, Kreativität, Reputation und Vermögenswerte - im Kirchenchor, der Menschenrechtsgruppe, dem Sportverein, der Umweltinitiative oder der Nachbarschaftshilfe. Etwa 80 Prozent des Engagements findet in der Zivilgesellschaft statt, durch Dienstleistungen ebenso wie durch das Eintreten für Positionen und Themen.

Dieses Engagement hat zuletzt zugenommen. Es verlagert sich aber von den großen alten Verbänden zu den kleinen, jungen, selbstorganisierten Gruppen, in denen relativ hierarchiefrei mitgestaltet werden kann. Auch engagieren sich Menschen heute eher für ein Projekt als für eine Organisation und wechseln diese daher öfter.

Dies wird beklagt, und es ist gewiss eine Herausforderung für Führungskräfte in den Organisationen. Das darf aber keinesfalls zu der Schlussfolgerung verführen, die Menschen würden sich für das allgemeine Wohl weniger interessieren als früher. Das Gegenteil ist richtig: Deutschland wird immer mehr zu einem Land, dessen Bürgerinnen und Bürger sich selbstermächtigt und selbstorganisiert für ihr Umfeld engagieren; nur eben nicht mehr in den traditionellen Bahnen.

Dies ist in den USA schon lange so. Die ersten weißen Siedler kamen, weil sie das Übermaß an Reglementierung in Glaubens- und Lebensfragen in Europa nicht mehr ertrugen, Sie wollten ihre Angelegenheiten selbst in die Hand nehmen und frei darin sein, ihr Leben nach eigenen Vorstellungen zu gestalten. Auch nach fast 400 Jahren ist dieser Geist lebendig. Seit den 60er Jahren gehören "Volunteer Services" (Freiwilligendienste) ebenso wie "Advocacy" (Interessenvertretung) wieder verstärkt zum American Way of Life. Patriotische Gesten dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Amerikaner lange nicht so viele Lebensbereiche ihrem Staat überantwortet haben. Wichtige Teile des Sozial- und Bildungswesens ebenso wie die Pflege der Kultur werden selbst organisiert.

Es ist nicht alles schön

Wir machen oft den Fehler, dies entweder als grundlegend defizitär abzukanzeln oder aber uneingeschränkt zu bewundern. Beides ist falsch. Man muss genauer hinsehen, um zu verstehen, welchen Rang der Geist des Engagements, der Community Spirit, für das tägliche Leben der US-Bürger hat. Das muss auch die Politik akzeptieren. Sie muss manches der Selbstorganisation überlassen, was sie hierzulande bedenkenlos regeln kann. Jeder Schüler lernt in USA, sich zu engagieren. Jeder Lebenslauf, der zur Arbeitssuche verwendet wird, muss, um überhaupt akzeptabel zu sein, viel freiwilliges Engagement enthalten.

Dies bedeutet keineswegs, dass alle alles schön finden. Kommt das soziale und kulturelle Engagement wirklich den sozial Schwächsten zugute oder nur den Eliten, die dieses Engagement organisieren und finanzieren? Bekommen große Organisationen, zumal Stiftungen, zu viel Einfluss auf die öffentlichen Angelegenheiten? Diese Fragen sind nicht unberechtigt angesichts der Tatsache, dass etwa die Bill and Melinda Gates Foundation dank der Zustiftung von Warren Buffett jedes Jahr mehr als drei Milliarden Dollar ausgeben wird. Wissen wir genug über die Mittelherkunft und -verwendung der Organisationen, die von sich behaupten, sie arbeiteten selbstlos für das allgemeine Wohl? Das sind nur einige der Themen, über die in den US-Medien und der Wissenschaft seit Jahrzehnten auf hohem Niveau diskutiert wird.

Gerade dieser Diskurs, der von einer geradezu uferlosen Zahl von Publikationen untermauert wird, hat zur Folge, dass das Engagement in den USA nicht wie bei uns als nette Marginalie, sondern tatsächlich als entscheidende dritte Arena der Bürgergesellschaft neben Staat und Markt gilt. Um das Verhältnis zwischen demokratisch legitimierter Herrschaft und selbstorganisiertem Engagement wird öffentlich gerungen. Davon sind wir noch weit entfernt. Georg Wilhelm Friedrich Hegels alles überwölbender Staat steckt unseren politischen Entscheidungsträgern noch immer in den Knochen, obwohl sein Versagen längst offenkundig geworden ist.

Aber es gibt Hoffnung. Die wichtigste ist: Weltweit, auch in Deutschland, wächst eine Generation von Menschen heran, die anders denken und mit alten Hierarchien nur noch wenig anzufangen wissen. Sie bedienen sich hierarchiefreier Kommunikationsformen. Kein Verleger, Intendant oder Pressesprecher hat Einfluss darauf, was sich Menschen über den ganzen Globus und alle alten Grenzen hinweg zurufen. Aus dem Zurufen entsteht viel Neues - auch viel neues Engagement. Für eine bessere Welt wird gewaltfrei mit Waffen gekämpft, denen Regeln und Vorschriften gar nichts entgegenzusetzen haben. Die Amerikaner scheinen auch hier eine große Tradition einzubringen: Barack Obamas Wahlkampf war ein Exempel für politisches Engagement neuer Art in neuen Formen.

Diese Formen sind gewiss nicht alle gut und eine kritische Begleitung tut not. Aber sie sollte nicht den Blick dafür verstellen, dass eine starke Zivilgesellschaft und ein lebendiges Engagement in ihr den Königsweg bilden, auf dem unsere Krisen überwunden werden können. Deshalb darf Engagement nicht verniedlicht, nicht für eine alte Politik instrumentalisiert werden. Es kommt auf die Kraft an, die vom Engagement ausgeht, und auf ihre politische Dimension. Sie ist der Gradmesser einer Gesellschaft, in der freie Menschen leben wollen.

© SZ vom 13.05.2009/mmk - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: