Ehrenamt und Zivilcourage (2):"Jugendliche sind sehr aktiv"

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Warum arbeiten und engagieren sich Menschen ohne Bezahlung? Soziologe Joachim Winkler über die Motive von Ehrenamtlichen

Sibylle Haas

Joachim Winkler, 57, sieht gute Chancen für das Ehrenamt. In der öffentlichen Diskussion sei dessen Stellenwert größer geworden. Jugendliche engagierten sich nach wie vor in ihrer Freizeit, betont der Soziologe. Winkler hat über das Ehrenamt promoviert, er ist Professor für Allgemeine Soziologie an der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften an der Hochschule Wismar.

Für Soziologe Joachim Winkler ist es kein Zufall, dass beruflich hochleistungsorientierte Menschen sich auch nebenbei ehrenamtlich engagieren (Foto: Foto: oh)

SZ: Was bringt Menschen dazu, ein Ehrenamt zu übernehmen?

Joachim Winkler: Die spontane Antwort vieler Ehrenamtlicher wird sein: weil es Spaß macht. Die zweite, weil sie gebeten oder überredet worden sind. Es gibt eine Vielzahl von Motiven: Man will gestalten, man will helfen, man will kommunizieren oder man will seinen gesellschaftlichen Pflichten nachkommen.

SZ: Warum arbeiten Menschen überhaupt freiwillig und ohne Geld dafür zu bekommen?

Winkler: Die freiwillige Tätigkeit erzeugt Zufriedenheit, etwas für sich und andere getan zu haben. Sie bietet häufig auch öffentliche Anerkennung. Schaut man soziologisch hinter die Kulissen, verfügen die Ehrenamtlichen über ein Ethos gesellschaftlicher Partizipation. Es entspricht ihrem Naturell, ehrenamtlich tätig zu sein.

SZ: Ist die Übernahme eines Ehrenamtes ein Ausdruck für einen bestimmten Lebensstil?

Winkler: Ja natürlich, sie ist Teil der eigenen Lebensführung. Ist man beruflich aktiv, ist man es auch im gesellschaftlich-öffentlichen sowie im freundschaftlichen und familiären Bereich. Es ist kein Zufall, dass Personen, die hoch leistungsorientiert im Beruf sind, dies auch in den anderen Lebensbereichen sind.

SZ: Was charakterisiert Menschen, die sich bürgerschaftlich einsetzen?

Winkler: Diese Menschen haben eine starke Leistungsorientierung, die auf ihrem Berufsethos basiert und auch im gesellschaftlichen Bereich wirkt. Hier finden wir eine enge Verknüpfung von Berufstätigkeit und Ehrenamt. Ehrenamtliche sind überwiegend berufstätig. Verliert man die Berufstätigkeit, lässt auch das ehrenamtliche Engagement nach.

SZ: Es gibt also einen Zusammenhang zwischen bürgerschaftlichem Einsatz und sozialem Status?

Winkler: Eindeutig ja. Je erfolgreicher Menschen im Beruf sind, umso eher sind sie bereit, sich bürgerschaftlich einzusetzen und umso höher sind auch die ehrenamtlichen Positionen, die sie besetzen. Ehrenamtliche werden rekrutiert, weil sie über Ehre, heute würde man sagen Prestige, und Ressourcen verfügen. Ehre ist kein Gratifikationsersatz, und die Ehrenamtlichen sind keine Personen, die Misserfolge in Beruf oder Familie im bürgerschaftlichen Engagement kompensieren müssen.

SZ: Wer ist aktiver im Ehrenamt, Frauen oder Männer?

Winkler: Der Anteil der Frauen ist kleiner als der der Männer. Allerdings gilt dies nur in der Summe. Frauen und Männer unterscheiden sich auch nach den Tätigkeiten. Hier spiegelt sich, nimmt man mal den Sport heraus, die uns allen bekannte Aufgabenteilung zwischen Frauen und Männern: Frauen engagieren sich in sozialen und Männer in außerfamiliären und politischen Bereichen. Eine Erklärung für den geringeren Anteil ließe sich leicht geben: Der Grad der Berufstätigkeit ist bei Frauen zumindest in den alten Bundesländern geringer und spiegelt sich so im Engagement.

SZ: In den achtziger Jahren war es für junge Menschen normal, sich ehrenamtlich in Vereinen, Verbänden oder Kirchen einzubringen. Heute gilt das oft als uncool. Ist die Jugend heute egoistischer?

Winkler: Nein, denn der Anteil Jugendlicher ist nicht kleiner geworden. Er ist fast so hoch wie in der Bevölkerung insgesamt und sogar höher als bei den Rentnern. Die Jugendlichen haben zwar weniger Wahlämter und Leitungsfunktionen, aber sie folgen traditionellen Aktivitätsmustern.

SZ: Hat sich in den vergangenen 20 Jahren der gesellschaftliche Stellenwert ehrenamtlicher Tätigkeiten geändert?

Winkler: Quantitativ hat sich wenig geändert, auch wenn ständig darüber geklagt wird, die Bereitschaft lasse nach. In der öffentlichen Diskussion hingegen hat sich die Beschäftigung mit der Bedeutung des Ehrenamtes verstärkt und firmiert unter dem Begriff des bürgerschaftlichen Engagements.

SZ: Ist Freiwilligenarbeit angesichts leerer Staatskassen im sozialen Bereich wichtiger geworden?

Winkler: Freiwilligenarbeit war immer wichtig, da die Aufgaben ohne diese gar nicht zu bewerkstelligen sind. Dies wird auch trotz steigender Professionalisierung so bleiben. Dass in Zeiten knapper öffentlicher Haushaltsmittel nach mehr Freiwilligenarbeit gerufen wird, ist nicht neu. Bereits mit Entstehung des Ehrenamtes zu Beginn des 19. Jahrhunderts in Preußen wurden staatliche Aufgaben in die ehrenamtliche Selbstverwaltung der Städte gegeben. Aber man muss bedenken, dass der Prozess professioneller Erledigung heute nicht zurückgedreht werden kann. Die Pflegeversicherung zum Beispiel hatte ursprünglich das politische Ziel, die Pflege in der Familie zu halten und hat ein bedeutendes Berufs- und Erwerbsfeld geschaffen.

© SZ vom 08.05.2009/mmk - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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