Süddeutsche Zeitung

Dem Geheimnis auf der Spur:Der Todeswurm

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Unter dem Sand der Wüste Gobi soll ein Ungeheuer leben, das mit Gift und Elektroschocks auf die Jagd geht.

Von Sofia Glasl

Sandwürmer sind der Anfang allen Übels, zumindest in der Science-Fiction-Saga "Dune". Mit dem Romanzyklus erreichte der US-Schriftsteller Frank Herbert von 1965 an Kultstatus, die Bücher wurden schon 1984 verfilmt und liefen gerade erst in einer neuen Fassung erfolgreich im Kino. In "Dune" leben monströse Würmer in unterirdischen Tunnelsystemen und absorbieren für ihr Fortbestehen jegliche Flüssigkeit aus dem Planeten Arrakis. Die wortwörtliche Verwüstung des Planeten ist somit unaufhaltsam. Obendrein fressen die Viecher alles, was ihnen unterkommt - Menschen oder Maschinen, Hauptsache aufgetankt. Angelockt von den rhythmischen Schwingungen, die Menschen mit ihren Schritten verursachen, schießen die Tiere aus den Dünen hervor und saugen alles ein.

Nun sind Science-Fiction-Monster oft mehr Fiktion denn Wissenschaft, doch womöglich leben in den Dünen der mongolischen Gobi Tiere, die den Sandwürmern vom Wüstenplaneten erstaunlich ähneln, zumindest wenn man einer kleinen eingeschworenen Forschergemeinschaft glaubt. Weltweit führender, weil nahezu einziger, Experte im Bereich der Monsterwürmer war der tschechische Kryptozoologe Ivan Mackerle (1942-2013), der sein gesamtes Geld darin investierte, eine bestimmte Spezies zu finden: den "Allghoi Khorkhoi".

Wie seine Verwandten auf dem Wüstenplaneten tötet auch der mongolische Wurm Menschen

Der Allghoi Khorkhoi, Mackerle übersetzte den Begriff wenig galant als "Darmwurm", soll bis zu einen Meter lang und armdick sein. Die meisten Berichte sind sich darüber einig, dass dieser Wurm blutrot sei, bisweilen mit dunklen Flecken. Nomaden berichten aber auch von schuppiger Haut und stacheligen Zacken an beiden Enden des Tieres - Kopf und Hinterteil seien nicht voneinander zu unterscheiden. Er soll in den Dünen der Wüste Gobi leben, vielmehr: darunter, denn die meiste Zeit verbringt er angeblich in unterirdischen Gängen. Er komme lediglich an die Oberfläche, wenn es geregnet hat und der Untergrund durchnässt ist. Ein monströser Regenwurm also? Nicht ganz, denn im Juni und Juli hat das Tier Jagdsaison. Wie seine Verwandten auf dem Wüstenplaneten ist der Allghoi Khorkhoi karnivor und macht auch Jagd auf Menschen. Er wird deshalb auch als Mongolischer Todeswurm bezeichnet.

Gefährlich ist das Tier laut Mackerles Beschreibungen vor allem deshalb, weil es über gleich zwei Tötungsmechanismen verfügt: Gift und Elektroschocks - wobei sich die kolportierten Augenzeugenberichte nicht ganz darüber einig sind, ob er das Gift verspritzen kann oder über die Haut absondert und somit die kleinste Berührung zum Tode führt. Angeblich ist der Wurm so gefährlich, dass eine Begegnung mit ihm meistens tödlich endet, weshalb es nahezu keine Augenzeugen gibt. Wie konnte sich seine Existenz dann überhaupt herumsprechen?

Erste Erwähnungen des Tieres finden sich in Forschungsberichten des Paläontologen Roy Chapman Andrews. Dieser leitete in den 1920er-Jahren wegweisende Expeditionen nach Zentralasien, wo er die Wiege der Menschheit vermutete. Deshalb suchte er dort nach den ältesten Spuren menschlichen Lebens. Diese fand er zwar nicht, doch wurde er zum Prototypen des draufgängerischen Abenteurers, der in der Figur von Indiana Jones seinen popkulturellen Idealtypus finden sollte. Er stieß als Erster auf fossile Dinosauriereier und die Überreste eines riesigen hornlosen Rhinozeros.

Ist es in Wahrheit ein gestrandeter Zitteraal oder vielleicht eine Giftschlange?

In der Folge seiner Reisen erschienen mehr als 50 Aufsätze mit Forschungsergebnissen. Andrews reicherte seine Berichte mit kulturhistorischen und oft recht kurzweilig formulierten Beobachtungen an. Eines dieser Extras: wiederkehrende Beschreibungen des Allghoi Khorkhoi, die er in "On the Trail of Ancient Man" (1926) und "The New Conquest of Central Asia" (1932) verewigte. Bei einem Besuch in der mongolischen Hauptstadt Ulan-Bator bat ihn Premierminister Damdinbazar, er möge ein Exemplar dieses seltenen Tiers fangen und zu ihm bringen. Sowohl der Premier als auch seine Gefolgschaft kannten Menschen, die eine Begegnung mit dem Todeswurm überlebt hatten und diese in all ihren grausigen Details schildern konnten - eine wackelige Quellenlage, doch ausreichend, um dem Tier einen Platz im Forschungsbericht zu verschaffen.

Die Taxonomie des Todeswurms ist schwierig: Ist es ein Ringelwurm, ein gestrandeter Zitteraal oder vielleicht doch eine Giftschlange? Letztere hätte vermutlich in der Wüste die besseren Überlebenschancen. Trägt man die Quellen zusammen, dann sieht es nicht gut aus für den Allghoi Khorkhoi: Niemand hat ihn je mit eigenen Augen gesehen. Es gibt weder Fotos noch vertrauenswürdige Dokumente über seine Existenz, geschweige denn ein Präparat. Auch Andrews war nicht erfolgreich, auch wenn er dem Premier versprach, ein Exemplar zu fangen, sollte ihm eines begegnen. Weshalb Wissenschaftler freiwillig nach einem Tier suchen, das niemals gesichtet wurde, weil es so giftig ist, dass es jeden tötet, der es auch nur kurz berührt? Zumindest Andrews standen mit seinem Versprechen im ganzen Land Tür und Tor offen. Das mag seinen kurzfristigen Enthusiasmus erklären.

Wunschdenken, Hörensagen und eine gehörige Portion Opportunismus hielten den Wurm also über so lange Zeit am Leben. Mackerle trug in den Neunzigerjahren mongolische Quellen und russische Science-Fiction-Erzählungen zusammen und bereiste die Gobi mehrfach. Inspiriert von "Dune" entwickelte er sogar einen sogenannten "Thumper", eine Maschine, mit der er rhythmisches Stampfen erzeugen und die Würmer aus dem Sand locken wollte - leider vergebens. Seine unermüdlichen Berichte haben seither einen festen Platz in kryptozoologischen Abhandlungen. Wo Science aufhört und Fiction anfängt? Mackerle bewegte sich wohl auf genau diesem schmalen Grat. Immerhin lebt der Wurm bis heute in den Herzen der Kryptozoologen weiter.

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