Drogen in Argentinien:Der Kampf gegen die Billig-Droge Paco

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Zehntausende junger Argentinier konsumieren die neue Billig-Droge Paco und verfallen zu Zombies.Inzwischen demonstrieren Eltern vor den Häusern der Drogenhändler, um ihre Kinder zu retten.

Peter Burghardt

Die Mutter konnte zusehen, wie Paco ihren Sohn aushöhlte. Jeremias Albano, 19 Jahre alt, schlief kaum mehr, aß und trank fast nichts mehr, wusch sich nicht mehr. Schließlich wog er bei 1,85 Meter Körpergröße noch 46 Kilo.

Grafitti an einer Hauswand in Buenos Aires. (Foto: Foto: dpa)

Sein Blick wurde glasig, leer und entrückt. Die Haut bekam Blasen und Flecken, die Lippen platzten auf.

"Wie ein lebender Toter sah er aus", sagt Maria Rosa Gonzalez, sie kennt viele solcher Opfer im Armenviertel Ciudad Oculta am Rande von Buenos Aires.

Aus der Wohnung verschwanden Bügeleisen und andere Gegenstände. Nach Hause kam Jeremias barfuß und halb nackt, Kleidung und Schuhe hatte er verkauft.

In letzter Not wandte sich Frau Gonzalez an die Behörden. Nach einer Odyssee durch die Instanzen erwirkte sie seine Einweisung in eine Entzugsklinik und alarmierte die Medien. Ihr Einsatz hat ihn gerettet und sie zu einer Symbolfigur im Kampf gegen das schlimmste Suchtmittel Argentiniens gemacht.

Paco ist gewöhnlich die harmlose Abkürzung von Francisco, in diesem Fall ist es der berüchtigte Kosename für PBC, Pasta Basica de Cocaina.

Verheerender Billigstoff

Das Teufelszeug besteht zunächst aus dem, was beim Verkochen von Kokapaste mit Chemikalien zu Kokain am Boden des Kochtopfs übrig bleibt, das wird dann gestreckt mit Putzmitteln und gemahlenen Glasscherben. "Das reinste Gift, es ist verheerend", berichtet Norberto Colominas von der argentinischen Drogenbekämpfungsstelle Sedronar.

Der Stoff wird in Pfeifen geraucht, manchmal vermischt mit Tabak oder Marihuana. Er ist viel billiger und wirkt viel schneller als der teure Muntermacher Kokain. Der Trip beginnt sofort und dauert kaum zwei Minuten, macht kurz euphorisch, dann depressiv und rasch abhängig. Er wirkt auf Lungen, Leber, Herz und das Gehirn, erzeugt Psychosen und Paranoia, oft irreversibel. Und vor allem: Konsumenten haben keinen Hunger mehr. "Paco mata", steht an Häuserwänden, "Paco tötet."

Inzwischen hat sich die Plage zu einer Epidemie entwickelt. Zehntausende junger Argentinier inhalieren den ätzenden Rauch und verfallen zu Zombies, vor allem in den wuchernden Slums um Buenos Aires, zu denen auch die sogenannte Ciudad Oculta gehört, die Verborgene Stadt, offiziell heißt dieses Labyrinth Villa 15.

Die wachsende Sucht ist dort eine Konsequenz der Wirtschaftskrise von 2001, in deren Folge Scharen ihren Job verloren; insgesamt nahm der Drogenkonsum in den vergangenen fünf Jahren um 500 Prozent zu. Paco hat kurioserweise damit zu tun, dass die Regierung auf Empfehlung der Vereinten Nationen begann, die Ausfuhr von Chemikalien in die Kokaländer Bolivien, Peru und Kolumbien stärker zu kontrollieren.

Durch die Beschränkungen wurde Argentinien zum Mitproduzenten von Kokain. Und die Dealer entdeckten, dass sich selbst der Abfall der Luxusdroge zu Geld machen lässt. So schnupfen besserverdienende Partygänger weißes Pulver - und Süchtige am unteren Ende der Gesellschaft rauchen den Rest.

Ein Pfeifchen Paco kostet ein bis zwei Pesos, 25 bis 50 Cents, aber wer dem Rauch verfallen ist, der braucht 30 und mehr Rationen am Tag. Das können sich die wenigsten leisten, also stehlen sie, zuerst daheim, dann auf der Straße. Jeremias Albano versetzte in seiner Not sogar Bettlaken und die Schulhefte seiner Schwester. Die Polizei schaut meistens weg, oft sind die schlechtbezahlten Beamten selbst in das Geschäft verwickelt.

"Phänomen einer düsteren Epoche"

Mit einiger Verspätung haben das auch die Politiker erkannt. "Paco tötet unsere Jugend an den ärmsten Orten", klagte Felipe Sola, Gouverneur der besonders betroffenen Provinz von Buenos Aires.

Paco sei das "Phänomen einer düsteren Epoche, das multidisziplinäre Maßnahmen verlangt", verkündete Bürgermeister Jorge Telerman - und versprach unter anderem den Bau eines Krankenhauses speziell für Rauschgiftsüchtige. Die hartnäckigste Gegenwehr allerdings leisten die Mütter, wie so oft in Argentiniens Geschichte.

Maria Rosa Gonzalez und andere haben sich zusammengetan, um ihre Kinder zu retten. Mutig versperrten die Mütter der Ciudad Oculta eine Hauptstraße und machten so die Öffentlichkeit auf sich aufmerksam, gewöhnlich protestieren Arbeitslose mit solchen Blockaden.

Und sie zogen vor die Häuser der Drogenhändler, trotz aller Drohungen.

"Mein Kampf geht weiter", sagt Frau Gonzalez, sie will keine Toten mehr sehen. Ihrem Jeremias gehe es in der Behandlung viel besser, er habe wieder Freude am Leben. Doch sie hat schon ein neues Problem: Ein anderer Sohn, 26 Jahre alt, klaut. Und er nimmt auffällig ab.

© SZ vom 16.1.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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