Süddeutsche Zeitung

Drei Bräute in Brasilien:Wollt ihr meine Frauen werden?

  • In Rio sind drei Frauen getraut worden, die eine Gütergemeinschaft und ein gemeinsames Sorgerecht vereinbaren wollten.
  • Es gibt zwar kein Gesetz, das diese Art von Ehe erlaubt - aber auch keines, dass sie verbiete, argumentierte die Standesbeamtin.
  • Im Nationalkongress bemüht sich indes eine konservative Allianz um die Rettung des traditionellen Familienbildes.

Egal, wo man sich in Rio aufhält, ein Blick nach oben genügt, um zu wissen, dass Jesus allgegenwärtig ist. Mit ausgebreiteten Armen thront die monumentale Statue des Cristo Redentor auf dem 710 Meter hohen Berg Corcovado und blickt auf diese Stadt herab: auf eine der gläubigsten Städte in einem der religiösesten Länder der Welt. Nirgendwo gibt es mehr Christen als in Brasilien; die römisch-katholische Kirche mag auch hier an Einfluss verlieren, dafür erleben die evangelikalen Pfingstkirchen einen beispiellosen Zulauf.

Es wird gerade aufgeregt diskutiert über den zunehmenden religiösen Fundamentalismus in der brasilianischen Gesellschaft - und diese Debatte wird nun von einer Nachricht angeheizt, die so gar nicht ins Weltbild vieler Brasilianer passt: In Rio haben drei lesbische Frauen geheiratet. Eine Unternehmerin und eine Zahnärztin, beide 32, sowie eine 34-jährige Verwaltungsangestellte.

Die drei wollen aus verständlichen Gründen zunächst anonym bleiben. Die Zeitung O Globo zitiert eine der Frauen mit dem Satz: "Wir sind jetzt eine Familie."

Telenovela-Stoff

So sieht das auch Fernanda de Freitas Leitão, 41, jene Notarin, die diese in Lateinamerika und mutmaßlich auch weltweit beispiellose Lebenspartnerschaft anerkannte. Es gibt in Brasilien zwar kein Gesetz, das dies erlaubt. Aber das Notariat in Rio, das die Aufgaben eines Standesamtes erfüllt, argumentiert, dass auch kein explizites Verbot existiere. "Diese drei Frauen erfüllen alle Voraussetzungen für eine Familiengründung: Sie lieben sich, sie leben in einer dauerhaften Partnerschaft, sie wollen Kinder", teilt Freitas Leitão mit.

Die Geschichte kommt, so ungewöhnlich sie ist, vielen Brasilianern bekannt vor. In der beliebten Telenovela "Avenida Brasil" haben auch schon einmal drei lesbische Frauen Hochzeit gefeiert. Dass die Realität so schnell mit der Fiktion mitzieht, hat aber kaum jemand erwartet.

Teil der Realität ist ein Ehevertrag, in dem die drei Pionierinnen aus Rio unter anderem eine Gütergemeinschaft vereinbart haben. Sie gehen außerdem davon aus, dass sie jetzt Kinder großziehen dürfen, die dann drei gleichberechtigte Mütter haben. Für bibeltreue Brasilianer ein Horrorszenario.

Der Fall fordert in jedem Fall das traditionelle Familienkonzept heraus, nicht nur in Brasilien. Polygamie ist in den meisten westlichen Demokratien verboten. Auch mit der rechtlichen Gleichstellung der Homo-Ehe tun sich viele Länder schwer, unter anderem Deutschland.

Die USA hingegen wurden im Juni dieses Jahres für die landesweite Legalisierung der Homo-Ehe als vorbildhaft gefeiert. Und ausgerechnet im erzkatholischen Lateinamerika gibt es erstaunlicherweise relativ progressive Gesetze: In Argentinien, Uruguay und Brasilien ist das schon seit Jahren gang und gäbe, auch Mexiko, Ecuador, Kolumbien und neuerdings Chile räumen gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften weitgehend gleiche Rechte ein wie der traditionellen Ehe von Mann und Frau.

Die brasilianische Standesbeamtin Freitas Leitão geht nun noch einen Schritt weiter, indem sie auch Eheschließungen von mehr als zwei Partnern akzeptiert. Sie sagt: "Solche Beziehungen sind eine gesellschaftliche Realität. Was spricht dagegen, sie rechtlich anzuerkennen?"

Bibel-Fraktion bläst zum Kampf

Der konservativen brasilianischen Opposition fallen selbstredend viele Gegenargumente ein. Im Nationalkongress in Brasília wird gerade eine ideologische Schlammschlacht ausgetragen, in der es um einen Gesetzesentwurf geht, der genau in die Gegenrichtung weist. Eine parteiübergreifende Allianz aus strenggläubigen und großteils homophoben Evangelikalen, die sogenannte Bibel-Fraktion, will das traditionelle Familienbild retten und die 2011 eingeführte Homo-Ehe wieder abschaffen.

Fernanda de Freitas Leitão ist da so etwas wie die Anführerin der Liberalisierungs-Fraktion. In ihrem Notariat im Zentrum von Rio hat sie erstmals im Jahr 2000 Trauscheine für homosexuelle Paare ausgestellt.

Elf Jahre, bevor die Homo-Ehe auch in der brasilianischen Verfassung verankert wurde.

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SZ vom 29.10.2015/kat
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