Dopingopfer Bernd Richter:Gut dokumentierte Doping-Geschichte

Die Geschichte des Dopingprogramms im DDR-Leistungssport, das auch Tausende Minderjährige umfasste, ist gut dokumentiert. Die Staatssicherheit schrieb mit und heftete alles ab. Protokolle, Studien, Medikationspläne. Vor allem dieser Umstand unterscheidet das Doping Ost vom Doping West, das, wie inzwischen belegt ist, auch weit verbreitet war und mit politischer Billigung stattfand in den Jahren des Kalten Krieges.

Dopingopfer Bernd Richter: Richter 1971 als Jugendlicher beim Hammerwerfen.

Richter 1971 als Jugendlicher beim Hammerwerfen.

(Foto: privat)

Kindgerechte Anabolika

Aber dass man Anabolika von einer Bonbonfabrik kindgerecht portionieren ließ (Schokolade, Gummibärchen, Fruchtgetränke), dass man mit dem Hochzüchten der Körper in der achten, neunten Klasse begann - das war doch eine Erfindung, die die DDR weitgehend exklusiv hatte. Doping? Das Wort gab es damals nicht an der Kinder- und Jugendsportschule. Es gab Trainer und Ärzte, die sagten: "Nimm das, ist gut für dich."

"Diplomaten im Trainingsanzug", so hat man die DDR-Athleten genannt. Die Medaillen, die sie abräumten, ihre Rekorde, die zum Teil bis heute in den Listen stehen wie ein Fanal - das alles war ein Zeichen nach innen und außen und drüben: Seht her, wie leistungsfähig dieses kleine Land ist! Aber um die DDR ging es Richter gar nicht. Es ging ihm um die Wettkämpfe, die Anerkennung, die Südfrüchte, die Möglichkeiten. "Der Sport war mein Leben."

Angstwort "Spartakiade-Verbot"

Sport, Leben, man muss das so existenziell verstehen, um nachvollziehen zu können, welche Panik 1972 ein einziges Wort bei ihm auslöst: "Spartakiade-Verbot". Wegen mittelmäßiger Noten, wegen eines Pullovers, den er einem Mitschüler aus dem Spind genommen hat, darf er nicht mit zum wichtigen Wettkampf. Wollen sie ihm den Sport wegnehmen? Seinen Traum zerstören? Heute weiß Richter: Das war nie geplant. Aber es muss ja irrationale Panik sein, wenn man nur mit ein paar Äpfeln, einer Cola, Sportschuhen und einer aus dem Schulatlas gerissenen Seite ("Osteuropa") in ein Flugzeug nach Ungarn steigt und das letzte Geld aus dem heimlichen Verkauf von Stiefvaters Fotoapparat in eine Zugfahrkarte Richtung jugoslawische Grenze investiert. Ziel: Leverkusen. Werfer-Stützpunkt des westdeutschen Sports.

Noch vor dem Stacheldraht, auf offener Strecke, warten die Soldaten. Zu Hause hat einer Richter verraten. Kein Leverkusen. Stattdessen: Einzelhaft in einem Militärgefängnis (acht Tage), im Staatsgefängnis Budapest (20 Tage), Verhöre in Hohenschönhausen (ein Tag), dann eingesperrt im Stasi-Gefängnis Potsdam-Lindenstraße (vier Monate) und in der Bauhofstraße, heute Henning-von-Tresckow-Straße (zwei Monate). Da ist Richter gerade mal 17 Jahre alt. Die DDR investiert viel Geld in ihre Talente. Aber wenn einer abhauen will, ist er kein zukünftiger Olympiasieger mehr, dann ist er ein Schwerverbrecher.

Bernd Richters Verließ in der Lindenstraße: ein Bett, das tagsüber hochgeklappt und an die Wand geschlossen wird, ein Hocker, ein Tisch, ein Waschbecken, ein Eimer. Raumhöhe 1,75 Meter.

Zurück ins Backsteinhaus

1997 ist Bernd Richter zum ersten Mal wieder rein in den roten Backsteinbau in Potsdams Innenstadt. Drei Stufen kam er die Treppe hoch, dann ist er umgefallen unter der Last der Erinnerungen. Inzwischen geht es. Seit 2006 kommt Richter regelmäßig her, ehrenamtlich, als "Zeitzeuge" erzählt er Besuchern seine Geschichte.

Das einstige Gefängnis ist heute eine Gedenkstätte. Und wer in der DDR als politischer Häftling eingesperrt war, dem steht eine Opferrente zu, 250 Euro pro Monat. Aber als im Jahr 2000 in Berlin die Prozesse gegen Drahtzieher des Zwangsdopings geführt werden, als unter anderem Manfred Ewald, der langjährige Präsident des DDR-Sportbundes, und Manfred Höppner, der Vize-Chef des Medizinischen Dienstes, wegen Körperverletzung zu Bewährungsstrafen verurteilt werden, schaut Richter nur mit halbem Auge hin. Er denkt: "Doping? Betrifft mich nicht." Schon kurz darauf betrifft es ihn doch.

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