Dopingopfer Bernd Richter:Der Preis des Sportwettrüstens

Lesezeit: 7 min

Dopingopfer Bernd Richter: Bernd Richter bei einem Besuch der Gedenkstätte Lindenstraße in Potsdam. In den 70er-Jahren war er vier Monate in diesem Stasi-Gefängnis inhaftiert.

Bernd Richter bei einem Besuch der Gedenkstätte Lindenstraße in Potsdam. In den 70er-Jahren war er vier Monate in diesem Stasi-Gefängnis inhaftiert.

(Foto: Julian Röder)

Als Hammerwerfer wird Bernd Richter in der DDR gedopt - zur Mehrung des Ruhms der Republik. Heute ist sein Körper ein vergiftetes Wrack.

Von Claudio Catuogno

Treuenbrietzen in Brandenburg, eine Kindheit mit leerem Geldbeutel. Bernd Richter ist oft gerannt in diesen Jahren, meistens den Größeren davon. Nun steht er auf der Schlackebahn hinter dem Schulhof, der Sportlehrer hat ihn, den Drittklässler, aus einem sich prügelnden Knäuel gezogen und auf den Sportplatz bestellt. Laufen statt Raufen. Die halbe Schule schaut zu. Seine Gegner sind zwei Jahre älter, "aber ich", sagt Bernd Richter, "ich bin um mein Leben gerannt". 3000 Meter über die schwarze Schlacke, eine halbe Minute hat er den anderen abgenommen. "Danach dachte ich, ich falle tot um."

Aber dann ist es dieser Lauf, der für Bernd Richter alles zum Guten wendet: "Von dem Tag an hatte ich Freunde, Anerkennung. Das war die Wende."

Die Wende von Treuenbrietzen. 1964.

Der Sport hat Bernd Richter damals gerettet, und später hat ihn der Sport kaputtgemacht. Das ist eine Geschichte, wie sie viele erzählen können in der untergegangenen DDR. Und auch heute noch, lange nach der anderen Wende, der von ganz Deutschland, geht es in dieser Geschichte um Leben und Tod.

Tausende Körperdrehungen vor einer Spiegelwand

Aber zunächst ist da diese Hoffnung. In der fünften Klasse kommen die Talentsichter, sie vermessen ihn, wie sie Hunderttausende Kinder vermessen haben, um aus den viel versprechendsten von ihnen Schwimmer oder Turner, Turmspringer oder Ruderer und um aus Richter nun einen Hammerwerfer zu machen, zur Mehrung des Ruhmes der Deutschen Demokratischen Republik.

Richter hat nicht mehr viele Fotos aus dieser Zeit, eines zeigt ihn an der Kinder- und Jugendsportschule in Brandenburg an der Havel. Glückliche Jahre. Tausende Körperdrehungen vor einer Spiegelwand. Das Hammerwerfen ist vielleicht die komplexeste aller Disziplinen der Leichtathletik. Richter lernt schnell. Drei Umdrehungen des Körpers, um das Seil mit der Kugel unter Spannung zu setzen - und wenn man eine Millisekunde zu spät loslässt, hängt der Hammer im Netz.

Wie 1969 in Berlin. Kinder- und Jugend-Spartakiade. Beim Einwerfen übertrifft Richter den Altersklassenrekord, im Wettkampf sind dann alle drei Versuche ungültig. "So wütend hab' ich meinen Trainer noch nie erlebt." Das war aber okay. Bis heute sagt Bernd Richter über den Mann, der ihm Ersatz-Vater, Mentor und Vorbild war und der auch nur seine Befehle ausführte, wenn er Richter die Tabletten gab: "Mein Trainer war wie ein Gott für mich."

Irgendwann wirft Richter so weit, dass man den Zaun, der den Sportplatz von einem Getriebewerk trennt, nach hinten versetzen muss. Und dann wieder nach hinten. Und noch mal nach hinten.

"Vitamin Forte"

"Ich hab' ja meine Bestleistung innerhalb von zwei Jahren um 20 Meter verbessert." Bernd Richter, 60 Jahre inzwischen, Bauingenieur, berufsunfähig, Pflegestufe 1, sitzt in seiner Wohnung im Dörfchen Caputh am Schwielowsee in einem Sessel, und es klingt nur ein kleines bisschen spöttisch, wenn er jetzt über diese Leistungsexplosion lacht. Heute weiß er ja, dass das nicht möglich gewesen wäre ohne die "unterstützenden Mittel". Damals hat er sich einfach gefreut, dass er in den Förderkader gerutscht war, 15 Mark extra gab das für die Eltern und für ihn besseres Schulessen, Südfrüchte und "Vitamin Forte".

Gewundert hat sich Bernd Richter, als ihm Brüste wuchsen. Der Arzt sagte, das komme vom Schwitzen. Unter der Dusche haben die anderen gelacht, aber wenn Richter den Hammer dann wieder bis zum Getriebewerk warf, lachte niemand mehr.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema