Diskussion um aktive Sterbehilfe:Das Recht auf Tod

Als erstes Land der Welt haben die Niederlande schon vor Jahren aktive Sterbehilfe erlaubt - nun fordern viele einen gesetzlichen Anspruch Älterer auf eine Suizidpille.

Siggi Weidemann

Amsterdam - Zur Begrüßung gibt es ein weißes Röllchen mit der Aufschrift "Laatstewilpil". Tabletten für den letzten Willen? Sterbepillen? "Aber nicht doch", wehrt Petra de Jong ab. Es handele sich nur um Pfefferminz und überdies um einen der Werbeträger, die man bei der Kampagne "Leben vollendet" einsetzen wolle. De Jong ist Direktorin der Niederländischen Vereinigung für ein freiwilliges Lebensende (NVVE), die in ihrer Heimat für einen gesetzlichen Anspruch von Menschen jenseits der 70 auf den Freitod wirbt - egal, ob sie krank sind oder nicht.

"Es ist die Forderung und der berechtigte Wunsch nach einem würdigen Tod," sagt de Jong, Ärztin und Spezialistin für Lungenkrankheiten. Für sie ist der Tod nicht etwas Abschreckendes, sondern der natürliche Schlusspunkt eines erfüllten Lebens. Es gehe ihr um einen Tod in Würde und in Freiheit, in der der Einzelne selbst bestimmen kann, wann er genug gelebt habe. De Jong erfährt viel Unterstützung für ihr Anliegen: Ihre einflussreiche Organisation hat inzwischen mehr als 110.000 Mitglieder, und in einer Umfrage im Februar befürworteten fast 70 Prozent der Niederländer die Letzte-Wille-Pille für Menschen über 70 Jahre. Die NVVE hat daraufhin die Aktion "Leben vollendet" organisiert und bisher das Dreifache an Unterschriften eingesammelt, die notwendig sind, damit das niederländische Parlament das Thema behandelt.

Parlamentarier von GrünLinks, den Sozialdemokraten sowie der Links- und Rechtsliberalen unterstützen die Aktion. Sollte bei der nächsten Wahl ein Linksbündnis die Mehrheit stellen, rechnet man beim NVVE damit, dass in zwei bis drei Jahre das Recht auf Freitod Älterer gesetzlich verankert ist. "Die Umfrage zeigt, dass die meisten Menschen zu Hause sterben möchten und nicht in einem Pflegeheim dahindämmern", sagt Petra de Jong. Der Wunsch, selbst den Zeitpunkt seines Todes zu bestimmen, sei dabei kein elitäres, sondern ein allgemeines gesellschaftliches Problem. So habe die Angst vor dem Sterben viel mit der Einsamkeit im Alter zu tun, mit den oft katastrophalen Zuständen in Alters-und Pflegeheimen, aber auch mit Krankheit.

Beim NVVE glaubt man, dass zwischen 75.000 und 200.000 Menschen über 75 Jahre den "ständigen Wunsch" haben, würdig zu sterben, weil "sie mit ihrem Leben abgeschlossen haben". Fast 22 Prozent aller Heiminsassen von 28 untersuchten Anstalten hätten in den vergangenen drei Jahren einen Suizid versucht, jeder zehnte ihn vollendet - mit teils grausamen Methoden", sagt de Jong. Menschen steckten sich vor Verzweiflung in Brand, rennen mit dem Kopf gegen die Wand. Das Gesetz verwehre ihnen einen würdigen Tod.

Unterstützt wird der Sterbehilfeverein von einer Gruppe prominenter Holländer, der etwa die frühere sozialdemokratische Bildungsministerin Hedy d'Ancona angehören. Die 72-Jährige sagte, das Recht, den Moment des Sterbens selbst zu wählen, auch wenn man nicht todkrank sei, passe in den Emanzipationskampf, den sie selbst ihr Leben lang geführt habe.

So lautstark die vielen Unterstützer für die Sterbepille werben, so erbittert argumentieren ihre Gegner in den Kirchen und bei den konservativen Parteien dagegen. Wie etwa, fragen sie, kann man Missbrauch verhindern, wenn beispielsweise wirtschaftliche Gründe im Spiel sind, etwa das Erbe? Dürfen auch demente und chronisch psychisch kranke Patienten die Pille bekommen? Und wie wird überhaupt ein "vollendetes Leben" definiert?

Die Idee der Letzte-Wille-Pille

Die Diskussion ist nicht neu. Bereits vor 20 Jahren wurde schon um die Einführung der Selbstmordpille gestritten. 1991 hat sich Hiub Drion, der ehemalige Vizepräsident des Hogen Raad, dem höchsten Gerichts des Königreichs, für eine Letzte-Wille-Pille ausgesprochen, mit der ältere Menschen über den Zeitpunkt des Todes selbst bestimmen könnten. Fortan sprach man von der Drion-Pille. Vor zehn Jahren hatte dann die liberale Gesundheitsministerin Els Borst erneut angeregt, älteren Menschen, die ihr Leben beenden wollen, nach eingehender Prüfung eine Tötungspille verschreiben zu lassen. Die Politikerin vertrat den Standpunkt, dass Lebensmüdigkeit keine Angelegenheit der Mediziner ist und daher auch nicht unter das Euthanasiegesetz fällt.

Die Einstellung der Niederlande zur Sterbehilfe ist sehr liberal. Als erstes Land der Welt wurde hier im April 2001 das Gesetz über die Legalisierung der Sterbehilfe mit klarer Mehrheit gebilligt. So sollte aktive Sterbehilfe weitgehend entkriminalisiert werden. Voraussetzung ist, dass der Patient aussichtslos leidet und den Willen zur Sterbehilfe ausdrücklich und frei geäußert hat. Im Jahr 2009 sind so 2700 Niederländer aus dem Leben geschieden. Befürchtungen, dass das Gesetz für Willkür und Missbrauch sorgen könne, haben sich bisher nicht bestätigt.

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