Süddeutsche Zeitung

Digitaler Sex:Generation Porno

Durch Internet und Handy sind Sexfilme jederzeit verfügbar, auch für Jugendliche. Zärtlichkeit und Respekt werden darin nicht gelehrt.

Jürgen Schmieder

Der Junge sitzt emotionslos auf seinem Stuhl, seine unaufgeregte Stimme klingt wie die eines Nachrichtensprechers. Gruppensex mit zwei Frauen? "Ja klar, hatte ich schon öfter. Ist nicht so mein Ding", sagt er. Er sei vertraut mit Orgien und masochistischen Spielen.

Der junge Mann ist 16 Jahre alt. Er ist einer der Protagonisten des Dokumentarfilms "Jugend im Pornofieber", den der TV-Sender Arte im Juni ausstrahlte. Mehrere französische Teenager werden darin porträtiert, die These am Ende des Films: Es gibt eine Generation Porno.

Es sind Menschen, für die das Internet und der Besitz eines Handys so selbstverständlich ist wie Zähneputzen. Sie finden sich in der virtuellen Welt besser zurecht als ihre Eltern, sie tauschen sich in sozialen Netzwerken aus - und sie wissen, wo es Gewalt- und Pornoclips zu sehen gibt, ohne dass man sein Alter verifizieren muss. Am Computer reicht meist ein Klick auf den Button "Ja, ich bin 18 Jahre alt".

Pornografische Inhalte sind durch das Internet verfügbar, in allen erdenklichen Variationen. Vor 20 Jahren noch tauschten Teenager unter der Schulbank Titelseiten des Playboy, nun schicken sie sich Sexvideos zu. Auf diesen Clips sieht man nicht nur kopulierende Menschen, man sieht sie mit Peitschen in der Hand, sie schlafen mit der Schwester der Ehefrau - die auch noch zusieht und applaudiert. "Man sieht das im Internet - und will es ausprobieren", sagt ein Mädchen in der Dokumentation. Sie ist 17 Jahre alt, die Zahl ihrer Sexualpartner wird bald dreistellig sein.

Die Hemmschwelle sinkt, das Verlangen steigt

Sie ist ein extremer Einzelfall, der jedoch zeigt, dass die Videos nicht abschrecken, sondern eher zur Nachahmung anregen. Zärtlichkeit und Respekt werden in diesen Videos nicht gelehrt, die explizite Bildsprache besitzt aber auch keine reinigende Funktion.

"Die Katharsis-Hypothese ist widerlegt. Solche Filme wirken eindeutig verstärkend", sagt der Verhaltenspsychologe Klaus Mathiak. Durch die Vielzahl der Videos - im Internet sind Millionen davon für jeden zugänglich - würde das Gehirn lernen, dass es völlig normal sei, was man da sieht. Die Hemmschwelle sinkt, Scham und Ekel gibt es kaum noch. Gleichzeitig steigt das Verlangen, es selbst zu versuchen - und sich vielleicht sogar dabei zu filmen.

Derzeit kursieren mehrere Videos im Netz, in denen Jugendliche auf einem Spielplatz und auf einer Parkbank Gruppensex haben. Früher musste man Gitarre oder Fußball spielen, um cool zu sein, heute braucht es Talent zum Pornodarsteller. Freilich darf man durch diese einzelnen Videos nicht auf alle Jugendlichen schließen, man darf jedoch auch nicht verleugnen, dass es diese Clips gibt.

Oft sind sie untermalt mit Musik, dem "Arschficksong" des Rappers Sido etwa. Eine Textzeile geht so: "Katrin hat geschrien vor Schmerz. Ihr Arsch hat geblutet. Und ich bin gekommen." Katrin ist ein kleines Mädchen. Und Sido, der sitzt derzeit in der Jury der Castingshow "Popstars" und bewertet junge Frauen.

Hardcore statt Zärtlichkeit

Wer oder was ist nun schuld, dass diese selbstgemachten Videos existieren? Das Internet mit seiner Verfügbarkeit? Verachtende Texte in Rap-Songs? Oder der Allzweckbösewicht Computerspiele? Das Forschungsinstitut Iconkids and Youth hat kürzlich eine Umfrage unter Jugendlichen in Deutschland durchgeführt. Mehr als die Hälfte würde gern mehr über Liebe und Sex erfahren, vor allem auch über Zärtlichkeit. Der Vorwurf geht an die Eltern: Aufklärung würde nur dann stattfinden, wenn Kinder es ausdrücklich fordern.

Deshalb flüchten sich Jugendliche ins Netz und sehen dort statt Liebe und Zärtlichkeit Tausende von Hardcore-Pornos. Sie werden nicht aufgeklärt, sondern neugierig gemacht. "Am Ende ist es nur ein Kick, ich fühle mich leer", sagt der Junge aus der Arte-Dokumentation. Er sehne sich nach Treue und Geborgenheit. Im Internet findet er die nicht.

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Quelle:
SZ vom 13.09.2008
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