Empörung unter den Eltern einer 2. Grundschulklasse im Münchner Westend: Wie könne es sein, dass die Kinder in der Nachmittagsbetreuung das Youtube-Video "Astronaut" von Sido und Andreas Bourani schauen? Ein Video mit tatsächlich drastischen Szenen von Demonstrationen, Neonaziaufmärschen, Krieg, Militarismus, Armut, Flucht, Tod, IS-Terror, Kaltem Krieg, Über- und Unterernährung, Umweltzerstörung, Körperkult. Gemixt ist die schnelle Bilderfolge mit Ausschnitten aus Zeichentrickfilmen - und friedlichen Bildern aus dem All auf unsere Welt. Die passende Textzeile: "Ich seh' die Welt von oben - wie ein Astronaut."
Es ist ein eingängiger Sound, ein guter Popsong. Doch die Mütter (es sind nur Mütter, die sich an der E-Mail-Empörung beteiligen) in der Klasse meiner Tochter beklagen, das sei nichts für Kinder. Für sie fällt das unter den großen Begriff "Jugendschutz".
Die Siebenjährige begreift die Aufregung nicht: Das seien "zwar harte" Bilder, sagt sie nach dem gemeinsamen Anschauen. Aber das gehöre eben auch zum Leben. Ihre größere Schwester, zehn Jahre alt, sagt: "Es zeigt, dass es in der Welt nicht nur liebe, sondern auch böse Menschen gibt" und wie "egoistisch" sie doch sein können.
Schon die Kleinsten wischen auf Tablets, die Größeren können sich ein Leben ohne Smartphone nicht mehr vorstellen. Ihre Kindheit verläuft ganz anders als die ihrer Eltern, aber muss das schlecht sein? Bietet nicht gerade der frühe Umgang mit neuen Medien auch Chancen? Wie Eltern ihren Nachwuchs auf dem Weg in die interaktive Welt begleiten, was sie selbst dabei lernen können - ein Schwerpunkt.
Im Zweifel scheint das Video zumindest Empathie geweckt zu haben. Die Kleine sagt noch, dass sie ihren Nachmittagsbetreuer "cool" finde und sich das Lied viele aus der Klasse gewünscht hätten. Außerdem sei die Alternative Helene Fischer gewesen. Damit war das Thema für sie beendet. Am nächsten Morgen hatte keine von beiden einen Albtraum. Bei Helene Fischer wäre ich mir da nicht so sicher gewesen.
Vielleicht lag es daran, dass wir darüber geredet haben, dass sie die Bilder einordnen konnten. Verschweigen und Tabus sind nie eine Lösung, Friede-Freude-Eierkuchen auch nicht. Es gibt im Bekanntenkreis Eltern, die ihre Kinder vor den Ereignissen der Pariser Anschläge schützen wollen, indem sie die Nachrichten im Radio und Fernsehen ausschalten. Oder plötzlich selbst ein Fußballspiel in der Zweiten Liga meiden. Andere Eltern machen einen großen Bogen um Friedhöfe und gehen mit ihren Kindern nicht mal zur Beerdigung der Oma, weil es die Kinder "verstören" könnte.
Klar, man muss seine Kinder schützen. Aber ihnen vorspielen, das Leben sei ein Ponyhof? Ist das ein angemessener Umgang mit unserer Welt, die nun mal nicht ideal ist?