Digital Detox:Sieben Tipps zur digitalen Entgiftung

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Muss nicht immer und überall dabei und im Einsatz sein: das Smartphone. (Foto: dpa)

Es bestimmt unser Leben: Doch um die Nutzung von Smartphones einzuschränken, müssen wir unsere Gewohnheiten ändern.

Von Thomas Hummel

Wie kommt man nur vom Smartphone weg? Ständig ist es da. Neben dem Bett, am Esstisch, in der U-Bahn, im Büro. Inklusive der Versuchung, mal kurz zu schauen, was in der tiefen, weiten Smartphone-Welt gerade passiert. Eine Nachricht vom Partner? Eine Eilmeldung? Bei manchen rattert, blinkt und pfeift es minütlich. Und wenn man es schon in der Hand hält, kann man ja gleich noch ...

Vor zehn Jahren kamen die ersten Smartphones auf den deutschen Markt, heute sind sie überall. Laut Untersuchungen entsperrt der durchschnittliche Nutzer sein Gerät pro Tag rund 80 Mal - also ungefähr alle zwölf Minuten, wenn man von acht Stunden Schlaf ausgeht. Dabei führt er etwa 2600 Tätigkeiten auf dem Gerät durch. Ein Siegeszug zum Beispiel der Social-Media-Plattform Facebook, dessen Mitbegründer Sean Parker sagte: "Die Motivation bei der Entwicklung der frühen Applikationen - und Facebook war die erste - war: Wie können wir so viel Zeit und Aufmerksamkeit der Nutzer wie möglich bekommen."

Lässt sich die Menschheit gerade das reale Leben klauen? Ist sie schutzlos den Programmierern ausgeliefert im Kampf um jede Sekunde und jeden Klick? "Digital Detox" - digitale Entgiftung - heißt die Gegenbewegung. Viele wollen den Rückwärtsgang einlegen, wieder analog sein, wenigstens häufiger. Mit Menschen reden, die Umgebung sinnlich wahrnehmen. Es gibt Digital-Detox-Urlaubsangebote, also Ferien ohne Smartphone - doch danach geht's bei vielen weiter wie zuvor. Wer seine Nutzung im Alltag reduzieren will, der muss ein größeres Problem angehen: Er muss seine Gewohnheiten ändern.

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"Es geht hier viel um Routine", sagt Leonard Reinecke, Professor für Medienwirkung und -psychologie an der Universität Mainz. Das Handy wird reflexhaft gezückt. Beim Warten auf den Zug, wenn die Begleitung im Restaurant auf die Toilette geht, wenn das Kind im Bett liegt. "Wenn wir impulsiv das Smartphone zücken, obwohl wir in dem Moment eigentlich ganz andere Bedürfnisse haben, wir uns zum Beispiel nach Entspannung sehnen", erklärt Reinecke, "dann wird es problematisch." Doch diese Automatismen könne man durchbrechen, "wir sind dem nicht hilflos ausgeliefert", sagt er. Sieben Tipps zur Reduktion der Smartphone-Nutzung:

1. Dienste auslagern

Ein Smartphone ist ein praktischer Wecker, es teilt einem auch mit, wie viel Zeit noch bleibt bis zum Alarm am Morgen. Wer dazu neigt, nach dem Weckerstellen nur noch kurz zu gucken, was auf Twitter so läuft und am Ende merkt, dass die Schlafenszeit wieder 45 Minuten kürzer geworden ist, für den gibt es eine Lösung: Kaufe einen Wecker, der nichts anderes kann, als wecken. Dann entfällt die Pflicht, vor dem Schlafen noch auf das Display schauen zu müssen.

Man kann weitere Funktionen auslagern. Für die Uhrzeit eine Armbanduhr nutzen, im Dunklen eine Taschenlampe, auf der Suche nach einer Adresse eine Landkarte. Oder (total verrückt!) einen Passanten nach dem Weg fragen.

2. Weniger Apps, mehr Browser

Praktisch alle Apps inkludieren sogenannte Push-Nachrichten. Schreibt jemand eine Nachricht, explodiert irgendwo eine Bombe, likt jemand den Instagram-Eintrag - ständig vibriert es, klingelt es und leuchtet das jeweilige App-Symbol auf. Wer es nicht schafft, sich der Neugier zu entziehen, obwohl er eigentlich gerade etwas ganz anderes zu tun hätte, der hat mehrere Lösungsansätze: Smartphone lautlos stellen. Push-Nachrichten abstellen. Apps deinstallieren und Angebote im Browser nutzen.

3. Digital-Detox-Apps

Kurioserweise gibt es Apps, die helfen sollen, den Handygebrauch einzuschränken. Quality Time, Menthal oder Offtime zeichnen auf, wie häufig der Nutzer sein Smartphone aktiviert und was er damit macht. Am Ende des Tages kommt die Bilanz. Steht da in etwa "Heutige Nutzung: 2h 50m - Bildschirm entsperrt: 120 mal" - dann ist das Staunen meist groß. "Das kann ein Baustein sein, um sich bewusst zu werden, was man da eigentlich tut", sagt Reinecke. Die Apps seien ein Mittel zur Selbsterkenntnis. Und die ist auch der erste Schritt zur digitalen Entgiftung.

4. Soziale Normen ansprechen

Wenn Menschen durch den Umgang mit dem Smartphone in digitalen Stress rutschen, dann sind meistens soziale Gründe mit entscheidend. Das Gefühl, man müsse Mails, Kurznachrichten etc. sofort beantworten. Wobei der Eindruck durchaus real ist, wie eine Studie der Ludwig-Maximilians-Universität München in Kooperation mit dem Kundendienst-Anbieter B2X feststellte. Demnach erwarten 57 Prozent der Smartphone-Nutzer von Freunden und Familie auf Nachrichten eine sofortige Reaktion bzw. eine Antwort innerhalb weniger Minuten.

Dennoch rät Reinecke dazu, es darauf ankommen zu lassen. "Einfach mal ausprobieren, dem Druck nicht zu folgen und erst dann zu antworten, wenn man Zeit hat. Um dann vielleicht zu merken, dass gar nichts Schlimmes passiert und einen die Freunde gar nicht weniger schätzen." Falls doch Beschwerden kommen, ist wohl eine mündliche Aussprache über den Instant-Antwort-Zwang nötig. Bisweilen bemerken Menschen erst, welchen Druck sie erzeugen, wenn man es ihnen mitteilt.

5. Smartphone-freie Zeit

Ist der soziale Druck gebändigt, kann das Smartphone phasenweise aus der Umgebung verschwinden. Bei der Umfrage der LMU München gaben 85 Prozent der Nutzer an, ihr Smartphone immer griffbereit zu haben. Etwa ein Viertel trage es nahezu rund um die Uhr am Körper. Wer dann plötzlich ohne Gerät zum Supermarkt oder ins Restaurant geht, fühlt sich erst einmal nackt. Es verunsichert kolossal, nicht jederzeit wenigstens die Möglichkeit zu haben, das Display zu begutachten. Für Menschen, die unter der ständigen Erreichbarkeit leiden, wirkt es aber nach einiger Zeit befreiend. Denn nachdem man es wieder in der Hand hält, wird klar: Die Welt drehte sich tatsächlich weiter. Und selbst wenn eine Nachricht einging, konnte sie problemlos warten, um gelesen und beantwortet zu werden.

6. Smartphone-freie Räume

Der nächste Schritt sind Smartphone-Sperrgebiete zu Hause. Da bietet sich das Schlafzimmer an. Oder der Esstisch - was gibt es Nervigeres als Tischnachbarn, die ständig auf ihren Bildschirm starren. Vor allem für Kinder wirkt das verstörend. In dem Buch "Jetzt pack doch mal das Handy weg" beschreibt der Autor Thomas Feibel ganz wunderbar, wie sehr Kinder bisweilen von ihren Eltern genervt sind, wenn die sich ständig von ihrem Smartphone absorbieren lassen. Von wegen Vorbilder!

7. Flugmodus, Ausschalten

Wer die Finger von dem Ding einfach nicht lassen kann, der kann sich freilich auch selbst austricksen und eine zusätzliche Hürde einbauen, indem er die Verbindung zum Internet kappt. Ist das Handy im Flugmodus, muss man einiges mehr am Smartphone herumtippen, um zu prüfen, wie die Whatsapp-Welt aussieht. Die Hemmschwelle ist dann oft zu hoch, also verschwindet es wieder in der Tasche. Noch härter zu sich selbst ist, wer erkennt, dass es tatsächlich Tasten gibt, die ein Smartphone ausschalten.

Am Ende gelingt es den Menschen vielleicht, den Gebrauch ihres überaus praktischen Smartphones so zu regulieren, dass es sie nicht unglücklich macht. Oder zumindest, dass sie sich selbst und andere bei Gebrauch nicht gefährden. Bisweilen ist es schlichtweg töricht, auf das Smartphone zu gucken. Zuletzt beklagte die Aktion "Runter vom Gas" des Bundesverkehrsministeriums: "Ablenkung im Straßenverkehr speziell durch Mobiltelefone kann lebensbedrohlich sein." Laut einer Umfrage seien 36 Prozent der Verkehrsteilnehmer durch die Nutzung des Smartphones bereits in eine gefährliche Situation geraten - und sieben Prozent seien gar einen Unfall verwickelt gewesen.

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